Hülsenfrüchte next Level
Hülsenfrüchte sind hierzulande dreierlei: Tradition (Linsen mit Knödel, Käferbohnensalat, Risipisi), Innovation (Pasta, Knabberartikel, Eis- oder Kuchenzutat) und Ersatzprodukt (für Fleisch, Milch, Ei oder Kaffee). Einst hatte Ersatz eine negative Konnotation. Heute jedoch ist der Hype um Erbsenprotein groß und es landet statt Fleisch in Burgern und auf Tellern. Zudem sind Pflanzendrinks aus Hülsenfrüchten – vorwiegend Soja – als Milchalternativen im Mainstream angekommen. Es geht dabei nicht notwendigerweise um kompletten Ersatz (es sei denn, man isst vegan) und auch nicht um Stigmatisierung tierischer Produkte, sondern um eine Ergänzung und Koexistenz im Sinne einer zeitgemäßen und zukunftsfähigen Ernährung, die auf weniger vom Tier und mehr von der Pflanze setzt.
Vielseitig talentiert
Warum eignen sich Hülsenfrüchte als Basis vieler Produkte? Erstens, weil sie ein günstiges Nährstoffprofil aufweisen. Der Kohlenhydratanteil liegt durchschnittlich bei 50–60 % der Trockensubstanz bzw. 10–20 % im verzehrbaren Zustand. Soja und Erdnüsse weisen einen höheren Fett- und daher einen geringeren Kohlenhydratanteil auf. Darüber hinaus liefern Hülsenfrüchte Ballaststoffe und sind eine hochwertige Eiweißquelle. Vor allem in Kombination mit Getreide lässt sich die biologische Wertigkeit noch steigern. Lupinen haben unter den Hülsenfrüchten zudem ein Alleinstellungsmerkmal, da sie purinarm sind. Neben den Hauptnährstoffen unterscheiden sich die einzelnen Hülsenfrüchte auch auf Mikronährstoffebene: Kichererbsen punkten mit Folsäure, Sojabohnen mit Kalzium, Magnesium und Zink, Linsen enthalten mehr Eisen als andere Hülsenfrüchte, und Mungbohnen sind gute Folsäurelieferanten. Erbsen stellen eine gute Zink- und Magnesiumquelle dar. Zweitens eignen sich Leguminosen, weil sie gute Verarbeitungseigenschaften aufweisen. 75 % der Kohlenhydrate sind Stärke, die im Vergleich zu Getreide- oder Kartoffelstärke zu einem höheren Teil aus Amylose, also unverzweigten Stärkeketten, besteht. Für die gleiche Gelfestigkeit bei Saucen oder Puddings ist im Vergleich zu Maisstärke daher weniger Leguminosenstärke nötig. Drittens lässt der relativ geringe Eigengeschmack überaus vielfältige Verwendungen zu – von herzhaft bis süß. So werden beispielsweise Adzukibohnen in Japan oder China traditionell für Süßwaren verwendet. Bohnige, erdige oder grasige Aromen von Hülsenfrüchten werden zunehmend durch neue Züchtungen reduziert.
... statt Milch
Wer auf Milch verzichtet, hat mittlerweile die Qual der Wahl zwischen zahlreichen pflanzlichen Alternativen. Auch einige Produkte aus Hülsenfrüchten sind im Handel erhältlich. Sojadrinks werden aus gequollenen und mit Wasser vermahlenen Sojabohnen gewonnen. Die Masse wird anschließend erhitzt und filtriert, wodurch antinutritive Inhaltsstoffe deaktiviert werden. Ohne Anreicherung von Vitamin B12 und Kalzium kann der völlige Milchersatz jedoch zur Unterversorgung mit diesen Nähstoffen führen. In süßen und salzigen Varianten und damit hergestellten Lebensmitteln sind diese Drinks schon lange Teil der asiatischen Küche und mittlerweile auch hierzulande vermehrt im Einsatz. Neuerdings gibt es als weiteres Hülsenfruchtprodukt auch Erbsendrinks.
... statt Fleisch
Um Produkte mit fleischähnlicher Konsistenz zu erhalten, werden globuläre (kugelförmige) Pflanzenproteine so verändert, dass sie eine ähnliche fibrilläre (faserartige) Form aufweisen wie tierisches Protein. Dieser Transformationsprozess erfolgt häufig durch Extrusion, eine Verfahrenstechnik, die bereits mehr als 200 Jahre alt ist und ursprünglich der Umformung von Werkstoffen diente. Bei der Extrusion werden die Zutaten meist unter Rotation von Extruderschnecken gemischt, thermisch beansprucht und anschließend unter Druck in eine definierte Form gepresst. Für sogenanntes TVP-Soja (Textured Vegetable Protein) wie Sojaschnetzel wird das Eiweiß aus der Sojabohne zuerst extrahiert und entfettet, bevor es extrudiert wird. Kleinkörniges Sojagranulat entsteht hingegen durch Extrusion von entfettetem Sojamehl. Das fertige Produkt eignet sich als Ersatz für Faschiertes, etwa in Bolognese-Saucen. Texturiertes Soja kam vor über 50 Jahren vorwiegend in Naturkostläden auf den Markt. Es war nicht der erste Fleischersatz auf Sojabasis: In Deutschland gab es schon im Ersten Weltkrieg eine „Friedenswurst“ aus Soja. Auch isoliertes Erbseneiweiß (mit > 90 % Eiweißgehalt) ist als Fleischersatz etwa für Burgerlaibchen gefragt wie nie zuvor. Das führt mittlerweile durchaus zu Lieferengpässen. Nicht zu verwechseln sind diese Isolate mit Erbsenmehl aus gemahlenen und getrockneten Erbsen, das sich etwa für herzhafte Pancakes oder das Andicken von Saucen eignet.
... statt Ei
Vorweg: Der Ersatz eines puren Eies gestaltet sich schwierig. Ein weich gekochtes Frühstücksei lässt sich rein pflanzlich gar nicht ersetzen. Vegane harte „Eier“ auf Sojabasis kamen im Oktober 2021 in der Schweiz auf den Markt, wurden von den Kunden jedoch schlecht bewertet. Es gibt aber Ei-Alternativen, mit Hilfe derer man einzelne Eier in Speisen wie Spätzle, Palatschinken oder Quiche ersetzen kann. Das kann nützlich sein, wenn zu wenige Eier zuhause sind oder man aus anderen Gründen die Eimenge reduzieren möchte. Hierfür eignen sich etwa trockene Ei-Ersatzprodukte aus Lupinenmehl, die zusätzlich den Vorteil haben, ungekühlt lange haltbar zu sein. Je nach Hersteller wird das Lupinenmehl mit Maisstärke, Maismehl, Johannisbrotkernmehl, Leinprotein, Sonnenblumenprotein und Maltodextrin gemischt, für die gelbe Farbe sorgt in mancher Mischung Kurkuma. Die pulverförmigen Produkte werden in etwas Wasser kalt angerührt und wie Eier zum Teig gegeben. Für Mousse oder Cremes, die oft Eischnee enthalten, kann das Abtropfwasser aus Dosen oder Glaskonserven von Erbsen oder Kichererbsen – das sogenannte Aquafaba – verwendet werden. Dieses lässt sich dank löslicher Eiweiße, die beim Kochen der Hülsenfrüchte ins Wasser übergehen, schaumig aufschlagen. Auch für den Eidotter beispielsweise in Mayonnaise oder Saucen gibt es mittlerweile Workarounds. Denn auch in Soja kommt der im Ei enthaltene Emulgator Lecithin vor. Dieser ermöglicht – egal ob tierischen oder pflanzlichen Ursprungs – das Erstellen von Emulsionen, also Mischungen von Fett und Wasser. Wer etwas ungesüßten Sojadrink anstelle des Eidotters verwendet, erhält – voilà – eifreie Sojamayonnaise.
... statt Getreide
Viele traditionelle Speisen aus anderen Ländern werden seit jeher aus Leguminosenmehl gekocht. In Ligurien etwa die Farinata, eine Art Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl. In der Provence ist das Gericht als Socca bekannt. Wenn Linsen und Kichererbsen Getreidemehl ersetzen, werden die resultierenden Produkte keineswegs als Imitat betrachtet, sondern als Innovation. Getreidemehl lässt sich in Brot, Gebäck oder süßen Backwaren bis zu 50 % durch Leguminosenmehl ersetzen. Dafür eignen sich Mehle aus Linsen, Erbsen oder Süßlupinen ebenso wie geröstetes Kichererbsen- oder Bohnenmehl. Sojamehl kann durch den bitteren Eigengeschmack maximal 20 % des Getreidemehls ersetzen. Auch Pasta oder Cracker können durch Extrusion (siehe oben) aus Leguminosenmehl hergestellt werden. Extrudierte Linsen- oder Kichererbsennudeln bestehen zu 100 % aus der jeweiligen Hülsenfrucht und punkten in der Low-Carb-Küche. Denn im Vergleich zu konventionellen Hartweizennudeln enthalten sie mehr Eiweiß und Ballaststoffe, aber weniger Kohlenhydrate bei vergleichbarem Energiegehalt. Mögen diese Nudeln für uns Mitteleuropäer neu sein – in Asien gibt es Glasnudeln aus Mungbohnen schon sehr lange.
Mehr Hülsenfrüchte - aber wie?
Auch wenn man gerne mehr Leguminosen verzehren möchte, fehlen oft die Ideen, um den Konsum im Alltag zu steigern. Hier einige Anregungen:
- Traditionell: Salate und Eintöpfe mit Hülsenfrüchten anreichern, Hülsenfrüchte-Rezepte aus verschiedenen Ländern ausprobieren, z. B. Gigantes Plaki (griechische gebackene Bohnen in Tomatensauce) oder indisches Linsen Dal.
- Bequem: Fertige Produkte wie Aufstriche aus diversen Hülsenfrüchten und in vielen Geschmacksrichtungen kosten, z. B. Hummus oder Erbsenaufstrich.
- Undercover: Frischer Nudelteig lässt sich wunderbar aus einer Mischung aus Weizen- und Erbsenmehl herstellen. Wem das zu viel Aufwand ist, der kann aus einem großen Spektrum extrudierter Leguminosenpasta wählen.
- Aufgeschlossen: Etwaige Vorurteile abbauen und Speisen mit Tofu kochen (lernen).
- Kreativ: Beispielsweise Kuchen aus Bohnen oder Tiramisu aus Erbsen versuchen.
Dieser Artikel ist in der ernährung heute 3_2022 „Klein, aber oho!“erschienen.
Literatur
Derndorfer E: Erbse – kleine Gourmandise Nr. 32. Mandelbaum Verlag (2020).
Goerg KA: Nudeln aus Hülsenfrüchten und Pseudogetreiden. Ernährung & Diätetik, Supplement der ErnährungsUmschau 8: 53–75 (2020).
Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn): Hülsenfrüchte. www.kern.bayern.de (Zugriff: 10.08.2022).
Michel P: „Netter Versuch, aber absolut ekelhaft“: Migros muss beim ersten veganen Ei nachbessern. www.luzernerzeitung.ch (Zugriff: 11.08.2022).
Verbraucherservice Bayern: Ernährung – Mehl ohne Getreide. www.verbraucherservice-bayern.de (Zugriff: 09.08.2022).
Verheyen C, Jorkowski J, Martin A: Extrusion. DLG Expertenwissen (2022).