13.05.2022 von Sophia Kandah-Tavfik, MSc & Elisabeth Sperr, MSc

Allergien: Was passiert im Körper?

Ob rinnende Nase, tränende Augen, oder gar anaphylaktischer Schock: Allergien sind für viele Menschen ein alltägliches Problem. Auch wenn sie schon länger bekannt sind, scheinen immer mehr davon betroffen zu sein. Doch wie entstehen Allergien? Wie kann man sie erkennen und behandeln?

Das Immunsystem ist das Abwehrsystem des Körpers. Es hat die Aufgabe, körperfremde Stoffe (Antigene) unschädlich zu machen und so vor Krankheitserregern zu schützen. Dafür bildet der Organismus Antikörper (Immunglobuline). Leidet man an einer Allergie, dann reagiert das Immunsystem auf bestimmte Stoffe in der Umwelt, welche normalerweise keine Gefahr für den Menschen sind. Das führt zu Entzündungsprozessen, vor allem in den Schleimhäuten von Augen, Nase, Bronchien und Darm.

Wissenswert

Das Wort “Allergie” kommt aus dem Griechischen (allos = anders, fremd und ergon = Arbeit) und wurde von dem Kinderarzt Clemens Pirquet im Jahre 1906 in die medizinische Fachsprache eingeführt.

Was sind Allergene?

Allergene sind kleine Proteine, welche in der Natur vorkommen und bei Allergikern zur Bildung von Abwehrstoffen führen. Generell kann jeder Stoff und jede chemische Substanz in der Umwelt zum Allergen werden.

Zu den Allergenen zählen:

  • Inhalationsallergene
  • Hautallergene
  • Nahrungs- und Arzneimittelallergene
  • Insektenstich- und Injektionsallergene

Die 14 wichtigsten Lebensmittelallergene haben wir HIER zusammengefasst.

Wissenswert

Von einer Kreuzallergie spricht man, wenn ein Allergen (z. B. Beifusspollen) eine Sensibilisierung auslöst, auf deren Boden ein anderes Allergen (z. B. Sellerie) eine allergische Reaktion verursachen kann. Der Körper verwechselt diese Eiweißbestandteile. Näheres zu Kreuzallergien gibt es HIER.

Vier verschiedene Arten von Allergien

Nach den englischen Forschern Robert Coombs und Philip Gell, werden seit 1963 vier verschiedene Allergieformen unterschieden (siehe Tabelle). Alle setzen eine sogenannte Sensibilisierungsphase bei Erstkontakt mit dem entsprechenden Allergen voraus. Erst bei erneutem Kontakt – wobei es nicht zwingend der zweite sein muss – reagiert der Körper mit allergischen Symptomen. Die Allergie-Typen werden je nach Art und Ablauf der immunologischen Reaktion unterschieden.

AllergietypAblauf der ReaktionDurchschnittl. Dauer bis zu allergischer ReaktionBeispiel
Allergietyp I: Soforttyp Vermittlung durch IgE-Antikörper; Freisetzung von Botenstoffen (v. a. Histamin)Symptome meist innerhalb weniger Sekunden oder Minuten (ev. zweite Reaktion nach 4–6 Stunden)Pollen-, Tierhaar-, Hausstaubmilben-, Nahrungsmittel-, oder Insektengiftallergien
Allergietyp II: verzögerter Typ (Zytotoxische Reaktionen)Bildung von Komplexen aus Antigenen und Antikörpern; Zerstörung körpereigener ZellenBeschwerden gewöhnlich innerhalb von 6–12 StundenKann nach Bluttransfusionen auftreten, wenn die falsche Blutgruppe genutzt wird
Allergietyp III: verzögerter Typ (Immunkomplex-vermittelte Reaktionen)Bildung von Antigen-Antikörper-Komplexen; Freisetzung Gewebe schädigender SubstanzenBeschwerden gewöhnlich innerhalb von 6–12 StundenAllergische Gefäßentzündungen
Allergietyp IV: Spättyp (Zellvermittelte Reaktionen)Vermittlung durch Zellen (T-Lymphozyten)12–72 Stunden zwischen Kontakt und Beschwerdebeginn Kontakt-Allergie (z. B. Nickel), Abstoßungsreaktionen von Transplantaten

Quelle: mod. nach Coombs & Gell und Allergieinformationsdienst

Bei etwa 90 % der Allergien handelt es sich um eine Soforttyp-Allergie. Dabei kommt es beim Erstkontakt mit dem Allergen durch T- und B-Lymphozyten zur Produktion von Immunglobulin E-Antikörpern (IgE-Antikörper). Ein beliebiger, späterer Kontakt löst im sensibilisierten Organismus eine Antigen-Antikörper-Reaktion aus. Das Allergen (Antigen) bindet dabei über die IgE-Antikörper an Mastzellen und basophilen Granulozyten, die daraufhin Histamin und andere Mediatoren (z. B. Tryptase, Leukotriene) ausschütten. Diese lösen als Sofortreaktion die allergischen Symptome aus.

Wissenswert

Bei pollenassoziierten Nahrungsmittelallergien ist das orale Allergiesyndrom (OAS) das häufigste Symptom. Betroffene spüren dabei ein Jucken oder Kribbeln der Mundschleimhaut nach dem Verzehr von Kern- oder Steinobst.

Wann entstehen Allergien?

Es ist gut belegt, dass genetische Faktoren bei der Entstehung von Allergien eine Rolle spielen. Sind ein oder beide Elternteile allergisch, besteht deshalb ein erhöhtes Risiko. Bei einem Kind von zwei Allergikern liegt die Wahrscheinlichkeit, ebenfalls eine Allergie zu entwickeln, bei 50–70 %. Zusätzlich steigt die Wahrscheinlichkeit, je mehr und je länger man entsprechenden Allergenen ausgesetzt ist, beispielsweise am Arbeitsplatz. Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, seltener Allergien und Asthma entwickeln als Stadtkinder. Die „Hygienehypothese“ besagt, dass das Immunsystem durch die Bauernhofkeime bereits früh „trainiert“ und an harmlose Stoffe gewöhnt wird. Man vermutet daher, dass sich übertriebene Hygiene, besonders im Kindesalter, nicht förderlich auf das Allergierisiko auswirkt.

Allergische Symptome

Allergien können fast überall im Körper Reaktionen bzw. Symptome auslösen. Die Atmung kann dadurch beeinträchtigt werden, die Augen können gereizt bzw. geschwollen sein und auf der Haut kann es zu Schwellungen, Ekzemen oder Quaddelbildung kommen. Allergien können sich auch auf die Nieren, das zentrale Nervensystem, die Verdauung, Gelenke und Blutgefäße auswirken.

Wie erkennt man Allergien?

Die Diagnose beginnt mit der Anamnese, einem ausführlichen Gespräch zwischen Arzt und Patient. Wenn Verdacht auf eine Allergie besteht, wird meistens ein Hauttest durchgeführt. Dafür werden Proben von möglichen Allergenen auf die Haut aufgetragen und beobachtet, ob Pusteln oder Quaddeln auf der Haut auftreten, welche auf eine allergische Reaktion hinweisen. Um falsche Ergebnisse vorzubeugen, sollten mindestens fünf Tage vor dem Test keine Antihistaminika oder Corticosteroide eingenommen werden. Beim Prick-Test werden, wie beim Hauttest, mögliche Allergene auf die Haut aufgetragen. Danach wird mit einer kleinen Nadel die Oberhaut durchstochen. Auch hier sieht man bei einer allergischen Reaktion Reizungen an der Haut. Eine weitere Möglichkeit zur Diagnose bietet der Intrakutan-Test. Hier wird die Testlösung in die Haut eingespritzt. Dieser Test ist viel empfindlicher als der Prick-Test, jedoch kommt es oft zu falsch positiven Ergebnissen. Der Epikutan-Test wird auch Pflaster-Test genannt, denn es werden Pflaster mit allergenhaltiger Substanz auf die Haut geklebt. Das Ergebnis – die entsprechende Hautreaktion – lässt sich nach 24, 48 oder 72 Stunden ablesen. Auch Bluttests werden mitunter in der Diagnose angewendet, wobei diese nicht bei allen Allergiearten aussagekräftig sind. Dabei wird im Labor das Vorhandensein von bestimmten IgE-Antikörpern untersucht. Meistens dient der Bluttest lediglich zur Bestätigung eines Hauttests.

Wissenswert

Generell wird die Häufigkeit von Nahrungsmittelallergien überschätzt. Wie es konkret darum steht, gibt es im Artikel „Intoleranzen häufiger als Allergien“ zu lesen.

Allergien erfolgreich behandeln

Die Behandlung hängt stark von der Art der Allergie und Stärke der Symptome ab. Wenn nötig und möglich, sollte das Allergen gemieden werden. Hierbei sind jedoch natürliche Grenzen gegeben. Einzelne Lebensmittel wie Nüsse kann man grundsätzlich einfacher meiden als saisonale Gräserpollen oder Bienenstiche. Daher gibt es auch einige Medikamente am Markt, welche die allergische Reaktion verhindern bzw. verringern können. Dazu gehören beispielsweise Antihistaminika, Cromoglycinsäure und Glucocorticoide. Auch eine Hyposensibilisierung ist in manchen Fällen möglich. Dabei handelt es sich um eine Sonderform der Therapie, bei der die Empfindlichkeit gegenüber allergieauslösenden Substanzen durch gezielte Exposition reduziert wird. Dadurch gewöhnt sich der Körper sukzessive an das entsprechende Allergen. Für eine Hyposensibilisierung gibt es bei Gräser-, Getreide- und Kräuterpollen, Baumpollen, Hausstaubmilben sowie Wespen- und Bienengift zugelassene Therapie-Allergene. Generell kann man sagen, dass Kinder vermehrt zu Allergien – vor allem Lebensmittelallergien – neigen, da ihr Immunsystem und die Darmschleimhaut noch nicht vollständig ausgereift sind. Mit dem Älterwerden verschwinden diese häufig wieder.

Anaphylaktischer Schock – was tun?

Nicht immer bleibt es bei Hautreaktionen oder der klassischen Schnupfennase. Im schlimmsten Fall kann eine allergische Reaktion auch tödlich verlaufen, wenn es zu einem anaphylaktischen Schock kommt. Darunter versteht man plötzlich auftretende Allergie-Symptome, die klassischerweise mehrere Organe gleichzeitig oder in rascher Abfolge betreffen (z. B. Hautreizungen, Atembeschwerden, Reaktionen des Herz-Kreislauf-Systems, krampfartige Bauchschmerzen, Erbrechen). Um zu verhindern, dass allergische Reaktionen sich zum anaphylaktischen Schock ausweiten, bleibt manchmal nur wenig Zeit. Neben dem Abbruch der Allergenzufuhr (z. B. Entfernung eines Bienenstachels, Stopp des Nusskonsums) hat sich vor allem Adrenalin zur Selbstinjektion bei der Akuttherapie bewährt. Patienten mit einem erhöhten Risiko für derartige Reaktionen sollten immer ein gut beschriftetes Notfallset bei sich haben.

Für Ersthelfer empfiehlt die „Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie“ aus dem Jahr 2021 folgende Sofortmaßnahmen:

  • Ruhe bewahren und bei der betroffenen Person bleiben
  • Notruf absetzen (Euronotruf 112)
  • Antihistaminikum und weitere Medikamente aus Notfallset verabreichen (z. B. Kortison, Asthmaspray), Adrenalin-Autoinjektor bereithalten
  • Lagerung: bei Atemnot -> hinsetzen, bei Kreislaufbeschwerden -> hinlegen, bei Bewusstlosigkeit -> stabile Seitenlage
  • Im Zweifelsfall Adrenalin-Autoinjektor seitlich in den Oberschenkelmuskel verabreichen.

Fazit

Viele Menschen sind regelmäßig den Allergenen ausgesetzt, auf die sie reagieren. Denn man kann auf sehr viele verschiedene Substanzen allergisch reagieren. Der Schweregrad der Reaktion ist von Person zu Person sehr unterschiedlich, weshalb eine individualisierte Therapie notwendig ist, um potenziell lebensbedrohliche Folgen vorzubeugen. Mit der richtigen Therapie kann jedoch die Lebensqualität von Allergikern deutlich gesteigert werden.

Literatur

Allergieinformationsdienst: Anaphylaktischer Schock – was tun im Notfall? www.allergieinformationsdienst.de (Zugriff: 29.04.2022).
Allergieinformationsdienst: Wie entsteht eine Allergie? www.allergieinformationsdienst.de (Zugriff: 29.04.2022).
Coombs RRA, Gell PGH: The Classification of allergic reactions underlying disease. In: Clinical aspects of immunology. Davis Verlag, Philadelphia (1963).
Ern G, Fischbach R: Der Allergien-Ratgeber. Humboldt, Hannover (2008).
Deutscher Allergie- und Asthmabund: Hyposensibilisierung. www.daab.de (Zugriff: 29.04.2022).
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Hyposensibilisierung (spezifische Immuntherapie) bei Heuschnupfen. www.gesundheitsinformation.de (Zugriff: 29.04.2022).
Kirjavainen PV et al.: Farm-like indoor microbiota in non-farm homes protects children from asthma development. Nat Med 25, pages1089–1095 (2019).
Körner U, Schareina A: Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten. 2. Auflage, Thieme, Stuttgart (2020).
Ring J et al.: Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie – Update 2021. Allergo J Int 30:1-25 (2021).

 

 

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