04.09.2024 von Redaktion

Familiäres Umfeld beeinflusst Gewicht bei Kindern

Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen sind weltweit ein großes Problem. Dabei spielen das soziale Umfeld sowie die familiäre und häusliche Umgebung eine wesentliche Rolle. Ein Einblick, welche Rundumfaktoren zu beachten sind.

Adipositas ist eine multifaktorielle Erkrankung bei der biologische Veranlagung, Verhaltensmuster und Umweltfaktoren zusammenspielen (Lister et al. 2023). Dabei begünstigen auch widrige familiäre Umstände in der Kindheit die Entwicklung von Adipositas später im Leben. Dazu zählen etwa eine emotional negative Eltern-Kind-Beziehung, chronische Disharmonie der Eltern, geringe Finanzkraft und niedrige Schulbildung. Umgekehrt gilt: Sogenannte „healthy home habits“ sind wichtige positiven Faktoren für das Wohlergehen und die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Darunter versteht man eine ausgewogene Ernährung, genauso wie ausreichend Bewegung und ein gesundes, glückliches Zuhause (Fruh et al. 2021). Das familiäre Umfeld rückt dabei immer wieder in den Fokus der Wissenschaft.

Zuwendung und Aufmerksamkeit

Eine Langzeitstudie aus Chile zeigt mögliche Zusammenhänge auf: Entscheidend für ein gesundes Aufwachsen ist demnach sowohl die Qualität der Beziehung zur Mutter als auch zum Vater. Während Mütter das emotionale Bindungsvermögen oft prägen, gehen Väter häufig auf spielerische Weise mit ihren Kindern um und regen sie früh zu Bewegung an. Beteiligen sich Väter aktiv an der Erziehung, und erfahren Kinder einen liebevollen Umgang, kann sich das positiv auf einen bewegten Lebensstil auswirken (East et al. 2019).

Wissenswert

Die Beobachtungsstudie lief über 21 Jahre. In diesem Zeitraum begleitete das Forschungsteam 1000 chilenische Kinder. Untersucht wurden Familien mit Kleinkindern im Alter von 6 bis 18 Monaten sowie dann mit 5, 10, 15 und 21 Jahren. Bei regelmäßigen Hausbesuchen wurde Körpergewicht, BMI und BMI-Wachstumsrate ermittelt (East et al. 2019). Die Studie dient als Anhaltspunkt und spiegelt nicht die gesamte Vielfalt moderner Familienstrukturen wider.

Mangelnde Fürsorge spiegelt sich zudem im Essverhalten, weil Hunger- und Sättigungsgefühl auch emotional gesteuert sind. Je trauriger und gelangweilter Kinder sind, desto eher essen sie, um ihre emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen oder die Aufmerksamkeit der Eltern zu gewinnen. Umso mehr, je eher sie sich von ihren Vorbildern emotionales Essen bei Trauer, Ärger oder Ängstlichkeit abschauen können. Zwar ist es völlig normal, dass Gefühle das Essverhalten beeinflussen, sehr stark ausgeprägt kann emotionales Essverhalten allerdings mit Essstörungen und Übergewicht verbunden sein (Meule 2018, Fiechtl 2022). Wissen Eltern zudem nicht ausreichend über nährstoffreiche Lebensmittel Bescheid und bieten einseitige Kost in unkontrollierten Mengen an, essen Kinder oft zu viel. Übergewicht und Adipositas werden der chilenischen Studie zufolge aber auch durch Spielmöglichkeiten sowie die Struktur und Ordnung des Umfelds beeinflusst (East et al. 2019).

Auf einen Blick:
Positiv wirkende Faktoren:
•    Liebevolle Zuwendung und Aufmerksamkeit durch beide Elternteile
•    Spielen mit Geschwistern
•    Ausreichend Raum für Bewegung (Kinderspielplätze, kinderfreundliche Wohnräume, Garten)
•    Sauberes Umfeld
•    Gesunde Ernährung
•    Lern- und bewegungsfördernde Spielzeuge

Negativ wirkende Faktoren:
•    Ablehnung und Vernachlässigung
•    Unsauberkeit
•    Zerrüttete Familienverhältnisse (fehlende Vaterfigur)
•    Depression bei Müttern
•    Bewegungsmangel

Gewichtsplus früh geprägt

Gewichtsplus früh geprägt Zum Ende der Studie mit 21 Jahren waren 46 % der Studienteilnehmenden normalgewichtig, 31 % übergewichtig, 21 % adipös sowie 2 % extrem adipös (BMI ≥ 40). Die BMI-Wachstumsrate unterschied sich ab dem Alter von fünf Jahren, wobei schwere Kinder besonders zwischen 10 und 15 Jahren rascher zunahmen. Familiärer Stress, Abwesenheit des Vaters, Depressionen der Mutter, Unsauberkeit und ein häufiger Aufenthalt in der Gehschule im Alter von einem Jahr waren mit einem höheren BMI mit 21 Jahren verbunden. Während die Abwesenheit des Vaters im Alter von zehn Jahren nicht mehr mit dem späteren BMI zusammenhängt, bleiben mütterliche Depressionen, ein unattraktives häusliches Umfeld, familiärer Stress als Einflussfaktoren bestehen. Als weitere Risikofaktoren kommen u. a. wenig aktive Stimulation und elterliche Wärme sowie geringe Akzeptanz hinzu. Die Beobachtung über 21 Jahre zeigte, dass im Vergleich zu Normalgewichtigen mehrgewichtige Kleinkinder schneller zunahmen. Abhängig vom Körpergewicht stieg die BMI-Wachstumsrate pro Altersintervall (5, 10, 15 und 21 Jahren) um durchschnittlich 2 % (normalgewichtig), 4 % (übergewichtig), 5 % (adipös) und 8 % (extrem adipös) an (East et al. 2019).

Wissenswert

Eine Beobachtungsstudie wie die genannte chilenische Studie kann zwar Zusammenhänge aufdecken, ist jedoch nicht in der Lage, nachzuweisen, dass eine Variable (familiäres Umfeld) tatsächlich die Ursache für die Veränderung der anderen (Adipositas) ist. Es gilt KorrelationKausalität.

Gesamtes Umfeld berücksichtigen

Neben dem familiären Umfeld ist es wichtig zu betonen, dass auch das gesamte restliche Umfeld, einschließlich Schule, Freundeskreis, Gesellschaft und Umwelt, einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern hat (Gubbels 2020). Vor diesem Hintergrund rückt eine strukturell verankerte Ernährungsbildung in Schulen in den Vordergrund, da im Klassenzimmer alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig vom familiären Hintergrund, erreicht werden.

Fazit

Ergebnisse aus Beobachtungsstudien zeigen, dass eine frühe und rasche Gewichtszunahme im Kindesalter das Risiko für Adipositas später im Leben erhöht. Zudem wird immer deutlicher: Der Fokus alleine auf das Ess- und Bewegungsverhalten greift zu kurz. Eltern können die Entwicklung des Körpergewichts unterstützen, indem sie eine liebevolle Bindung zum Kind aufbauen, eine insgesamt gesundheitsfördernde Lebensweise vorleben sowie für ein stimulierendes Umfeld sorgen.

Literatur

East P et al.: Home and Family Environment Related to Development of Obesity: A 21-Year Longitudinal Study. Child Obes. 15 (3): 156-166 (2019).

Fiechtl C: Wenn Essen Emotionen reguliert. ernährung heute 2: 9-11 (2022).

Fruh S et al: A practical approach to obesity prevention: Healthy home habits. J Am Assoc Nurse Pract. 33(11):1055-1065 (2021).

Gubbels JS: Environmental Influences on Dietary Intake of Children and Adolescents. Nutrients 12(4), 922 (2020).

Lister NB et al.: Child and adolescent obesity. Nat Rev Dis Primers 9, 24 (2023).

Meule A: Emotionales Essverhalten. ernährung heute 4: 15-17 (2018).

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