Junge Männer in der Küche
„Das Kochen ist dabei, sich neu zu erfinden: vom Versorgungskochen hin zum Genusskochen", postuliert die Ernährungswissenschafterin, Trendforscherin und Leiterin des Wiener futurefoodstudios Hanni Rützler in ihrem Symposiumsbeitrag. „Weil uns das Kochen ausmacht, wird es auch in Zukunft nicht untergehen", sagt sie. Und: „Langsam aber doch sind auch immer mehr Männer dafür zu begeistern." Also keine Krise in der Küche? Keine „Mc-Donaldisierung" unserer Gesellschaft? Kein „Ende der Tischgemeinschaft"? Nein, meint Rützler: „Was wir derzeit erleben, sind die Geburtswehen des Neuen Kochens. Der italienische Philosoph Antonio Gramsci hat es treffend auf den Punkt gebracht: ,Eine Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue (noch) nicht geboren werden kann.‘ Aber Krisen - wie die aktuelle Kochkrise - können überwunden werden."
Kochen als Selbstverwirklichung?
Unter anderem sind es aktuelle Zahlen, die die Wiener Trendforscherin hoffen lassen. Laut jüngster Österreichischer Ernährungsstudie (GfK 2010, siehe Abbildung) wird Kochen heute häufiger als „kreative Tätigkeit, an der man Freude hat und mittels derer man sich selbst verwirklicht" gesehen, seltener als Routinetätigkeit oder gar als lästige Pflicht. Auffallend jedoch: Immer mehr Männer sehen Kochen als kreative Tätigkeit, während es vor allem die Frauen sind, die Kochen häufiger als Routine oder Pflicht erleben. Heute wird nicht mehr so regelmäßig gekocht, wie dies noch vor ein, zwei Generationen der Fall war. Da stand die Mutter stundenlang am Herd, um Ehemann und Kinder mit einem selbst gekochten Mahl zu verwöhnen. Montag bis Sonntag. Morgens, mittags und abends. Zwar geistert dieses Bild immer noch in vielen Köpfen als familiäres Ideal herum, doch neue Arbeitsformen, der Bildungsschub bei Frauen, die Globalisierung und insbesondere fehlende Kochkenntnisse lassen es beim Ideal bleiben. Die Alltagsrealität sieht anders aus: „Nur mehr 20 % der Frauen verstehen heute unter ‚Kochen' den autonomen Prozess, aus frischen Ausgangsprodukten Speisen herzustellen. Für mehr als zwei Drittel bedeutet Kochen auch die Zubereitung von Fertiggerichten aus der Dose oder dem Tiefkühlfach sowie die Zubereitung von Speisen mit Hilfe von vorverarbeiteten Produkten", zitiert Rützler eine Studie des Nestlé-Konzerns.
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch die Soziologin Hermine Mandl im Rahmen des Symposiums. Als Vorbereitung für das Partizipations-Projekt „messerSCHARF – Das Kochprojekt für Lehrlinge“ führte sie drei Fokusgruppen mit niederösterreichischen Lehrlingen durch. Ziel des Projektes und damit Inhalt der Fokusgruppen: männlichen Lehrlingen die Themen Ernährung und Kochen näherzubringen. Mandl bringt die in den Fokusgruppen herrschenden Rollenbilder auf den Punkt: „Männer ermöglichen, Frauen ernähren.“ Viele Lehrlinge schildern ein konservatives Rollenbild. „Der Vater ist vor allem für die finanzielle Absicherung der Familie zuständig sowie für die Vermittlung von sportlicher Begeisterung. Die Mutter ist hauptverantwortlich für die Ernährung in der Familie und für gemeinsame Sozialzeit.“ Väter oder Kinder, so Mandl, springen beim Kochen dann ein, wenn die Mütter verhindert sind. Gelegentlich kochen Männer und Burschen auch ohne Auftrag – wenn sie Lust dazu haben.
Verweigerer, Macher, Könner
Laut Mandl haben sich in den Diskussionsrunden drei Typen von jugendlichen Köchen herauskristallisiert: Verweigerer, Macher und Könner. „Einzelne Lehrlinge verweigern das Kochen. Lieber verzichten sie sogar aufs Essen, bevor sie sich an den Herd stellen. Zu Hause essen sie nur dann, wenn ihnen etwas vorgesetzt wird“, berichtet die Soziologin. Der Großteil der befragten Jugendlichen gehört ihrer Erfahrung nach jedoch zu den Machern. Sprich: Wenn es notwendig ist, können sie einspringen. Ist etwa die Mutter nicht zu Hause, verpflegen sie sich selbst und kochen gelegentlich auch für andere Familienmitglieder. Zwar zählen eher einfache, kleine Gerichte wie Eierspeise und Toast zu ihrem Repertoire, aber das ist besser als nichts. Wiederum typisch: Falls sich Burschen für die Zubereitung bestimmter Lebensmittel zuständig fühlen, dann in der Regel für Fleisch. Männlich eben. Schließlich gibt es noch die dritte Gruppe, die Hobbyköche. Einige wenige zwar, aber es gibt sie: Burschen, die Freude und Lust am Kochen bekunden und denen es Spaß macht, Neues auszuprobieren und zu experimentieren. Dennoch: Für den Großteil der Lehrlinge ist Kochen Mittel zum Zweck – nämlich Hunger mit möglichst wenig Aufwand zu stillen. Um männliche Lehrlinge für Ernährung und Kochen begeistern zu können, muss laut Mandl „eine Brücke zwischen ‚Kochen als Muss’ und ‚Kochen als Lust’ gebaut werden. Ziel des Projektes ist es daher, Berührungsängste abzubauen, spielerisches Ausprobieren anzuregen sowie schnelle und einfache Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.“
Junge Männer + Kochen = Fleisch
Und was sagen nun die Betroffenen – junge Burschen und Männer – zum Thema? „Wenn Fleisch dabei ist, dann istes Kochen“, stellt einer von sechs Burschen bei der Live-Diskussion beim Symposium sofort klar. Und die anderen pflichten ihm bei. „Voraussetzung ist Fleisch“ oder „Fleisch anbraten“ ist die Antwort auf die Frage, was die jungen Männer unter Kochen verstehen. Fleisch ist also nach wie vor der gemeinsame Nenner. Unter der Diskussionsleitung von Matthias Rohrer, Forschungsassistent am Institut für Jugendkulturforschung, sprechen sechs junge Männer aus unterschiedlichsten Schichten übers Essen und Kochen. Da ist einmal der 18- jährige AHS-Schüler Bodowin, der versucht, sich gesund zu ernähren, weil er regelmäßig Sport macht. Er vermeidet Fertiggerichte, greift häufig zu Gemüse und isst am liebsten Salat und Steak. Denn „Eiweiß ist wichtig“, erklärt er. „Als Sportler brauche ich Proteine.“ Fast Food isst er ein paar Mal pro Woche, weil es gleich neben seiner Schule eine McDonalds-Filiale gibt. Außerdem sitzt der 14-jährige Phillip am Podium, ebenfalls AHS-Schüler und kochtechnisch noch eher unerfahren. Er isst das, was es zu Hause gibt. Am liebsten Schweinsbraten. Und natürlich Fast Food. Der 19-jährige als Vermögensberater tätige Dejan dagegen kocht auch gerne selbst. Er lebt mit seiner Freundin zusammen und einmal am Tag steht einer von den beiden am Herd, am liebsten wird Hühnerfleisch zubereitet. Tagsüber greift Dejan zu Döner, Pizza und Hamburger. Mustafa, ein 15-jähriger Kfz-Lehrling greift zu dem, was die Mutter einkauft und kocht. Aus religiösen Gründen lehnt er Schweinefleisch ab. Arian ist 17 und hat mit Freunden bereits ein eigenes IT-Unternehmen gegründet. Er ist viel unterwegs und isst am liebsten Sushi, Pizza und Steak, meistens in Restaurants. Der 16-jährige, übergewichtige Felix wiederum liebt Kalorienreiches – Pizza, Spaghetti, Fleisch und Wurst. An Abnehmversuchen ist er bislang gescheitert.
Regel die Mütter
„Meine Mutter achtet darauf, dass sie hochwertige Lebensmittel kauft“, sagt Mustafa. Auf Marken achten die Jugendlichen kaum. Am ehesten noch bei Getränken. Denn die Eigenmarke ist doch peinlich gegenüber den Mädchen, tönt es aus der Runde. Die Diskussionsrunde spiegelt zum einen die typischen Klischees wider – Jungs sind Fleischesser; machen sich wenig Gedanken um gesunde Ernährung; Kochen und Einkaufen übernimmt großteils die Mama –, andererseits belegt das auch die vorhandene Literatur. So zeigt die Nationale Verzehrsstudie II in Deutschland, dass 14- bis 18-jährige Jungs fast doppelt so viel Fleisch (182 %) konsumieren wie gleichaltrige Mädchen, etwa eineinhalb Mal so viel Knabberartikel (163 %) und mehr als drei Mal so viel Alkohol (350 %). Bei Gemüse und Obst liegen die Burschen dafür deutlich hinter den Mädchen (90 bzw. 78 %). Diese Verzehrszahlen stehen im Einklang mit der Beschreibung geschlechtsspezifischen Essverhaltens vieler Autoren. So gelten Mäßigung, Zurückhaltung und Kontrolle beim Essen als weibliche Verhaltensweisen. Unbekümmertes Zulangen, schnelles Esstempo und ein gewisses Maß an Trinkfertigkeit stehen dagegen für Männlichkeit. Studien, wie etwa die Nord-Trøndelag Health Study (HUNT), zeigen ebenfalls, dass Mädchen mehr Obst und Gemüse essen als Burschen. Eine amerikanische Untersuchung von Caine-Bish und Scheule aus dem Jahr 2009 an rund 1800 Kindern und Jugendlichen weist ebenfalls darauf hin, dass Jungs eher „Ethnic-Food“, Fisch- und Fleischgerichte präferieren, während Mädchen mehr Süßigkeiten, Stärkeprodukte sowie Obst und Gemüse bevorzugen.
Fazit
Es gibt ihn noch – den kleinen Unterschied. Auch beim Essen und Kochen. Aber er wird kleiner.
Kolip P, Altgeld T: Geschlechtergerechte Gesundheitsförderung und Prävention. Theoretische Grundlagen und Modelle guter Praxis. Juventa Verlag, Weinheim und München (2009). ISBN 978-3779916833, Preis: € 23,00.
Und zum Hören:
Literatur
Max Rubner-Institut - Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel: Nationale Verzehrsstudie II. Karlsruhe (2008).
Nilsen SM, Krokstad S, Holmen TL, Westin S: Adolescents' Health-related Dietary Patterns by Parental Socio-economic Position, The Nord-Trøndelag Health Study (HUNT). Eur J Public Health 20: 299-305 (2009).
Kiefer I, Rathmanner T, Kunze M: Eating and Dieting Differences in Men and Women. Journal of Men's Health and Gender 2: 194-201 (2005).
Caine-Bish NL, Scheule B: Gender Differences in Food Preferences of School-Aged Children and Adolescents. Journal of School Health 79: 532–540 (2009).