Nicht Fisch - nicht Fleisch
Die Schnecken zählen in unseren Breiten vorwiegend zu den lästigen Salaträubern und Hauptsorgen vieler Gärtner. Dabei gehört die artenreichste Gruppe der Weichtiere zu den ältesten Lebensmitteln der Menschheit. Mehr als 40 000 Schneckensorten gibt es – am Land, in Süßgewässern und den Meeren. Kulinarisch bedeutend sind jedoch nur wenige Arten. Allen voran die Weinbergschnecke und die Petit-gris, die kleine gesprenkelte Schwester der Weinbergschnecke. Wohlbekannt ist auch die Achatschnecke, eine Riesenschnecke, die in Ostafrika und Madagaskar beheimatet ist. Heute findet man sie in Asien und Teilen Amerikas. Vor allem in Japan sind diese Schnecken, die bis zu 30 cm lang und 500 g schwer werden, sehr beliebt. Zum Vergleich: Eine Weinbergschnecke wird durchschnittlich 10 cm lang und bringt maximal 30 g auf die Waage.
"Die Wiener Schnecke gehört zum kulinarischen Erbe der Alpen."
Die Weinbergschnecke, Helix pomatia, kommt vor allem in Mitteleuropa vor und wurde bereits in der Römerzeit als schmackhafte Speise geschätzt. Das zeigen Ausgrabungen antiker Küchenabfälle. Durch die Expansion des römischen Reiches verbreiteten sich auch die Schnecken sowie ihre Rezepte in ganz Europa und darüber hinaus, wie etwa nach Nordafrika und Asien. Im Mittelalter galten Schnecken als beliebte Fastenspeise, denn man zählte sie weder zu Fisch noch zu Fleisch. Die Fastenregeln wurden durch den Verzehr von Schnecken nicht verletzt und waren somit eine Leibspeise der Mönche. In vielen Klöstern wurden Schneckengärten angelegt, so auch in Österreich.
In Frankreich gelten Schnecken seit je als Delikatesse. Das ist vor allem Marie-Antonin Carême, einem der bedeutendsten französischen Köche aus dem 19. Jahrhundert, zu verdanken. Von ihm stammt das wohl berühmteste Schneckenrezept „Escargots de Bourgogne“. Dazu werden noch lebende Schnecken 20–30 Minuten in siedendem Wasser vorgegart. Anschließend wird die Schnecke aus dem Haus gelöst und mit Wein, Wasser, Zwiebeln, Karotten und Gewürzen drei weitere Stunden gekocht. Butter wird mit Würzzutaten vermischt, die gekochten Schnecken werden wieder in die Häuser zurückgegeben und die wiederum mit der Gewürzbutter verschlossen – et voilà!
Schnecken waren aber nicht nur als Gourmet- oder Fastenspeise beliebt, sondern erhielten auch in der Medizin Aufmerksamkeit. So gab es in Frankreich eine Bronchialsuppe aus Schnecken, und Schnecken wurden auch als Aphrodisiakum eingesetzt – zurückzuführen ist das auf die Antike, als Schneckenfleisch als „Kraftspender“ geschätzt wurde. Im Gegensatz zu den Mönchen und Gourmets in Frankreich wurden die Schnecken in Griechenland und Italien weder als Delikatesse noch als Wundermittel angesehen, sondern als Arme-Leute-Essen betrachtet.
Mengenmäßig zählen vor allem die Südfranzosen und die Nordspanier, konkret die Katalanen, zu den Schneckenschlemmern. Als Imbiss werden Schnecken, vorwiegend die Petit-gris, gerne sowohl im Süden Italiens (Kalabrien) als auch im Norden (Venezien) verzehrt. Ebenso essen die Portugiesen im Sud gekochte Caracois als Snack oder Appetizer. In Griechenland hingegen bevorzugt man Schnecken als gebratene Happen.
"Früher war die Wiener Schnecke als „Wiener Auster“ bekannt."
Wie war das in Österreich? Nicht Paris, sondern Wien war ab dem späten Mittelalter die Hochburg der Schnecken. Die Blütezeit der Wiener Schnecke war im 18. und 19. Jahrhundert. Sie verkaufte sich als „Wiener Auster“ am Schneckenmarkt im ersten Wiener Gemeindebezirk hinter der Peterskirche. Die Schnecken wurden vorzugsweise in Kombination mit Weinkraut oder gekocht und gezuckert als Imbiss verzehrt. Den Schneckenkult gab es aber nicht nur in Wien, vielmehr waren Schneckenliebhaber in ganz Österreich zu finden – vor allem in Salzburg und der Steiermark. Seit den 1980er-Jahren stehen die Weinbergschnecken in Österreich unter Naturschutz, da sie in freier Natur vom Aussterben bedroht sind. Somit dürfen ausschließlich gezüchtete Schnecken verzehrt werden.
Der Text ist die gekürzte Fassung des Artikels: Stadlmayr B: Nicht Fisch - Nicht Fleisch, ernährung heute 2_2016, S. 22-23.
Literatur
Sievers, GH: Schnecken Kochbuch. Leopold Stocker Verlag, Graz (2005). ISBN 3-7020-1093-9.
www.wienerschnecke.at
www.weichtiere.at/Schnecken/weinbergschnecke.html
www.wienerschnecke.at/OE1.mp3
www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=14635