12.12.2009 von Mag. Maria Wieser

Sicher ist sicher

Experten sprechen von einer noch nie da gewesenen Lebensmittelsicherheit. Gleichzeitig verderben uns Diskussionen rund um Antibiotikarückstände, Pestizid-Paprikas und Schummelschinken immer wieder den Appetit. Eine Betrachtung von Qualität und Risiko

Gigi Vianello ist ein attraktiver und erfolgreicher Geschäftsmann, der in seinem Gourmetrestaurant auf Sardinien nur die allerbesten Speisen von höchster Qualität serviert. Das große Geld verdient er damit allerdings nicht. Sondern im internationalen Handel mit minderwertigen oder kontaminierten Lebensmitteln. Der gesellschaftskritische Kriminalroman „Ich vertraue dir“ greift ein hochbrisantes Thema auf, das beim Leser unweigerlich zu der Frage führt: Wie sicher ist sie, unsere schöne, neue Welt des Essens? Und wem können wir heute noch vertrauen?

Qualität ist das beste Rezept

Qualität ist – gerade im Nahrungsbereich – ein sehr dynamischer Begriff. Um sie bestmöglich garantieren zu können, gibt es auf internationaler Ebene den Codex Alimentarius von FAO und WHO, in dem sich unterschiedlichste Standards - für Lebensmittelzusatzstoffe oder zu bestimmten Warengruppen - finden. Diese stellen zwar formaljuristisch kein bindendes Recht dar, werden jedoch etwa im Falle von Handelsstreitigkeiten von der Welthandelsorganisation als Referenznormen herangezogen.
Leitlinien zur Lebensmittelqualität sind heute von enormer Bedeutung. Angesichts der Komplexität moderner Nahrungsproduktion wird es immer schwieriger, allein anhand von traditionellem Erfahrungswissen zu beurteilen, was, sinnbildlich gesprochen, ins Töpfchen kommt und was ins Kröpfchen. Globale Märkte bringen Vielfalt und Abwechslung auf den Teller, haben aber auch ihren Preis: Sie bergen neue Risiken und erfordern neue Strategien der Lebensmittelsicherheit.

No risk, no fun?

Ende der 1990er Jahre: Die großen Krisen rund um BSE und Dioxin zeigen den verantwortlichen Behörden ihre Grenzen auf. Dadurch bringen sie einen großen Stein ins Rollen, ein mitunter radikales Umdenken beginnt. Seitdem hat sich viel getan: Dem EU-Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit, in dem Grundprinzipien wie das Prinzip der Rückverfolgbarkeit oder die Kontrolle aller Produktionsstufen „vom Acker bis zum Teller“ festgelegt wurden, folgte 2002 die Gründung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Eine ihrer Aufgaben ist es, der Frage nachzugehen, wann ein Verzehrsprodukt sicher ist und wann nicht.
„Nicht sicher“ ist es per Definition dann, wenn es entweder potenziell gesundheitsschädlich oder aber für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist. Nicht immer gelingt es, eindeutige Zuordnungen zu treffen. Dann braucht es ein geeignetes Werkzeug, nämlich die auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Risikoanalyse.

Wahrheit und Klarheit

Vor einigen Jahren wurde nachgewiesen, dass sich in stark erhitzten Lebensmitteln wie Chips, Pommes frites, Keksen oder Knäckebrot ein zwar bekannter, jedoch hinsichtlich seiner Eigenschaften wenig untersuchter Röststoff befindet, das Acrylamid. Es lässt sich weder bei der industriellen Produktion noch bei der Lebensmittelverarbeitung im Haushalt vollständig vermeiden. Geht eine Gefahr von ihm aus? Wie groß oder klein ist sie? Der Prozess der Risikoanalyse hilft bei der Beurteilung:
Zuerst einmal werden in der Risikobewertung alle verfügbaren Daten über wissenschaftliche Forschung, Expositionsquellen und Verzehrsmengen zusammengetragen, um das gesundheitliche Risiko für den Menschen zu quantifizieren. In unserem Beispiel legten Ergebnisse aus Tierversuchen nahe, dass eine hohe Acrylamidaufnahme die Entstehung bestimmter Krebserkrankungen begünstigen kann.
Durch das Risikomanagement im Bereich der regulativen Ebene werden Möglichkeiten abgewogen, wie das Risiko verringert oder vermieden werden kann. Für Acrylamid wurde ein EU-weites Monitoring-Programm eingeführt und eine stufenweise Absenkung der Acrylamidgehalte im Sinne eines Minimierungskonzeptes beschlossen: Überschreitet ein Produkt den maximalen Signalwert von 1000 µg/kg, so treten die Überwachungsbehörden in einen Optimierungsdialog mit den betroffenen Herstellern. Die Belastung von Lebensmitteln kann so verringert und der Signalwert neu berechnet bzw. abgesenkt werden.
Parallel dazu findet idealerweise bereits eine adäquate Form der Risikokommunikation statt. Im Fall von Acrylamid wurden die Verbraucherverbände frühzeitig über das Problem informiert und zu regelmäßigen Gesprächsrunden eingeladen. Da der Röststoff auch bei der Zubereitung im Haushalt entsteht, wurden einheitliche Empfehlungen erarbeitet und kommuniziert. Für das Braten, Backen und Frittieren sollte demnach die Regel „Vergolden statt Verkohlen“ beherzigt werden.

Wissenswert

Gefahr und Risiko sind nicht dasselbe. Eine Gefahr beschreibt das Potenzial einer Technologie oder Substanz, Schaden anzurichten, wie etwa die Toxizität eines chemischen Stoffes. Sie wird erst dann zum Risiko, wenn sich ihr eine Angriffsfläche bietet, zum Beispiel ein Mensch, der ihr ausgesetzt wird.

Risiken als Glaubensfragen

Nicht immer sind sich Experten und Regulierungsbehörden auf der einen und die Öffentlichkeit auf der anderen Seite über den Umgang mit einem Risiko einig. Das, was die Menschen ängstigt, ist nicht unbedingt das, woran sie – statistisch gesehen – am häufigsten sterben. So ist etwa das gefühlte Risiko bei Pestizidrückständen in Lebensmitteln groß. Aus wissenschaftlicher Sicht hingegen ist selbst bei sporadischen Überschreitungen der Höchstmengen kein gesundheitliches Risiko erkennbar. Warum erscheinen bestimmte Gefahren akzeptabel, während andere als zu riskant abgelehnt werden? Das ist das Forschungsgebiet der Risikowahrnehmung. Immer häufiger werden neben der rein wissenschaftlichen Sichtweise auch individuelle Wahrnehmungsfaktoren in die Überlegungen der Risikoanalyse integriert, wodurch der Prozess in all seinen Stufen entscheidend verbessert werden kann.

Risikowahrnehmung ist sehr individuell und durch viele Faktoren beeinflusst. Die 2006 veröffentlichte Eurobarometer-Studie zu diesem Thema zeigt, dass Verbraucher mit der Übergewichtsdebatte, die von Experten als eine der größten Problemzonen der öffentlichen Gesundheit angesehen wird, relativ sorgenfrei umgehen. Der Grund liegt in der subjektiven Risikowirklichkeit. Sie entsteht durch vorgefasste Meinungen und Erfahrungen eines Menschen, die ihm vermitteln: Wenn du ein Risiko selbst kontrollieren kannst und / oder es freiwillig eingehst, dann ist es weniger bedrohlich für dich.
Oft werden auch so genannte Heuristiken, also vereinfachende mentale Strategien, genutzt, um Gefahren einzuschätzen: Je leichter wir uns Ereignisse vorstellen oder uns an sie erinnern können, je besser sie also kognitiv verfügbar sind, umso eher lösen sie Angst aus. Daher werden Häufigkeit und Dramatik spektakulärer Risiken wie BSE oder Naturkatastrophen oft überschätzt, während Alltägliches wie Asthma oder Schlaganfall kaum beachtet wird.

No scare, no story

Auch die Medienlandschaft trägt ihr Scherflein zur Beeinflussung der individuellen Risikowahrnehmung bei. Sie bestimmt zu einem Gutteil, was wir über Gesundheit und Essen hören, lesen und glauben.
Zeitungen wollen und müssen sich verkaufen. Das erreichen sie jedoch nicht durch eine möglichst genaue Beschreibung der Wirklichkeit, sondern durch Skandalgeschichten und Enthüllungsstories rund um Gen-Tomaten, Gruselkäse und Farbstoffe, die Kinder hyperaktiv machen. Medien alarmieren und erzeugen unter Umständen sogar Krisen. Das Gute daran ist: Sie fördern dadurch das Überdenken der gängigen Praxis und sind daher durchaus eine Chance für Veränderung und Innovation im Umgang mit Risiken.

Fazit

Eine gute Risiko-Kultur braucht nicht bedenkenlose, sondern „risikomündige“ Akteure. Gigi Vianello, der sardische Krimiheld, antwortet auf die Frage, wieso den Leuten der Qualitätsunterschied nicht auffällt: „Heutzutage hat sich der Geschmack der Leute verändert, weil sich eine Ernährung auf niedrigem Niveau durchgesetzt hat. Wer gutes und gesundes Essen will, muss nicht nur Geld ausgeben, sondern auch erst einmal lernen, was Qualität ist“.
Dazu wird es zunehmend erforderlich sein, eine offene, transparente und vollständige Information möglichst vieler Beteiligter zu gewährleisten. Erst dadurch kann neues Wissen entstehen und die Kompetenz der Gesellschaft, tragfähige Entscheidungen in Bezug auf potenzielle Risiken zu treffen.

Literatur

Abate F, Carlotto M: Ich vertraue dir. C. Bertelsmann Verlag, München (2009).

European Commission: Special Eurobarometer 238 “Risk Issues” / Wave 64.1 – TNS Opinion & Social (2006). http://ec.europa.eu/food/food/resources/special-eurobarometer_riskissues20060206_en.pdf

Fernández-Celemin L, Jung A: What should be the role of the media in nutrition communication? Br J Nutr 96: S86–S88 (2006).

Renn O: Risk perception and communication: Lessons for the Food and Food Packaging Industry. Food Additives & Contaminants 22: 1061–1071 (2005).

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