26.07.2021 von Elisabeth Sperr, MSc

Kulturgut Marille

Orange, samtig behaart und fruchtig-süß im Geschmack – das ist die Marille. Häufig hört man in den Nachrichten, dass die Ernte wetterbedingt in Gefahr ist. Warum aber ist die Marille das „Fräulein Tsitsibe“ der heimischen Steinfrüchte? Was macht die Wachauer Marille so besonders? Und was haben Marillen kulinarisch zu bieten?

Die Marille – in Deutschland auch Aprikose genannt – gehört wie die Pflaume oder die Sauerkirsche zu den Rosengewächsen (Rosaceae). Der botanische Name Prunus armeniaca geht dabei auf die Annahme zurück, dass die kleine Frucht aus Armenien stammt. Tatsächlich ist die Marille dort seit der Antike bekannt, doch als Ursprungsland wird mittlerweile China vermutet, wo auch einige verwandte Wildsorten heimisch sind. Über Mittel- und Vorderasien gelangte die Marille in den Mittelmeerraum, von wo sie ihren Siegeszug nach ganz Europa fortsetzte. Heutzutage befinden sich besonders große Anbaugebiete in der Provinz Malatya im Osten der Türkei. Aber auch in einigen Gebieten der Alpen ist der Anbau möglich. Dazu gehören beispielsweise die Wachau in Österreich, der Südtiroler Vinschgau und das Schweizer Wallis.

Empfindliches Gewächs

Als wärmeliebende Obstsorte brauchen Marillen viel Sonne und mögen es gerne trocken. Die Bäume blühen je nach Witterung bereits zwischen März und Mitte April in Weiß und zartem Rosa. In der Frühjahrszeit kann es jedoch besonders in den Nächten noch empfindlich kalt werden. Frostschäden an den Blüten können dazu führen, dass diese abfallen und die Ernte drastisch einbricht. Die Obstbauern versuchen daher häufig, die Marillenbäume mit aufgestellten Heiztonnen vor den nächtlichen Minusgraden zu schützen. Sind die Bäume vom Frost verschont geblieben, wachsen über die Zeit 4–8 cm große, rundliche bis ovale Früchte heran. Je nach Sorte sind sie hell- bis dunkelorange und hierzulande mitunter schon ab Ende Juni reif. Ihre Hauptsaison reicht von Juli bis August, wobei ihnen wiederum Sommergewitter schaden können. Denn Hagel oder Starkregen ziehen oftmals dunkle Flecken auf der empfindlichen Haut nach sich und machen die Früchte schlechter verkäuflich. Über der Marillenernte schwebt somit stets ein wetterbedingtes Damoklesschwert.

Wissenswert

Aufgrund seiner frühen Blütezeit gaben die Römer dem Marillenbaum den lateinischen Namen „arbor praecox“ (frühblühender Baum). Daraus sollen über die italienischen Bezeichnungen „albicocca“ sowie „armenillo“ die deutschen Worte Aprikose bzw. Marille entstanden sein.

Wachauer Marille g. U.

Besonders bekannt ist in Österreich die „Wachauer Marille g. U.“, denn in dem Gebiet an der Donau findet traditionell nicht nur der Wein, sondern auch die Marille ideale Klima- und Anbaubedingungen vor. Der Marillenanbau hat dort lange Tradition und wurde nach 1890 noch verstärkt ausgebaut, als viele Weingärten durch starken Reblausbefall zerstört wurden. Die großen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht während der Reifezeit sowie das Zusammenspiel verschiedener Klimaströme in unmittelbarer Nähe zur Donau führen zu besonders aromatischen Früchten. Entgegen vieler Vermutungen ist die Wachauer Marille g. U. allerdings keine eigenständige Sorte, sondern eine seit 1996 geschützte Ursprungsbezeichnung. Es dürfen somit nur jene Früchte als Wachauer Marille g. U. bezeichnet werden, die strengen Herkunftskriterien entsprechen. Jeder Verarbeitungsschritt von der landwirtschaftlichen Erzeugung und Verarbeitung muss dafür in der angegebenen Region erfolgen.

Wissenswert

In der Wachau werden die reifen Früchte traditionell mithilfe einer „Marillenzistel“ geerntet. Dabei handelt es sich um einen Korb, der nach unten hin spitz zu läuft, um den Druck der Früchte besser zu verteilen. Dadurch werden die zuunterst liegenden Marillen nicht zerquetscht.

Innere und äußere Werte

National und international gibt es viele verschiedene Marillensorten mit klingenden Namen wie „Alte Ananas-Marille“, „Frühe Rosenmarille“, „Ungarische Beste“ oder „Schmelzende von Gaweinstal“. Sie alle unterscheiden sich in Eigenschaften, Form, Farbe und/oder Geschmack. So ist die Ungarische Beste beispielsweise durch ihre kompakte Struktur gut transportierfähig, während die Schmelzende von Gaweinstal sich durch ihr weiches Fruchtfleisch eher für den Anbau im heimischen Garten eignet, wo längere Transportwege ausbleiben. Die in der Wachau vorwiegend angebaute Sorte ist die „Klosterneuburger Marille“. Sie macht nahezu die gesamte Ernte in der Wachau aus und zeichnet sich durch einen hohen Pektin-, Säure- und Zuckergehalt aus. Das sorgt für einen besonders aromatischen Geschmack der rohen Frucht und eine gute Weiterverarbeitungsfähigkeit, beispielsweise zu Marmelade. Die Marille liefert neben dem Geschmackserlebnis auch wichtige Nährstoffe. So enthält sie unter allen Kern- und Steinobstarten etwa die höchsten Gehalte an Kalium, Eisen und β-Carotin sowie nennenswerte Mengen an Vitamin B1 und B2.

Mehr als nur Marmelade

In Europa glaubte man lange an eine aphrodisierende Wirkung der Marille. Diese Überzeugung fand sogar in der Literatur ihren Niederschlag. So lässt etwa die Elfenkönigin Titania in William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ jemandem Marillen geben, um seine Liebe zu ihr zu erwecken. Auch wenn die Wirkung als Aphrodisiakum nicht gesichert ist – in der Küche hat die Marille ihre Vielseitigkeit allemal bewiesen. Ob süß oder pikant, sie eignet sich als Hauptdarsteller auf dem Teller ebenso wie als harmonische Begleitung. Sie lässt sich gut mit verschiedenen Nüssen und Kräutern wie Minze oder Basilikum kombinieren und Gewürze wie Zimt, Vanille oder Ingwer unterstreichen ihr Aroma besonders gut.

Neben der klassischen Marmelade gibt es noch einige Gerichte und Kombinations-Möglichkeiten von frischen und getrockneten Marillen:

  • Marillenkuchen
  • Marillenknödel
  • Marillenkompott/-röster/-mark
  • Marilleneis/-sorbet
  • Marillensaft/-nektar
  • Marillenbrand/-likör
  • Marillenchutney
  • Im Salat besonders geeignet als lieblicher Kontrast zu Ziegenkäse
  • Als fein-süßliche Abrundung in orientalischen Gerichten (z. B. Couscous) oder in Risotto
  • Als kalte oder warme Ergänzung zu Gerichten mit Geflügel, Wild und Fisch

Wissenswert

In der Küchensprache bezeichnet das „Aprikotieren“ das Bestreichen von Kuchen, oder kleinen Gebäckstücken mit heißer, flüssiger Marillenmarmelade. Dadurch erhält das Gebäck eine glänzende Oberfläche und gehackte Nüsse, Zuckerstreusel oder Dekor bleiben besser haften. Die dünne Marmeladenschicht wird „Aprikotur“ genannt.

Achtung: Amygdalin

Auch die im Stein der Marille enthaltenen Kerne werden gelegentlich als Snack (z. B. „Marillenkerne bitter“) angeboten. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. Sie enthalten nämlich – wie bittere Mandeln, Apfelkerne und Samen anderer Steinfrüchte – das Glykosid Amygdalin, aus dem durch die Verdauung giftige Blausäure (Cyanid) entsteht. Zwar kann der menschliche Körper geringe Mengen davon tolerieren, wird allerdings zu viel aufgenommen, können Vergiftungserscheinungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, Schwindel oder Krämpfe auftreten. Im schlimmsten Fall kann eine Cyanid-Vergiftung auch zu Koma oder Tod durch Atemlähmung führen. Die Ausprägung der Symptome ist dabei von der Stärke der Vergiftung abhängig. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) liegt die unbedenkliche Dosis für Cyanid bei 20 µg pro Kilogramm Körpergewicht. Das entspricht bei gesunden Erwachsenen etwa zwei bis drei kleinen Marillenkernen pro Tag. Besonders bei Kindern reichen jedoch bereits sehr geringe Mengen, um schwere Vergiftungserscheinungen auszulösen. Sie sollten überhaupt keine Marillenkerne verzehren. Auch bei älteren oder kranken Menschen kann das körpereigene Entgiftungssystem oft nicht mehr adäquat arbeiten, um die Blausäure abzubauen, wie die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) zu bedenken gibt. In verarbeiteter Form werden bittere Marillen- oder auch Mandelkerne beispielsweise zur Aromatisierung in Marzipan eingesetzt, wobei die dabei verwendeten Mengen in der Aromenverordnung (EU) 2017/1237 geregelt und limitiert sind.

Wissenswert

Im Internet werden Marillenkerne häufig auch als Anti-Krebs-Mittel angepriesen. Denn Cyanid soll angeblich die entarteten Krebszellen abtöten. Diese Wirkung ist jedoch nicht wissenschaftlich belegt, weshalb von einem erhöhten Konsum eindeutig abgeraten wird.

Fazit

Die Marille ist ein beliebtes Obst mit langer Tradition. Ihre frühe Blütezeit macht sie allerdings besonders empfindlich gegenüber Frost. Sind die Früchte kräftig orange herangereift, können sie sowohl in süßen, als auch pikanten Speisen eingesetzt und zu zahlreichen Produkten wie Marmelade, Brand und Trockenfrüchten weiterverarbeitet werden. Beim Verzehr der kleinen Marillenkerne ist aufgrund des Amygdalin-Gehaltes jedoch auf die Menge zu achten.


Literatur

Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES): Verzehr von Marillenkernen kann zu schweren Vergiftungen führen. www.ages.at (Zugriff: 08.07.2021).

Aign W, Muskat E, Elmadfa I, Fritzsche D: Die große GU Nährwert-Kalorien-Tabelle 2018/19, 1. Auflage, Gräfe und Unzer Verlag, München (2017).

Arche Noah: Sortenbeschreibungen – Marille. www.arche-noah.at (Zugriff: 08.07.2021).

Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT): Wachauer Marille g.U. www.info.bmlrt.gv.at (Zugriff: 08.07.2021).

Bundeszentrum für Ernährung (BZfE): Aprikose in der Küche. www.bzfe.de (Zugriff: 08.07.2021).

Bundeszentrum für Risikobewertung (BfR): Amygdalin. www.bfr.bund.de (Zugriff: 08.07.2021).

Kluge F, Seebold E: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. Auflage, de Gruyter, Berlin (2002).

Verein „Wachauer Marille g.U.“: Wachauer Marille g. U. – Das Original. www.wachauermarille.at (Zugriff: 08.07.2021).

 

 

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