09.07.2018 von Dr. Elisabeth Rudolph

EU-Ernährungsrichtlinien: Flexibel und Individuell

Im Dezember 2017 hat die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) neue EU-Ernährungsrichtlinien veröffentlicht. Darin definiert sie gesunde Ernährung und gibt einen Rahmen für die Aufnahme von Kohlenhydraten, Fetten und Eiweiß. Im Vergleich zu bestehenden Ernährungsempfehlungen ist alles flexibler und individueller. Was hat es damit auf sich?

Die EFSA wurde von der Europäischen Kommission ersucht, die empfohlenen Referenzwerte für die Nährstoff- und Energieaufnahme aus dem Jahr 1993 zu überprüfen und auf den neuesten wissenschaftlichen Stand zu bringen. Um diese neuen Leitlinien für die Nährstoffaufnahme zu erstellen, berücksichtigte die EFSA neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Ziel ist, Übergewicht und ernährungsbedingte Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs oder Erkrankungen der Atemwege in den Griff zu bekommen. Zusammengefasst werden diese Krankheiten als „non communicable diseases“ – NCDs.

Worum geht es?

Die EU-Ernährungsrichtlinien geben konkret an, wie viel Energie in Form von Kohlenhydraten, Proteinen und Fett gegessen werden und wie viel Wasser getrunken werden soll, um ausreichend versorgt zu sein. Jeweils unter der Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, dem Bewegungsausmaß und der individuellen Lebenssituation wie Schwangerschaft oder Stillzeit. Im Unterschied zu den Empfehlungen aus dem Jahr 1993 werden bei den neuen Leitlinien individuell je nach Alter, Geschlecht, dem Ausmaß an Bewegung und der individuellen Lebenssituation klar definierte Aufnahmeempfehlungen für Energie, Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett und Wasser gegeben. Auch im Vergleich zu den WHO-Empfehlungen sind die EFSA-Richtlinien flexibler und genauer nach Altersgruppen aufgesplittet. Lesen Sie hier mehr über die einzelnen Alterskategorien und die jeweilige Nährstoffaufnahme.

  • Die Kohlenhydrataufnahme darf in einem Bereich von 45-60 Energieprozent (E%) liegen. Eine Aufnahme von über 20 E% in Form von Zucker kann Triglyzeride und Cholesterin erhöhen. Die WHO empfiehlt die Aufnahme der freien Zucker auf unter 10 E% zu senken. Dafür gibt es laut EFSA keine ausreichende Evidenz.
  • Für die Aufnahme von Fetten wird ein Bereich von 20-35 E% empfohlen. Für Säuglinge und Kleinkinder werden aufgrund des Wachstums höhere Werte angegeben, die bei 35-40 E% liegen.
  • Für die Proteinaufnahme empfiehlt die EFSA 0,66 g/kg Körpergewicht pro Tag aufzunehmen. Mit dieser Empfehlung liegen sie unter den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die 0,8 g/kg Körpergewicht Protein empfehlen.
  • Bezüglich der Wasseraufnahme sind laut EU-Richtlinien 2 L pro Tag für Frauen und 2,5 L für Männer ausreichend.

Das Besondere dieser Richtlinien ist, dass sie sich sehr konkret auf einzelne Alterskategorien beziehen. Die EFSA hat unterschiedliche altersspezifische Bedürfnisse, Wachstum, Bewegung sowie geographische und kulturelle Hintergründe in ihre Schlussfolgerungen einfließen lassen.
Die neuen EFSA-Ernährungsrichtlinien befinden sich „evidenzbasiert am aktuellen Stand der Wissenschaft“, erläutert Prof. Widhalm anlässlich einer Pressekonferenz zu diesem Thema.  „Sie sollten die Grundlage für alle Ernährungsguidelines sein“, so der Ernährungsmediziner. Gleichzeitig betont er, dass „länderspezifische Ernährungsempfehlungen wissenschaftlich nicht gerechtfertigt seien“.

Wissenswert

Laut Daten aus dem Österreichischen Ernährungsbericht 2017 liegt die durchschnittliche Zufuhr von Kohlenhydraten bei knapp 45 E%, jene von Proteinen bei 15 E% und jene von Fetten bei knapp 37 E%. Damit liegen wir ziemlich in den von der EFSA empfohlenen Bereichen, bei Fett knapp darüber. Bei Eiweiß wären wie selbst bei einer Reduktion auf 0,66 g/kg Körpergewicht ausreichend versorgt. Warum knapp 41 % der Bevölkerung entweder übergewichtig oder adipös sind, liegt an der fehlenden Bewegung.

Bisherige Bestrebungen wenig zielführend

Um das Problem Übergewicht und damit verbunden alle ernährungsbedingten Krankheiten in den Griff zu bekommen, bedarf es einer Änderung der Ernährungsgewohnheiten. Bisherige Ernährungsempfehlungen wie z.B. Ernährungspyramiden, „erwiesen sich als völlig ineffektiv in Bezug auf die Änderung von bestehenden Ernährungsgewohnheiten“, erklärt Widhalm. Er präferiert anstelle der Ernährungspyramide die Darstellung des „gesunden Tellers“, bei dem vier unterschiedlich große Anteile von Obst, Gemüse, Vollkorn- und Eiweißprodukten angezeigt werden. Allerdings schlussfolgert der Ernährungsmediziner, dass „die Herausforderung bestehen bleibt, wie Ernährungsgewohnheiten tatsächlich geändert werden können“.

Mögliche Maßnahmen

Der Gesundheitsökonom Markus Pock betont, dass die Situation dramatisch ist. Er appelliert an Bewusstseinsschaffung, die schon bei Kindern und Jugendlichen in Schulen beginnen sollte. Zusätzlich sieht er bessere Vorsorgeuntersuchungen in Risikogruppen, verstärkte altersspezifische Aktivitäten in Schulen und Kindergärten, bessere Kennzeichnungen auf Nahrungsmitteln und Getränken, sowie höhere Steuern auf Tabakwaren und Alkohol als notwendige Maßnahmen. Für die Internistin und Ernährungsmedizinerin Gabriele Müller-Rosam sind die Symptome des Übergewichts dank des medizinischen Fortschritts relativ gut in den Griff zu bekommen. Sie sieht die Nachbetreuung übergewichtiger Patienten als wichtigen Hebel. Die Expertin betont, dass eine Änderung des Lebensstils nur mit einem begleitenden Motivationstraining möglich sei, dieses jedoch zurzeit von den Krankenkassen nicht gedeckt sei. „Natürlich können wir durch Übergewicht ausgelöste Probleme mit Medikamenten behandeln – aber das ist wie das Überschminken von Falten“, so die besorgten Worte der Expertin. Darüber hinaus muss auch das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Ernährung und der Entstehung bzw. Verhinderung von ernährungsbedingten Krankheiten geschärft werden. „Was es braucht, ist Mut und Entschlossenheit, diese Herausforderungen auch anzupacken", schlussfolgert Widhalm.
Handlungsbedarf gibt es auch aus wirtschaftlicher Sicht, denn bereits 5 % der gesamten Gesundheitsausgaben des Landes, und das sind stattliche 1,5 Mrd. Euro, werden für die Behandlung von Diabetes ausgegeben. Zu diesem Schluss kommt eine vom Joanneum Research durchgeführte Studie.

Wissenswert

Laut Österreichischem Ernährungsbericht 2017 sind 41 % bzw. 3,4 Mio. der erwachsenen österreichischen Bevölkerung übergewichtig bzw. adipös. Davon sind 29 % übergewichtig, bereits 12 % adipös. Männer sind häufiger übergewichtig als Frauen, immer mehr junge Männer sind betroffen. Im Vergleich zu den Daten aus dem Ernährungsbericht von 2012 haben sich sowohl die Übergewichts- als auch die Adipositasrate nur geringfügig verändert. Erfahren Sie hier weitere Details aus dem Österreichischen Ernährungsbericht 2017.

„Der Mensch hat über Jahrtausende in einem Mangelzustand gelebt“, erklärt der Ernährungswissenschaftler und Biochemiker Clemens Röhrl. Der Körper ist seiner Meinung nach darauf konditioniert Fett zu speichern. „Es liegt also auf der Hand, dass wir in Zeiten des Nahrungsüberschusses ein Problem haben“, betont Röhrl. „Wir sollten von allem weniger essen. Da gehören neben Zucker auch Fett, alkoholische Getränke und Fleisch dazu", betont der Ernährungswissenschaftler Jürgen König.

Fazit

Die Experten sind sich einig: Um den Lebensstil nachhaltig zu ändern, muss in erster Linie das Verhalten geändert werden, aber auch mehr Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krankheiten geschaffen werden. Zusätzlich wäre  eine intensivere Nachbetreuung übergewichtiger Patienten wünschenswert.

 

Literatur

APA: Übergewicht bleibt weiterhin größtes Gesundheitsproblem. science.apa.at/rubrik/medizin_und_biotech/Uebergewicht_bleibt_weiterhin_groesstes_Gesundheitsproblem/SCI_20180628_SCI39371351243097216 (Zugriff am 03.07.2018)
Martschin H: Gesunde Ernährung ist kein Mythos. Presseinformation des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin.
Bundesministerium für Gesundheit und Frauen: Österreichischer Ernährungsbericht 2017: www.bmgf.gv.at/home/Ernaehrungsbericht2017 (Zugriff am 03.07.2018)



 

 

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