Bewegung als Antidepressivum
Eine Reihe von Untersuchungen zeigt, dass Menschen, die zu dick sind, auch ein höheres Risiko tragen, an Depressionen zu erkranken. Umgekehrt scheinen Menschen mit Depressionen eher Gefahr zu laufen, dick zu werden. Forschern zufolge erhöht eine bestehende Adipositas das Risiko für die Entwicklung einer Depression um 55 %. Andererseits steigern Depressionen das spätere Risiko für Adipositas um 58 %.
Depression und Adipositas begünstigen sich gegenseitig
Eine mögliche Erklärung für die Entwicklung von Adipositas sind die bei Depressionen auftretenden Antriebsstörungen und eventuelle Nebeneffekte mancher Psychopharmaka. Umgekehrt gehen mit Adipositas oftmals Diätmisserfolge, Stigmatisierung, ein geringes Selbstwertgefühl und wenig Bewegung einher. Dabei trägt ausreichend Bewegung wesentlich zum Energieverbrauch bei und erhöht die Chancen auf Normalgewicht deutlich. Körperliche Aktivität kann auch für depressive Menschen ein Schlüsselfaktor sein kann.
Abb: Teufelskreis aus Depression und Adipositas.
Wissenswert
Österreich liegt bezüglich der Depressionsprävalenz im europäischen Mittelfeld. Hier zu Lande leiden mindestens 9,5 % Frauen und 5,7 % Männer im Verlauf ihres Lebens einmal an einer Depression. Die Dunkelziffer liegt für beide Geschlechter womöglich weitaus höher. Im Nachbarland Deutschland sind es etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann. Adipös ist in Europa rund jeder Zehnte. Neben den psychologischen Faktoren gibt es eine Reihe weiterer Ursachen, die die Entstehung von Adipositas begünstigen können. Meistens handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel aus mehreren Faktoren. Lesen Sie hier über das multikausale Krankheitsbild Adipositas.
Serotonin steigern!
Sport erzielt laut den aktuellen Erkenntnissen teilweise die gleichen neurophysiologischen Veränderungen wie Antidepressiva. Ähnlich wie Medikamente zur Behandlung von Depressionen setzen körperliche Aktivtäten an der Serotoninaufnahmefähigkeit des Gehirns an. Sie verstärken die Epinephrinaktivität, sorgen für die Ausschüttung verschiedener Faktoren für das Zellwachstum im Gehirn und verhindern das Absterben von Zellen im Hippocampus. Zum Zelluntergang kommt es bei Depressionen, wenn hormonelle Regelkreise gestört sind und folglich die Konzentrationen von Stresshormonen wie Kortisol hoch sind. Hohe Kortisolwerte können dazu führen, dass der Körper vermehrt Fett einlagert. In Stressepisoden, so auch bei einer Depression, aktiviert das Gehirn sein Stresssystem das den Kortisolspiegel und damit das Übergewichtsrisiko steigen lässt (Lesen Sie hier mehr dazu, wie das Gehirn in Belastungssituationen die Energieaufnahme steuert.).
Gleichzeitig essen viele Menschen in depressiven Phasen mehr Emotionales Essverhalten ist eine unbewusste Verhaltensweise, um negative Gefühle zu kompensieren – mit dieser Strategie soll der psychische Druck mit Essen „bekämpft“ werden. Der aufheiternde Effekt hält jedoch nur kurz, denn bei vielen lösen die Essanfälle starke Schuldgefühle aus. Die Stimmung ist dann meist noch schlechter als zuvor, weshalb wieder mehr gegessen wird. Das Ergebnis: ein deutliches Gewichtsplus.
Sport und körperliche Aktivität reduzieren nicht nur die Aktivität des Stresshormons Kortisol, sondern führen auch zur Neubildung hippocampaler Nervenzellen und wirken damit teilweise ähnlich wie Psychopharmaka. Außerdem steigern sie den Kalorienverbrauch und unterstützen so eine ausgewogene Energiebilanz.
Wissenswert
Bekannt ist, dass Fettgewebe vermehrt Entzündungsmediatoren wie Zytokine produzieren, die das Gefühl von Abgeschlagenheit und Energielosigkeit fördern. Sie können zur Entwicklung einer Depression beitragen, da Zytokine verschiedene Botenstoffe des Gehirns beeinflussen. Sie hemmen beispielweise den Abbau der Aminosäure Tryptophan. Dieses wiederum ist ein Vorläufer des Nervenbotenstoffs Serotonin, der für gute Stimmung sorgt, aber in diesem Fall nicht entsteht. Zudem weisen depressive Menschen, die zusätzlich adipös sind, erhöhte Zytokinwerte auf.
Trotz zahlreicher Studien zu Sport- und Bewegungstherapie gilt ihre eigenständige Wirkung gegen Depressionen nicht als nachgewiesen.
Ob und vor allem in welchem Ausmaß Sport und körperliche Aktivität als eine Ergänzung oder sogar Alternative zu Medikamenten bei leichten Depressionen sein können, wird zurzeit untersucht. Zu diesem Zweck untersuchen Forscher, wie sich psychosoziale Belastungen bei mehrwöchigen Bewegungsprogrammen entwickeln.
Gute Ergebnisse bei Kindern
Vielversprechende Resultate einer Bewegungsintervention bestehend aus Kraft-, Ausdauer- und Koordinationstraining gibt es für Kinder. Eine Studie mit 105 adipösen Mädchen und Jungen (im Alter zwischen acht und elf Jahren) mit einer diagnostizierten Depression zeigte: Bewegten sich die Kinder zwei Mal wöchentlich für 50 Minuten, verbesserte sich innerhalb von 20 Wochen ihre Laune und ihr Selbstwertgefühl. In den Befragungen gaben sie an, sich deutlich wohler in ihrem Körper zu fühlen und weniger negative Gedanken zu haben. Obwohl sie nur geringfügig an Körpergewicht abnahmen, deuten die Ergebnisse auf ein erfolgreiches Therapiekonzept. In wie weit die Intervention die mentale Gesundheit nachhaltig verbessern kann, soll in weiterführenden Studien mit höheren Teilnehmerzahlen geklärt werden.
Wissenswert
Die offiziellen Bewegungsempfehlungen lauten: rund 150 Minuten in der Woche moderat bewegen oder 75 Minuten intensiv. Moderat heißt: man kann noch reden, aber nicht mehr singen!
Fazit
Körperliche Aktivität steuert einerseits der Entwicklung von Übergewicht und Adipositas entgegen und mindert so das Risiko für Depressionen, andererseits wirkt Sport selbst antidepressiv. Wie man es also dreht und wendet: Die Bedeutung von körperlicher Aktivität darf für die psychische und physische Gesundheit nicht unterschätzt werden. Angesichts der Kosten für Therapien und Medikamente wäre Sport eine günstige Alternative mit nur wenigen Nebenwirkungen. Denn viele Antidepressiva haben wiederum die unangenehme Nebenwirkung die Gewichtszunahme zu fördern.
Buchtipp
Jansen P, Hoja S
Glücklich durch Sport?
Hogrefe, Göttingen (2020)
ISBN: 978-3-456-85993-4
Zur Rezension.
Literatur
Nowotny M et al.: Depressionsbericht Österreich. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BMASGK), Wien (2019).
Luppino FS et al.: Overweight, Obesity, and Depression: A Systematic Review and Meta-analysis of Longitudinal Studies. Arch Gen Psychiatry 67: 220–229 (2010).
Wegner M et al.: Effects of exercise on anxiety and depression disorders: Review of meta-analyses and neurobiological mechanisms. CNS Neurol Disord Drug Targets 13(6): 1002–1014 (2014).
Romero-Pérez EM et al.: Influence of a physical exercise program in the anxiety and depression in children with obesity. Int J Environ Res Public Health 17(13): 4655 (2020).
Milrad SF: Depression, evening salivary cortisol and inflammation in chronic fatigue syndrome: a psychoneuroendocrinological structural regression model. Int J Psychophysiol 131: 124–130 (2018).
Schmidt FM et al.: Inflammatory cytokines in general and central obesity and modulating effects of physical activity. PloS one 10(3): e0121971 (2015).