Brot – Tradition, Trend, Trademark
Brot ist heute das, wozu wir es gemacht haben: Es ist Trendprodukt genauso wie Grundnahrungsmittel, Genussmittel ebenso wie Magenfüller. Oder nüchtern betrachtet:
Träger von Nährstoffen und Ballaststoffen. Woran denken Sie, wenn Sie die Definition „zusammenklebende Polysaccharide, in denen lebenswichtige Mineralstoffe und Vitamine enthalten sind“ lesen? Dabei handelt es sich um die Brotdefinition eines Chemikers (Kaindl 2013). Eine sensorische Brotbeschreibung ist eindeutig lustbetonter: walnussbraun, mostig, frisch-grün-herb, kompakt! Schon seit 8000 Jahren wird Brot gegessen. Brot hat aber nicht nur per se Tradition, es sind auch einzelne Brot- und Gebäcksorten, die traditionelle Bedeutung erlangt haben.
Brottradition im Jahreszyklus
Primär sind es religiöse Feiertage, die Brot im Jahreszyklus aufgreifen. Zwar sind viele der ursprünglich religiösen Gebäcksorten heute das ganze Jahr verfügbar. Andere gibt es aber nach wie vor ausschließlich zu einer bestimmten Jahreszeit, quasi als Limited Edition.
Neujahrsgebäck wird traditionell in Form von Bäumen, Tieren, Brezeln, Kränzen oder Zöpfen gebacken. Die symbolische Bedeutung der Neujahrsbäckerei lag ursprünglich im Schutz vor Hunger, Krankheit und Unglück. Brezel und Kranz symbolisierten darüber hinaus Verbundenheit. Der Schenker und der Beschenkte aßen es meist gemeinsam.
Auch wenn Brezen heute jahraus, jahrein in Form von Bier- oder Laugenbrezen verfügbar sind, so war die Breze traditionell ein Fastenzeit-Gebäck. Die Brezenform spiegelt verschränkte Arme wider – ein Zeichen der Besinnung, des In-sich-gekehrt-Seins. Die heutige Form haben Brezen seit dem 11. Jahrhundert. Auch Beigl, ein rundes Laugengebäck, gibt es nur in der Fastenzeit.
Zu Ostern haben unterschiedliche Brote Tradition: Osterflecken, Osterkipferl, Pinzen oder Weihbrot. Die Formen von Osterflecken und Kipferl sind an Sonne und Mond angelehnt. Stimmig, ist doch Ostern immer am ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond datiert. Weihbrot ist ein Weißbrot, das mit Milch hergestellt wird. Die süße Pinze hat ihren Ursprung in Friaul und Veneto. Die typische Form erhält die Pinze, indem der Germteig mit einer Schere eingeschnitten wird.
Dann folgt eine Jahreszeit, in der traditionelle Brote nur regionale Bedeutung haben. So findet man zu Pfingsten in manchen Gegenden der Steiermark „Heilig-Geist-Vögel“.
Im Herbst hat der Allerheiligen- oder Allerseelenstriezel Tradition. Er geht auf die Antike zurück, als man sich als Zeichen von Trauer die geflochtenen Haare abschnitt. Der Striezel verbindet die Lebenden mit den Verstorbenen. Früher wurden Allerheiligenstriezel an Arme und Dienstboten als Spendenbrot verschenkt, stellvertretend für die Seelen der Verstorbenen, und auch Patenkinder erhielten den Striezel. Den Brauch, Spendenbrote zu verteilen, gab es bis zum Zweiten Weltkrieg und wurde seither kaum revitalisiert. Den Allerheiligenstriezel gibt es aber noch.
Martinihörndln gibt es am 11. November. Auch in Deutschland sind Gebäckstücke am Martinstag üblich: aus Germteig mit Rosinen, manchmal in Form einer Martinigans, als süße Martinsbrezel mit Hagelzucker bestreut oder als Laugenbrezel.
Krampusse werden aus Brioche- oder Semmelteig geformt und mit Rosinenaugen dekoriert. Eine oberösterreichische Advent-Spezialität ist das Störibrot. Es wird aus Weizenmehl und hellem Roggenmehl gebacken und mit Anis gewürzt. Der Name des Brotes leitet sich vom althochdeutschen „Stere“ (= Kraft) ab. Im steirischen Sulmtal wird am 13. Dezember traditionell Luziabrot aus Maismehl gegessen, das gar vor Hundebiss schützen soll. Am 21. Dezember, am ehemaligen Thomastag, wurden früher Thomasradl und Thomasringl gebacken und an Kinder verschenkt. Auch Kletzenbrot, Stollen und Bischofsbrot mit Rosinen und kandierten Früchten sind typisch für die Vorweihnachtszeit.
Tradition im Lebenszyklus
Traditionelles Gebäck gibt es sowohl anlässlich der Geburt als auch am Lebensende. Der Weisertwecken ist ein Weizengebäck, dessen Länge vom Geburtsgewicht des Neugeborenen bestimmt wird. Der Name Weisert stammt entweder vom althochdeutschen Wort „Wisod“ (= Geschenk) oder vom lateinischen „visitare“ (= besuchen) ab. Und sagt damit auch aus, was er ursprünglich war: ein Geschenk zur Geburt eines Kindes.
Brot und Salz schenkt man auch heute noch in manchen ländlichen Gegenden beim Einzug in ein neues Haus oder eine Wohnung – da beide in einem „guten Haushalt“ niemals ausgehen dürfen, so die Tradition. Auch zu Hochzeiten ist dieser Brauch üblich. Und schon ein Sprichwort sagt: „Brot und Salz, Gott erhalt’s.“
Brot als LEBENS-Mittel hat auch Bedeutung am Lebensende. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Seligkeit des Verstorbenen von der Menge Brot, die vor der Leiche aufgetragen wird, abhängen könnte. Schon früher wurden beim Leichenschmaus mit Gewürzen bestreute „Gebildebrote“ verzehrt, um böse Geister abzuwehren. Nach wie vor hat eine mit Anis bestreute Totensemmel beim Leichenschmaus Tradition.
Trendprodukt Brot?
Wie kann ein Brot mit derart langer Tradition dennoch trendig sein? Indem es etwas Neues bietet – auch wenn sich Neues manchmal durchaus an Altem orientiert. Hanni Rützler und Harry Gatterer beschreiben in ihrer Trendstudie Brot vier Trendfelder, vier „Möglichkeitsräume“,
für große und kleine Bäcker:
1. Globalkultur: In unserer globalisierten Welt entsteht ein verstärktes Bedürfnis nach Echtheit und Sicherheit. Regionale Produkte, ursprüngliche Rezepte und alte Bräuche vermitteln diese sehr authentisch. Nachhaltigkeit kann künftig kein Schlagwort mehr sein, sondern muss gelebt werden. Auch entsteht eine Kultur des Teilens statt Besitzens. Teilen, das sich im Brotbrechen ausdrückt, bekommt einen neuen Stellenwert.
2. De-Industrialisierung: Die Industrialisierung von Lebensmitteln hat zur Entfremdung von Produzenten und Konsumenten beigetragen. De-Industrialisierung ist demgemäß nicht als Auflösung der Massenanfertigung zu verstehen, sondern als eine für den Endverbraucher transparente Produktionsweise. Aussehen, Geruch und Geschmack von Brot gewinnen gegenüber Lagerfähigkeit oder Nährwert an Bedeutung.
3. Neo-Inszenierung: Der Schein darf nicht trügen. Die Optik ist zwar wichtig, die Sinnebene gewinnt aber an Bedeutung. Handwerkliche Herstellung erzeugt entsprechende Wertschätzung für das Produkt Brot. Schaubäckereien ermöglichen Kunden Einblicke in die Produktion, es entsteht eine Nähe zwischen Bäcker, Brot und Konsument.
4. Ernährungsbiografie: Essen heißt auch Kommunizieren. Wir teilen anderen Menschen durch das, was wir essen, auch unsere Werte mit. Genuss wird heute als ein Schlüssel zur Gesundheit anerkannt, bedeutet Genießen doch eine ganzheitliche Empfindung, die Körper und Geist betrifft
Wissenswert
Die Trendstudie Brot wurde von Hanni Rützler (futurefoodstudio) und Harry Gatterer (Zukunftsinstitut) im Auftrag von Backaldrin 2012 verfasst.
„Überall bäckt man das Brot im Ofen“
Die vergangenen Jahre haben in Städten gezeigt, welches Potenzial im handwerklichen Brotsektor liegt. Bäcker sprechen zunehmend die genannten vier Trendfelder an: Regionales Getreide wird verstärkt verwendet, nach alten Rezepten gebacken und handwerklich geformt. Holzofenbrote, die früher nur auf Bauernhöfen beheimatet waren, sind für urban lebende Menschen heute neu. Konsumenten stehen Schlange bei Bäckereien, die gute Holzofenbrote verkaufen. Manche Bäcker verzichten auf Fertigmischungen – und weisen ihre Kunden darauf hin. Bio, Slow Baking und Ökostrom sind vielleicht nur für eine kleine, aber vorhandene Käuferschicht ein nachvollziehbarer Grund, mehr zu bezahlen.
Manuell hergestellte Ware ist mehr als nur Nostalgie. Eine Handsemmel muss nicht nur händisch geformt werden, sondern zeichnet sich auch durch eine mindestens zweistündige Teigführung aus. Für maschinell hergestellte Semmeln gibt es im Österreichischen Lebensmittelbuch (Codex alimentarius) keine Vorgabe dazu.
Der Verbraucher kann in manchen Schaubetrieben beim händischen oder maschinellen Produktionsprozess zusehen. Er kann sich über Brot in Bäckermuseen informieren und sich in „Brotboutiquen“ bereits beim Anstellen in der Schlange der Vorfreude hingeben. Manche Bäcker haben soziale Medien als Teil der Erfolgsstrategie erkannt. Denn auch virtuelle Präsenz kann Vertrauen schaffen.
Und während lange Zeit nur eine Koexistenz aus Vollkornbrot und Nichtvollkornbrot existierte, gibt es neuerdings Halbvollkornbrote – eine sinnvolle Lösung für Menschen, die Vollkorn schlechter vertragen oder denen reines Vollkorn weniger gut schmeckt. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe.
Brottrends international
Auch international hat sich viel in Sachen Brotkultur getan. In Frankreich, lange Zeit ausschließlich mit Baguette assoziiert, hat sich insbesondere in Paris eine breitere Brotkultur entwickelt. Auch in London findet man heute Bäckereien, die Roggensauerteigbrote und Spezialbrote mit den unterschiedlichsten Zutaten verkaufen. Vor zehn Jahren gab es das noch kaum. Vorgeschnittenes Weißbrot ist in England zwar mit Abstand immer noch das meistverbreitete Brot, befindet sich allerdings am absteigenden Ast. Auch das ist eine Folge der Globalisierung. Vor 85 Jahren wurde übrigens vorgeschnittenes Weißbrot als Brottrend in den USA groß gefeiert:
“The housewife can well experience a thrill of pleasure when she first sees a loaf of this bread with each slice the exact counterpart of its fellows. So neat and precise are the slices, and so definitely better than anyone could possibly slice by hand with a bread knife that one realizes instantly that here is a refinement that will receive a hearty and permanent welcome”, so ein amerikanischer Reporter 1928 (Bobrow-Strain 2012)
Die Redewendung „The greatest thing since sliced bread“ wird heute immer noch häufig verwendet, wenn etwas besonders gut ist.
Farbenfroh
Vorgeschnittenes Weißbrot hat im Schwarzbrotland Österreich keinen vergleichbaren Stellenwert wie im angloamerikanischen Raum, Brot ist hierzulande vielfältig und farbenfroh. Vollkornbrot erkennt man allerdings nicht einfach an der Farbe. Denn der Zusatz von Röstmehl trägt nicht nur zum Röstaroma, sondern auch zur Farbe bei. Auch gibt es einen Weißweizen, dessen Vollkornmehl dem weißen Auszugsmehl ähnlich sieht. Spezielle Getreide erweitern die Farbpalette. So ist Purpurweizen aufgrund seines Gehalts an Anthocyanen purpurrot gefärbt. Biodiversität willkommen!
Der Artikel wurde veröffentlicht in der ernährung heute 4_2013 "Kulinarische Strömungen".
Literatur
Bobrow-Strain A: White Bread. A Social History of the Store-bought Loaf. Beacon Press (2012).
forum. ernährung heute (Hrsg.): Smart Food Choice. Einkauf leicht gemacht (2013).
Galler W: Unser täglich Brot. Von Bäckern, Müllern und Bauern im Waldviertel. Edition WinklerHermaden (2013).
Kaindl H: Ausstellungskatalog. Achtung Brot. Alltag –Brauchtum –Glaube. Diözesanmuseum, Graz (2013).
Österreichisches Lebensmittelbuch. IV. Auflage. Codex Kapitel B18 Backerzeugnisse.
Rützler H, Gatterer H: Trendstudie Brot. Zukunftschancen und Herausforderungen der Brotbranchen. Backaldrin (Hrsg.) (2012).
de.wikipedia.org/wiki/Martinstag (Zugriff am 15.11.2013).
de.wikipedia.org/wiki/Weisat (Zugriff am 15.11.2013).
de.wikipedia.org/wiki/Neujahrsgebäck (Zugriff am 15.11.2013).
de.wikipedia.org/wiki/Allerheiligenstriezel (Zugriff am 15.11.2013).
en.wikipedia.org/wiki/Sliced_bread (Zugriff am 15.11.2013).
Orr G: Give us our daily artisan bread: How did we gain a passion for seeded sourdoughs and hand-crafted ryes? www.independent.co.uk/life-style/food-and-drink/features/give-us-our-daily-artisan-breadhow-did-we-gain-a-passion-for-seeded-sourdoughs-and-handcrafted-ryes-8569192.html (Zugriff am 15.11.2013).