Begünstigt Vegetarismus Depressionen?
Damit man in der Ernährungsforschung zumindest einen gewissen Grad an Aussagekraft erreicht, werden zunehmend nicht mehr einzelne Studienergebnisse bewertet, sondern mehrere vergleichbare Studien nach einem Schema untersucht. Einer der Autoren der vorliegenden Publikation, Prof. Dr. Sebastian Ocklenburg, Biopsychologe an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) erklärt nochmal kurz, was eine Meta-Analyse auszeichnet: „Das ist eine komplexe statistische Methode, bei der wir die Ergebnisse vieler publizierter Studien zum Thema Depressionen und Vegetarier-sein miteinander integriert haben.“ Dazu analysierten die Wissenschaftler eine Datenmenge von knapp 50 000 Menschen (8 000 vegetarisch lebende Menschen und 42 000 Fleischessende) und verglichen dabei die Punktwerte in Depressions-Fragebögen zwischen den Gruppen. Und was beobachteten die Forscher aus dem Ruhrpott, dem regionalen deutschen Herzen der Currywurst (ohne Hintergedanken!)?
Vegetarier haben höhere Depressionswerte
„Wir konnten zeigen, dass Menschen, die sich vegetarisch ernähren, statistisch signifikant höhere Werte in Depressionsfragebögen aufweisen als diejenigen, die Fleisch essen“, so das Autorenfazit. Dazu sei angemerkt: Das ist zu aller erst – und wie so oft in der Ernährungsforschung – nur ein statistischer Zusammenhang, nicht mehr – aber: auch nicht weniger. Und genau solche Korrelationen offenbaren erneut eines der Kernprobleme der Disziplin, wie auch die hiesigen Forscher klar konstatieren: „Welchen (ursächlichen) Zusammenhang es dabei gibt, konnten wir auf Basis dieser Daten nicht bestimmen.“ Ergo bleibt die Frage nach Ursache und Wirkung, nach Henne und Ei – was war zuerst da und bedingt die Folge? Oder ist alles nur Zufall?
Henne-Ei-Problem: unklar!
Im Zuge der Diskussion stellen die Uni-Wissenschaftler fest, dass es wahrscheinlich nicht so ist, dass die vegetarische Ernährung Depressionen verursacht, sondern dass im zeitlichen Ablauf oft erst eine depressive Stimmung auftritt und dann eine Ernährungsumstellung erfolgt. Könnte sein. Könnte aber auch anders herum sein. Könnte könnte Knusperente.
Das ist das grundlegende Dilemma der Ernährungsforschung – dass sie vorrangig auf Beobachtungsstudien basiert, die Korrelationen aufzeigen, aber keine Kausalität belegen können. Daher sind die Ergebnisse häufig so ernüchternd wie erwartbar: Nichts Genaues weiß man nicht. Und das wird auch immer so bleiben, wenn man die zahlreichen bekannten Limitierungen ökotrophologischer Forschung als Grundlage heranzieht.
Fazit
Genießen Sie Ihr Essen, wenn Sie Hunger haben, weil Sie Lust darauf haben, weil es Ihnen schmeckt – und, das Wichtigste, weil Sie es gut vertragen (!) und das „wohlige Stöhnen aus der Tiefe des Bauches“ sowohl intuitiv als auch Ihrem gesunden Menschenverstand signalisiert: Das war eine richtig gute Mahlzeit. Das ist dann gelebte „Ernährungsforschung“, die individuell nur für Sie gilt.
Hinweise der Redaktion:
Wer wissen möchte, wie es um die eigene Depressivität steht, kann sich über den kurzen Online-Test der München Klinik (MÜK) eine erste Einschätzung holen.
Zum Teufelskreis Adipositas und Depressionen lesen Sie in der ernährung heute 2/2021. Hier geht es zum Heft.
Literatur
Ocklenburg S, Borawski J: Vegetarian diet and depression scores: A meta-analysis. J Affect Disord 294: 813–815 (2021).