19.12.2022 von Elisabeth Sperr, MSc

Ehrliche Kommunikation für Tierwohl

Mehr Tierwohl wird oft gefordert, doch selten gekauft. Der Grund ist, wie so oft, der Preis. Doch wie kann es gelingen, dass sich moralische Haltungen und Werte nicht nur in Umfragen, sondern auch tatsächlich im Kaufverhalten niederschlagen? Ein Diskussionsbericht.

Die Konsumenten wollen tierische Produkte wie Milch, Fleisch und Eier mit gutem Gewissen kaufen. Ein Wunsch, dem der Handel nachkommen möchte. Zudem haben die Landwirte sowohl aus emotionaler als auch ökonomischer Sicht großes Interesse daran, mit Tieren zu arbeiten, die gesund sind und sich wohlfühlen. Obwohl sich alle Beteiligten in Produktion, Handel, Verbraucher- und Tierschutz mehr Tierwohl wünschen, bleibt das Thema schwierig. Warum das so ist, diskutierten Christina Mutenthaler, Prokuristin der AMA-Marketing (ab Jänner 2023 Geschäftsführerin), Eva Rosenberg, Direktorin von Vier Pfoten Österreich, und Roman Vilgut, Redakteur der Kleinen Zeitung, mit Ursula Riegler im Rahmen des 10. f.eh-Symposiums am 13. September 2022 im Apothekertrakt Schönbrunn.

„Es gibt kein billiges Fleisch. Irgendjemand zahlt immer den Preis“, so Eva Rosenberg. Denn der Preisdruck im Handel hat negative Auswirkungen auf Tier, Mensch und Umwelt. „Für ein nachhaltiges System geht es daher darum, die Anzahl der sogenannten Nutztiere zu reduzieren und parallel dazu deren Haltungsbedingungen zu verbessern“, betonte sie. Maßnahmen wie geringere Besatzdichten oder großzügig dimensionierte Ställe bieten mehr Tierwohl, sind jedoch für die Produzenten mit erheblichen Mehrkosten und teilweise teuren Umbauarbeiten verbunden. Das sind Investitionen, die sich viele Betriebe – besonders jene mit kleineren Strukturen – nicht ohne weiteres leisten können. „Gerade bei vielen jungen Landwirten ist die Bereitschaft groß, nach hohen Tierwohlstandards zu produzieren, aber sie brauchen auch eine finanzielle Planungssicherheit, um ihre Existenz zu gewährleisten“, erklärte Mutenthaler die Sorge der Branche, keinen entsprechenden Absatz für teures heimisches Fleisch zu erzielen.

Fünf Freiheiten als Basis

Hinzu kommt, dass es für den Begriff Tierwohl keine allgemeingültige Definition gibt. Das macht ihn für die Konsumenten schwer greifbar. Grundsätzlich geht man von drei Punkten aus, die entscheidend sind: die Tiergesundheit; die Möglichkeit, den natürlichen Verhaltensweisen nachzugehen; das Wohlbefinden des Tieres. Die Grundlage für viele Bewertungssysteme bildet Eva Rosenberg zufolge das Konzept der „Fünf Freiheiten“. Die Tiere sollen frei von Hunger und Durst, von haltungsbedingten Beschwerden, von Schmerzen, Verletzungen und Krankheiten, von Angst und Stress sein sowie die Freiheit zum Ausleben normaler Verhaltensmuster haben. „Das Leben im Sozialgefüge oder Beschäftigungsmaterialien bedeuten positive psychische Erlebnisse und die sind für das Tierwohl essenziell“, bestärkte Rosenberg.

Idylle vs. Realität

Während in der Wunschvorstellung die glücklichen Hühner auf der Wiese scharren, die Schweine sich im Schlamm suhlen und die Kühe auf den Almen weiden, sieht der Alltag in vielen Betrieben oft anders aus. Brauchen wir die Idylle in der Vorstellung, weil wir verlernt haben, mit der Realität umzugehen? Die drei Diskutierenden bestätigen jedenfalls, dass sich die Konsumenten weiter von der Produktion entfernen. Das macht es schwierig, die landwirtschaftliche Wirklichkeit adäquat einzuschätzen. „Um die Verbindung von artgerechter Tierhaltung und wirtschaftlicher Tragbarkeit zu verstehen, braucht es mehr ehrliche Kommunikation. Denn in der Wahrnehmung der Konsumenten gibt es nur zwei Bilder. Im einen spricht das Schweinchen und im anderen blutet es“, kritisierte Roman Vilgut die häufig plakative Darstellung von Tierhaltungsbedingungen in Werbung und Medien. „Schließlich stellen sowohl die Idylle auf der einen als auch Fälle von Missbrauch auf der anderen Seite Minderheiten und nicht die Regel dar“, so Vilgut. Diesbezüglich ortete er eine entsprechende Verantwortung bei den Medien: „Die Abbildung der Realität in der Tierhaltung findet in Medien zu wenig Platz. Das verzerrt die Wahrnehmung der Konsumenten noch weiter.“

Ziel: Informierte Konsumenten

„Es braucht informierte Konsumenten, um das Verständnis von Tierhaltungsbedingungen zu verbessern. Und es ist klar, dass alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette ihren Teil dazu beitragen müssen“, forderte Rosenberg eine verstärkte Zusammenarbeit der verschiedenen Interessensgruppen. Doch wie bringt man die Informationen an die Frau bzw. den Mann? Eine Möglichkeit bieten Zertifizierungen und Siegel. Bei der Vielzahl an Labels, die es momentan im Handel gibt, wissen die Konsumenten allerdings oft nicht mehr, was überhaupt dahintersteht, adressierte Mutenthaler ein bekanntes Problem. „Bereits in den grundlegenden AMA-Gütesiegel-Richtlinien sind wichtige Rahmenbedingungen für das Wohlergehen der Tiere geregelt. Zusätzlich gibt es verschiedene Tierwohlmodule, da sich die AMA-Marketing bereits seit 2013 intensiv mit dem Thema beschäftigt“, erklärte Mutenthaler. „Wir wollen die Konsumenten motivieren, sich durch eine höhere Transparenz vermehrt mit Qualität auseinanderzusetzen. Allerdings müssen wir bedenken, dass der aktuelle Marktanteil der Tierwohlprodukte inklusive Bioprodukte lediglich bei weniger als 5 % liegt. Da müssen wir noch wesentlich besser in die breite Masse kommen, denn ein Premiumsystem ist langfristig nicht zielführend.“

Next Step: Haltung kennzeichnen

Um Tierwohl in der Kaufbereitschaft zu verankern, muss klar ersichtlich sein, warum ein Produkt teurer ist als das andere. Eine Haltungskennzeichnung für alle Fleischprodukte, wie sie im Handel in Deutschland bereits umgesetzt wird, könnte der nächste Schritt dafür sein. „Herkunft garantiert noch nicht zwingend Qualität. Wenn ich aber auf einem Produkt erkenne, wie die Tiere gehalten werden, ist das schon ein erster Indikator“, unterstrich Rosenberg. Für ein derartiges Kennzeichnungssystem ist jedoch eine unabhängige Stelle als übergeordnete Kontrollinstanz unabdingbar, waren sich Rosenberg und Mutenthaler einig. „Mit der Haltungskennzeichnung sollen nicht nur Premiumprodukte, sondern alle Produkte abgebildet werden, um den Konsumenten Orientierung zu bieten und gleichzeitig die freie Wahl zu lassen“, ergänzte Mutenthaler.

Exemplarisch: Kalb rosé

Dass sowohl Informationen als auch Tradition das Konsumverhalten und damit das Tierwohl beeinflussen, zeigt sich am Beispiel von weißem Kalbfleisch. Dieses gilt gemeinhin als schmackhafter und behält seine helle Farbe durch die sogenannte Milch-Mast. Dabei bekommen die Kälber auch in einem Alter, in dem sie normalerweise von der Milch entwöhnt werden, hauptsächlich Milch und kaum Raufutter (z. B. Gras, Mais, Heu). Denn diese Futtermittel enthalten Eisen, welches das Fleisch unerwünscht rot färben würde. Gesetzlich ist die Milch-Mast erlaubt, unter vielen Experten gilt sie jedoch als nicht artgerecht. „In den Köpfen der Menschen ist jedoch immer noch fest verankert, dass weißes Kalbfleisch qualitativ hochwertiger ist“, berichtete Mutenthaler aus einem Workshop mit Spitzenköchen. In Schulungen und Verkostungen für Köche arbeitet die AMA-Marketing nun daran, ein Bewusstsein für die Unterschiede zu schaffen. Zudem wurde verstärkt auf die Bewerbung von Kalb rosé gesetzt, um das Thema Tierwohl weiterzutragen.

Unterm Strich

Neben der Komplexität des Begriffs Tierwohl erschweren Preisdruck und reißerische Medienbotschaften den Zugang der Konsumenten zu landwirtschaftlicher Realität und Tierwohl. Die Diskutierenden stimmten überein, dass es mehr Transparenz und ehrliche Kommunikation benötigt, um dem entgegenzuwirken. Eine Haltungskennzeichnung, die von einer unabhängigen, übergeordneten Stelle kontrolliert wird, könnte eine erste Möglichkeit sein, um Tierwohl entsprechend einordnen zu können und in der Kaufbereitschaft zu verankern.

Der Artikel wurde erstveröffentlicht in der ernährung heute 4_2022 „Maßstäbe beim Essen“.

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