Diabetes und Ramadan
Der Ramadan ist der Fastenmonat im Islam. Als neunter Monat des islamischen Mondkalenders beginnt er mit Neumond und dauert 29 oder 30 Tage. Während dieser Zeit verzichten die Gläubigen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gänzlich auf Essen und Trinken. Zusätzlich sollen sie unter Tags nicht rauchen und sich sexuell enthalten. Ist die Sonne untergegangen, versammelt sich die Familie, um gemeinsam nach dem Abendgebet das Fasten zu brechen (arab. Iftar). Traditionell passiert das mit einer Dattel. Das Fasten ist dabei eine Form des Dienstes an Gott und gehört zu den sogenannten fünf Säulen des Islam. Diese bezeichnen die Hauptpflichten eines gläubigen Muslims. Dazu zählen neben dem Fasten (Saum) auch das Glaubensbekenntnis zu Allah und Mohammed (Shahada), das fünfmalige tägliche Gebet (Salat), die Pflicht zur Almosengabe (Zakat) sowie die Wallfahrt nach Mekka (Hadj).
Wissenswert
Im Jahr 2021 beginnt der Ramadan am Abend des 12. Aprils und dauert bis zum Abend des 11. Mai. Gerechnet wird nach dem Mondkalender. Anders als im Gregorianischen Sonnenkalender ist das Jahr kürzer und hat nur 354 Tage. So verschiebt sich der Ramadan jedes Jahr um zehn oder elf Tage nach vor und durchläuft allmählich den Jahreszyklus. Fasten ist in den Sommermonaten schwieriger, da die Tage länger sind als im Winter. Gäbe es eine fixe Jahreszeit, hätten die Gläubigen je nach Erdteil einen Vor- oder Nachteil.
Diabetiker fasten häufig
Laut Koran muss nicht jeder Gläubige den Ramadan begehen. Nur wer das Fasten ohne gesundheitlichen Schaden durchführen kann, ist zu diesem Gebot verpflichtet. Ausgenommen sind damit unter anderem altersschwache, kranke und chronisch kranke Menschen sowie menstruierende, schwangere oder stillende Frauen. Auch Kinder müssen bis zum Erreichen der Pubertät nicht fasten. Jene Personen, deren Belastbarkeit sich zu einem späteren Zeitpunkt verbessern wird (z. B. Schwangere) holen die versäumten Tage nach, während jene, deren gesundheitliche Situation sich voraussichtlich nicht ändert, als Ersatzleistung für jeden Fastentag einen Bedürftigen speisen sollen (Fidya). In der Praxis wird stattdessen häufig Geld gespendet. Trotz der expliziten Befreiung entscheiden sich viele Muslime mit Diabetes dennoch für das Fasten. So zeigte eine Studie mit rund 1750 Typ-2-Diabetikern aus dem Jahr 2019, dass über die Hälfte der Teilnehmer (57,3 %) den gesamten Ramadan fasteten.
Schätzungen der International Diabetes Federation (IDF) zufolge leben weltweit 463 Millionen Menschen mit Diabetes. Diese Anzahl wird sich in Regionen mit großem muslimischem Bevölkerungsanteil wie im Nahen Osten und Nordafrika bis 2045 voraussichtlich mehr als verdoppeln. Ähnliche Prognosen gibt es für Südostasien, wo der Islam ebenfalls weit verbreitet ist.
Wissenswert
Mit dem Fest des Fastenbrechens (Eid al-Fitr), das je nach Region zwei bis drei Tage dauert, beenden Muslime weltweit den Ramadan. Im Türkischen wird es auch Zuckerfest (Seker Bayrami) genannt, da häufig süße Speisen verzehrt und Süßigkeiten verschenkt werden.
Blutzuckermanagement schwierig
Während das Fasten bei gesunden Erwachsenen mitunter auch zu einer Gewichtsabnahme oder verbesserten Blutfettwerten führen kann, steigt bei Menschen mit Diabetes das Risiko für eine Über- oder Unterzuckerung (Hypo- und Hyperglykämie), Dehydrierung sowie einer Übersäuerung des Blutes, die für Diabetiker lebensgefährlich sein kann (Ketoazidose). Während unter Tags die Zuckerzufuhr ausbleibt, wird das abendliche Fastenbrechen oft zu einem Festmahl mit großen Mengen kohlenhydratreicher Lebensmittel, die den Blutzucker ansteigen lassen. Im Ramadan verändern sich jedoch nicht nur der Zeitpunkt und die Menge des Essens, auch zirkadiane Rhythmen können durch das ungewohnte Schlafmuster gestört werden. Bereits vor Sonnenaufgang aufzustehen, um noch etwas essen zu können, und bis nach Sonnenuntergang aufzubleiben, beeinflusst den Stoffwechsel ebenfalls. Die Ernährungstherapie spielt folglich eine wichtige Rolle bei der Begleitung von Diabetikern in dieser Zeit. Generell gilt: Bei sehr niedrigen (< 70 mg/dl) oder sehr hohen (> 300 mg/dl) Blutzuckerwerten, bei Symptomen einer Hypo- oder Hyperglykämie sowie bei ersten Anzeichen einer Dehydrierung sollte das Fasten unterbrochen werden. Zusätzlich sollte bereits vor Sonnenaufgang viel getrunken werden. Eine Studie von Zainudin et al. mit 92 Diabetikern zeigte, dass zwar 71 % der Betroffenen ihren Arzt während des Ramadan aufsuchten, allerdings über ein Drittel den eigenen Blutzucker nicht kontrollierte. Beinahe die Hälfte der Probanden (47 %) wies eine Unterzuckerung auf. Rund 11 % davon behielten das Fasten dennoch bei. Diese Daten verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Wünsche der Gläubigen zu respektieren und ihnen aufzuzeigen, wie sie ihr Diabetesmanagement optimieren können.
Strategien für bessere Ernährungstherapie
Zum Thema Diabetesmanagement während des Ramadans gibt es bisher nur wenige Studien, jedoch zeigten Almansour et al. in einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017, dass nach wie vor Defizite beim Wissen von Fachkräften bestehen. Gesundheitspersonal wie Apotheker und Allgemeinärzte würden Muslime mit Diabetes in der Fastenzeit gerne unterstützen, allerdings wäre eine verstärkte Weiterbildung in puncto klinischer und kultureller Aspekte notwendig, um dem auch nachkommen zu können. Die IDF hat bereits 2016 in Zusammenarbeit mit der Diabetes and Ramadan (DAR) International Alliance erste Richtlinien für die Praxis erstellt. Die Diabetes and Ramadan – Practical Guidelines wurden 2021 in überarbeiteter Form veröffentlicht und richten sich mit Hintergrundinformationen sowie konkreten Handlungsempfehlungen an medizinisches Fachpersonal. Die Leitlinie umfasst mehrere Teile wie Epidemiologie, Physiologie des Fastens, Risikoabschätzung, Ernährungsempfehlungen sowie die Einstellung der Medikamente. Besonderer Fokus liegt dabei stets auf der Individualisierung der Therapie. So sollten Personen mit Diabetes unter anderem eine Prä-Ramadan-Erhebung mit ihren behandelnden Ärzten und Ernährungsberatern vereinbaren, um zu beleuchten ob und wie gefastet werden kann. Auf diese Weise kann das Risiko besser eingeschätzt und ein individueller Behandlungsplan erstellt werden. Ein weiteres Tool ist der Ramadan-Nutrition-Plan (RNP). Diese mobile und webbasierte Anwendung soll Fachkräfte bei der Therapiefindung unterstützen, u.a. mit Informationen zu regionalen und kulturellen Unterschieden. Der RNP bietet zusätzlich eine Patientenplattform, die weiterführende Informationen und beispielhafte Ernährungspläne für verschiedene Länder und Regionen umfasst. Besonders für Menschen ohne Zugang zu personalisierter Ernährungsberatung kann das nützlich sein.
Fazit
Auch wenn der Ramadan hinsichtlich Blutzuckerschwankungen mit gesundheitlichen Risiken einhergehen kann, möchte ein großer Teil muslimischer Diabetiker am Fastenritual teilnehmen. Betroffene wie betreuende Gesundheitsfachkräfte werden damit vor große Herausforderungen gestellt. In der IDF-DAR-Leitlinie werden religiöse und klinische Aspekte des Fastens für Personen mit Diabetes erläutert und sollen so für mehr Verständnis und eine optimierte Ernährungstherapie sorgen. Der Ramadan-Nutrition-Plan bietet ebenfalls Orientierung für Fachkräfte und Patienten.
Literatur
Almansour HA, et al.: Fasting, Diabetes, and Optimizing Health Outcomes for Ramadan Observers: A Literature Review. Diabetes Ther 8(2): 227–249 (2017).
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Dürfen Diabetiker während des Ramadans fasten? www.dge.de (Zugriff: 26.03.2021).
Hassanein M et al.: The characteristics and pattern of care for the type 2 diabetes mellitus population in the MENA region during Ramadan: An international prospective study (DAR-MENA T2DM). Diabetes Res Clin Pract 151:275-284 (2019).
International Diabetes Federation and DAR International Alliance: Diabetes and Ramadan: Practical Guidelines – 2021. International Diabetes Federation (Hrsg.), Brüssel (2021).
Islamisches Zentrum Wien: Fasten im Ramadan. www.izwien.at (Zugriff: 26.03.2021).
Zainudin SB et al.: Knowledge of diabetes mellitus and safe practices during Ramadan fasting among Muslim patients with diabetes mellitus in Singapore. Singapore Med J 58(5): 246–252 (2017).