Die "gourmandeske" Endlosschleife unterbrechen
Gerade zur besinnlichsten Zeit des Jahres wird der Zenit des Stresspegels erreicht. Unser Körper reagiert auf die Reizüberflutung durch blinkende Weihnachtsmänner wie jener unserer Vorfahren auf eine potenzielle Gefahrensituation: Die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin kurbeln als Antwort des Körpers den Puls, den Blutdruck und die Atemfrequenz an. Außerdem werden vermehrt rote Blutkörperchen (Erythrozyten) freigesetzt, um der erhöhten Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe zu begegnen. In kurzzeitigen Stressphasen flaut der Appetit ab und die Verdauung wird vernachlässigt. Bei chronischem Stress hingegen sieht das anders aus: Der Appetit steigt.
Warum? Dauerstress verstärkt die Aktivität der sogenannten Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA). Ihr Endprodukt, Kortisol, wird dadurch vermehrt ausgeschüttet. Kortisol beeinflusst sowohl den Eiweiß-, Kohlenhydrat- und Fetthaushalt, das Immunsystem als auch die Gehirnfunktion. Kortisol steuert auch die Nahrungsmittelauswahl, indem es den Appetit auf Kohlenhydrate und Fett anregt und zudem den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme reguliert. Frauen mit einer intensiven Kortisolantwort tendieren eher zu energiedichten Lebensmitteln in der Erholungsphase von Stress. Ein anderer Grund, warum für manche Menschen in Stresssituationen Schokolade verführerischer winkt als Weintrauben, könnte daran liegen, dass sie grundsätzlich gezügelt essen: Oftmals sind es gerade Frauen, die die Kalorienaufnahme im Alltag strikt einschränken und dem Genuss entsagen. In Stresssituationen schlagen sie dann aber umso heftiger zu.
Mehr zum Thema „Restriktives Essen" lesen Sie im Artikel „An den Zügeln" in der ernährung heute 3/2008.
Die Katze beißt sich in den Schweif
Nochmal zurück zur Aktivität der HPA-Achse: Sie kann nicht nur durch chronischen Stress stärker aktiviert, sondern auch durch die Zusammensetzung der Nahrung modifiziert werden: Ratten wiesen bei einer Diät mit chronisch gesteigertem Fettanteil eine erhöhte Grundaktivität der HPA-Achse auf. Ähnliche Ergebnisse konnten bei einem hohen Anteil an tierischem Eiweiß beobachtet werden. In beiden Fällen wird dadurch mehr Kortisol in Umlauf gebracht und der Appetit nimmt zu. Überdies scheint der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme eine Rolle für die Plasmakortisolkonzentration zu spielen: Nach Mahlzeiten etwa steigt diese an, durch mindestens dreitägiges Fasten wird sie indessen reduziert. So wird im Hungerzustand auch unter Stress weniger Kortisol freigesetzt und folglich weniger gegessen. Isst man dagegen (deftig), steigt der Gusto auf mehr.
Dem Teufelskreis entkommen
Um die HPA-Achsen-Kaskade zu unterbrechen, ist es also auf der einen Seite wichtig, psychischen Stress zu reduzieren und andererseits auf eine gesunde Ernährungsweise zu achten. Weil Fett und Eiweiß die Aktivität der HPA-Achse erhöhen, wird der Körper im Stresszustand am besten mit komplexen Kohlenhydraten (Brot, Nudeln, Reis) zufrieden gestellt. Sie erzielen eine geringere Kortisolantwort und werden zudem während der Verdauung in mehreren Schritten zerlegt, wodurch es zu weniger starken Schwankungen des Blutzuckerspiegels kommt. Kohlenhydrate bewirken auch eine vermehrte Synthese des Glückshormons Serotonin, das in den Wintermonaten verstärkt abgebaut wird. Gerade in Belastungsphasen ist auch besonders auf die Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen zu achten: Antioxidative Vitamine wie Vitamin C, Vitamin E und Betakarotin helfen, die schädliche Wirkung von freien Radikalen zu hemmen. Vitamin C ist zudem unmittelbar an der Bildung von Adrenalin und Noradrenalin beteiligt, woraus sich ein erhöhter Bedarf in Stresssituationen ergibt. B-Vitamine werden benötigt, um den nervlichen Belastungen Stand zu halten und die Leistungsfähigkeit positiv zu beeinflussen. Magnesium wirkt an der Produktion von Stresshormonen mit. Daher verlangt der Körper nach einem Mehr. Wichtig ist der Mineralstoff auch für unser Nerven- und Muskelkostüm, genauso wie Kalzium und Kalium.
Die Seele isst mit
Der Allrounder unter den Anti-Stress-Vitaminquellen ist ein Glas frisch gepresster Orangen-Karottensaft mit einem Schuss Pflanzenöl. Rapsöl oder Leinöl ermöglichen die Aufnahme von Betakarotin aus den Karotten und sind gleichzeitig eine Vitamin E-Quelle. Als wärmender Snack zwischen Tür und Angel der festlich dekorierten Konsumpaläste bieten sich Maroni an. Sie sind nicht nur reich an komplexen Kohlenhydraten, sondern auch an Folsäure, B-Vitaminen und Kalium, Magnesium und Phosphor. Den kulinarischen Köstlichkeiten um die Weihnachtszeit komplett zu entsagen, wäre verkehrt. Denn in Maßen genossen, können sie uns auch entspannen. Gewürze wie Muskat, Zimt, Nelke und Anis enthalten zwei Gruppen von chemischen Verbindungen, die als Vorstufen der euphorisierenden Amphetamine gelten - und die halten uns bei Laune.
Gegen Stress lässt sich auch mit Genuss gegensteuern. Lesen sie hier mehr, wie man sich die Weihnachtszeit stressfrei und ohne Nachsehen schmecken lassen kann.
Spazierengehen lohnt sich
Last but not least: Jede Form körperlicher Aktivität hilft, Stress abzubauen und die Energiebilanz zu verbessern. Die Muskelaktivität wirkt entspannend, Stresshormone werden reduziert und stimmungsaufhellende Neurotransmitter freigesetzt. Erwachsene sollten sich mindestens eine halbe Stunde pro Tag bewegen, Kinder das Doppelte - egal zu welcher Jahreszeit.
Literatur
Waladkhani AR, Hellhammer J: Dietary modification of brain function: effects on neuroendocrine and psychological determinants of mental health- and stress-related disorders. Adv Clin Chem. 45: 99-138 (2008).
Kirschbaum C: Das Stresshormon Cortisol - Ein Bindeglied zwischen Psyche und Soma? Jahrbuch der HHU 2001.
Idle JR: Christmas gingerbread (Lebkuchen) and Christmas cheer - a review of the potential role of mood elevating amphetamine-like compounds formed in vivo and in furno. Prague Med Rep. 106: 27-38 (2005).