24.09.2009 von Dr. Marlies Gruber

Ernährungsmythos Bierbauch?

Wer Bier trinkt, der kultiviert seine Leibesmitte. Das lässt zumindest die „Redefigur" Bierbauch vermuten. Dem ist nicht so, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Nicht nur zu Bierfest- oder Schanigartenzeiten ist Österreich ein Land der Biertrinker: 2008 wurde mit 109 Litern pro Kopf und Jahr sogar die Biernation Deutschland überholt. Damit liegt Österreich nach Tschechien auf Platz 2 der Weltrangliste. Ob mit dem Bierkonsum auch der Bierbauch wächst, war die Forschungsfrage von deutschen und schwedischen Wissenschaftern der EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition). Sie analysierten 20 000 Personen (60 % davon Frauen) zwischen 35 und 65 Jahren in Hinblick auf ihren Bierkonsum, ihr Körpergewicht sowie ihre Gewichtsverteilung und deren Veränderungen innerhalb von achteinhalb Jahren.

Fett ist nicht gleich Fett im Körper

Der Bierbauch ist nicht nur ästhetisch, sondern auch gesundheitlich kritisch zu betrachten: Je größer der Taillenumfang, desto höher ist das Risiko für ungünstige Blutfettwerte, erhöhten Blutdruck und Insulinresistenz. Grund dafür ist, dass das Fett um die Leibesmitte besonders stoffwechselaktiv ist. Es regt die Bildung von Hormonen und entzündungsfördernden Substanzen (z. B. Interleukin 6) an, die an der Entwicklung von Herz-Kreislaufkrankheiten und Diabetes Typ 2 beteiligt sind. „Apfeltypen" mit einem akzentuierten Bauch sind daher im Vergleich mit den Birnentypen häufiger von diesen Zivilisationskrankheiten betroffen.

Wissenswert

Der Taille-Hüft-Quotient ist das Verhältnis zwischen Bauch- und Hüftumfang und gibt Auskunft, wie das Körperfett verteilt ist. Gemessen wird in Nabelhöhe und an der breitesten Stelle der Hüfte. Das Verhältnis soll bei Männern kleiner als 1,0 und bei Frauen kleiner als 0,85 sein. Über diesen Werten ist das Herzinfarktrisiko dreimal so hoch.

Berg- und Talfahrt

Zurück zu den Ergebnissen der EPIC-Studie: Bei den Männern zeigte sich eine U-förmige Verteilung bei der Taillenausdehnung: Bierabstinente hatten ähnliche Zuwachsraten wie die starken Biertrinker, die über ein Liter Bier pro Tag tranken (6 cm ± 0,5 cm vs. 5,9 ± 0,4 cm). Bei den Biernippern (1 bis 50 ml pro Tag) war das Ausmaß der gewachsenen Zentimeter zwar niedriger (5,4 ± 0,2 cm), am wenigsten um die Leibesmitte nahmen aber diejenigen Männer zu, die zwischen 250 ml und 500 ml Bier pro Tag konsumierten (5,2 ± 0,3 cm).
Bei den Frauen gab es eine Berg- und Talfahrt, wenn man die Taillenzunahme innerhalb der achteinhalb Jahre betrachtet: Von 7 cm (± 0,2 cm) bei den Bierabstinenten anwachsend zu 7,5 cm (± 0,2 cm) bei denen, die weniger als 125 ml konsumierten. Die Werte fielen bei den Biertrinkerinnen mit einem Konsum zwischen 125 ml und 250 ml auf 7,1 cm (± 0,5 cm). In der nächsten Kategorie mit einem Konsum von über 250 ml pro Tag kletterten die Zentimeter wieder nach oben. In dieser Gruppe war die Taillenzunahme durchschnittlich 8,2 cm (± 0,5 cm).

Bierkonsum und Bauchumfang gehen also nicht eindeutig Hand in Hand. Auch wenn man das Taillenmaß in Verhältnis zum zugelegten Hüftumfang bzw. einer generellen Gewichtszunahme setzte, wurde kein deutlicher Zusammenhang zwischen Bierkonsum und Taillenumfang festgestellt. Die Studienautoren schlossen daraus, dass das Trinken von täglich mehr als 250 ml Bier bei Frauen und über einen Liter bei Männern zwar zu einer Gewichtszunahme führen kann, die sich jedoch nicht allein um die Leibesmitte ausprägt.
Dass in allen untersuchten Gruppen Gewicht zugelegt wurde, ist durch die lange Studiendauer von achteinhalb Jahren erklärbar. Denn mit zunehmendem Alter verringert sich der Grundumsatz: Die energieverbrauchenden Muskeln werden teilweise durch Körperfett ersetzt, das keine zusätzlichen Kalorien zum Überleben braucht. Schon kleine Veränderungen in der Energiebilanz führen über diese Zeitspanne zu einer kontinuierlichen Gewichtszunahme.

Genvariante macht empfänglich für Bierbauch

Der Bierkonsum allein macht noch keinen Bierbauch. Welche Faktoren sind nun dafür verant-
wortlich? Studien sprechen dafür, dass es genetisch vorprogrammiert ist, ob man mehr oder weniger Bauch anlegt. Als möglicher Drahtzieher kommt eine bestimmte Genvariante des Enzyms ACE (Angiotensin-konvertierendes Enzym) in Frage. ACE ist bei der Aufrechterhaltung des Blutdrucks und der Regelung des Wasser-Elektrolyt-Haushaltes im Körper wichtig. Zudem könnte ACE mitbestimmen, wo das Fett im Körper deponiert wird: Eine Studie an 959 Männern zeigt, dass Personen über 54 Jahren und mit der ACE/DD Genvariante deutlich häufiger übergewichtig waren sowie einen deutlich höheren Taillenumfang aufwiesen als jene Versuchspersonen mit anderen ACE-Genvarianten in der selben Alterskategorie. Wer also genetisch in die ACE/DD Kategorie fällt, tendiert im Alter eher zur Apfeltypform.

Kein Freibrief

Man ist den Genen jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Das offenbart die „Framingham Heart Study", die Daten von knapp 3000 Männern und Frauen zwischen 40 und 60 Jahren umfasst: Jene Personen, die sich an die Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung und genügend Bewegung hielten, waren nachweislich seltener von einer ungesunden Fettansammlung um die Taille betroffen. Auch Ex-Raucher und Raucher zeigten eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Apfeltypform. Das Forscherteam vermutet, dass Nikotin die Ansammlung von tiefliegenden Fettschichten fördert, indem es den Hormonhaushalt beeinflusst. Beim Alkoholkonsum scheinen die Trinkgeschwindigkeit und -menge eine Rolle zu spielen: Regelmäßiges Binge-Drinking erhöht im Vergleich zu moderatem Alkoholkonsum das Herzinfarktrisiko um das Doppelte. Laut dem US-amerikanischen NIAAA (National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism) versteht man unter Binge-Drinking den Konsum von vier oder mehr alkoholhaltigen Getränken innerhalb von zwei Stunden. Durch den individuellen Lebensstil lässt sich also sehr wohl sein Krankheitsschicksal beeinflussen.

Fazit

Aktuelle Studienergebnisse bestätigen den Mythos nicht, der sich um die ausgeprägte Leibesmitte bei Bierkonsum rankt. Vielmehr scheint es großteils genetisch bedingt, ob man mehr oder weniger Fett um den Bauch anlegt. Als Freibrief für zügellosen Bierkonsum können die Ergebnisse dennoch nicht angesehen werden. Denn das Zustandekommen eines Rettungsringes ist umso weniger wahrscheinlich, je mehr Aspekte eines gesunden Lebensstils zusammentreffen. Dazu zählen eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, Nichtrauchen und ein moderater Alkoholkonsum. Das wäre täglich ein Seiterl Bier für Frauen und ein Krügerl für Männer.

Literatur

Schütze M et al.: Beer consumption and the beer belly: scientific basis or common belief? European Journal of Clinical Nutrition 63(9): 1143-1149 (2009).

Molenaar EA et al.: Association of lifestyle factors with abdominal subcutaneous and visceral adiposity: the Framingham Heart Study. Diabetes Care 32(3): 505-510 (2009).

Tolstrup JS: Alcohol drinking frequency in relation to subsequent changes in waist circumference. Am J Clin Nutr 87: 957-963 (2008).

Strazzullo P et al.: Genetic variation in the renin-angiotensin-system and abdominal adiposity in men: the Olivetti Prospective Heart Study. Ann Intern Med 138(1): 17-23 (2003).

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