11.11.2020 von Dr. Carina Kern

Tabuthema: Diabetes und sexuelle Funktionsstörungen

Viele Menschen mit Diabetes entwickeln im Laufe der Zeit Folge- und Begleiterkrankungen wie eine Neuropathie oder Herz-Kreislauferkrankungen. Doch auch Sexualfunktionsstörungen kommen häufig vor. Schätzungen zufolge ist jeder zweite Mensch mit Diabetes betroffen, doch nur wenige sprechen darüber. Dabei können die Beschwerden oft erfolgreich behandelt werden.

Galten sexuelle Funktionsstörungen früher als rein psychisch bedingt, so ist heute bekannt, dass bei der Mehrheit der Betroffenen eine körperliche Ursache vorliegt. Eine der häufigsten ist ein schlecht eingestellter Blutzucker bei Diabetes mellitus. Denn dauerhaft erhöhte Blutzuckerspiegel können Gefäße wie Nerven schädigen und die Durchblutung verschlechtern. Das betrifft nicht nur Augen, Herz und Nieren, sondern auch die Sexualorgane. Je länger der Diabetes besteht, desto größer können die Auswirkungen auf die sexuelle Erregbarkeit von Menschen und deren Lustempfinden sein.

Symptome bei Männern und Frauen

Neben Orgasmusstörungen und Libidoverlust äußern sich die Symptome bei Männern mit Typ-2 Diabetes oftmals durch eine erektile Dysfunktion. Die diabetesbedingte Impotenz ist eine der häufigsten Komplikationen. Bei Frauen begünstigen schlechte Blutzuckerwerte Infektionen mit Bakterien oder Pilzen, was zu Entzündungen der Vagina oder der Harnwege, trockenen Schleimhäuten und mitunter Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führen kann. Aus falsch verstandenem Schamgefühl sprechen viele Menschen ihre Beschwerden lange Zeit nicht an. In der Fachliteratur gibt es über die Häufigkeit von Sexualstörungen bei Personen mit Diabetes mellitus vermutlich auch deshalb stark unterschiedliche Zahlen.

Geschätzt jede(r) Zweite

Im deutschsprachigen Raum, so schätzt man, leidet im Schnitt rund die Hälfte der männlichen Diabetiker an einer diabetesbedingten Sexualstörung wie Impotenz. Häufig tritt sie bei Männern im Alter von 40 bis 74 Jahren mit langer Erkrankungsdauer und schlechtem Blutzuckermanagement auf. In einer Untersuchung aus England lag der Anteil der Betroffenen mit rund 70 % sogar deutlich höher. Bei Frauen ist der Einfluss auf die Sexualität schlechter quantifizierbar als bei Männern und daher noch wenig erforscht. Aus Analysen geht hervor, dass bei rund einem Drittel der Diabetikerinnen im Laufe des Lebens eine sexuelle Funktionsstörung auftritt.
Laut Forschern liegt die Dunkelziffer für beide Geschlechter womöglich weitaus höher. Unbehandelt können Sexualstörungen den Alltag mit der chronischen Erkrankung zusätzlich erschweren.

Psyche und Medikamente spielen eine Rolle

Ein wesentlicher Faktor ist die psychische Belastung, die Diabetes mit sich bringt: Sorgen um die Gesundheit, Unsicherheit bei der Einnahme von Medikamenten, Angst vor den Folgeerkrankungen oder eingeschränkte körperliche Belastung. Im Vergleich zu Gesunden leiden Menschen mit Diabetes häufiger an Depressionen, die die Lust an der Liebe zusätzlich rauben. Zum hohen Blutzucker tragen zudem oft Bluthochdruck, schlechte Blutfettwerte, veränderte Hormonspiegel, Übergewicht und Rauchen negativ bei. Auch blutzuckersenkende Medikamente, Mittel gegen Bluthochdruck oder erhöhtes Cholesterin sowie Psychopharmaka können das sexuelle Verlangen, das Empfinden und auch die Erektionsfähigkeit zusätzlich beeinträchtigen.

Wissenswert

Dank Sensortechnologie ist die Blutzuckermessung heute völlig „unblutig“ und kann bequem über mobile Endgeräte gesteuert werden. Hier lesen Sie über Funktionsweisen aktueller Messsysteme sowie deren Vor- und Nachteile. 

Sprechen Sie darüber!

Vernachlässigen Diabetiker ihre Therapie oder setzen ihre Präparate ohne ärztliche Rücksprache ab, können sich die Zuckerwerte rasch verschlechtern und damit auch die Sexualprobleme. Sexualfunktionsstörungen zu tabuisieren und aus Schamgefühl totzuschweigen ist nicht ratsam. Daher empfehlen Ärzte und Diabetologen, Patienten für dieses Problem zu sensibilisieren und gezielt danach zu fragen. Liegt eine Störung vor, sollte gemeinsam mit der Fachperson des Vertrauens entschieden werden, welche Behandlung die richtige ist.

Wissenswert

Das deutsche Informationszentrum für Sexualität und Gesundheit e.V. (ISG) bietet einen Online-Selbsttest für Männer und Frauen an, der Hinweise auf eine potenziell vorliegende Sexualstörung geben kann. Wichtig: Der Fragebogen dient der persönlichen Einschätzung, ersetzt aber keine professionelle Diagnosestellung durch den behandelnden Arzt.

Vielzahl von Therapiemöglichkeiten

Beim Mann können Erektionsprobleme medikamentös durch sogenannte PDE-5-Hemmer (Phosphodiesterase-Typ-5-Inhibitoren), Hormontherapien oder Vakuumpumpen erfolgreich behandelt werden. Wurden alle Maßnahmen ausgeschöpft und die Symptome nicht verbessert, besteht die Option einer Penisprothese, die operativ implantiert wird. Auch für Frauen sind die Therapiemöglichkeiten vielfältig. Bei Entzündungen und trockenen Schleimhäuten helfen bereits einfache Mittel wie Salben, Gele oder Zäpfchen. Auch hormonelle Ersatztherapien in Form von Cremes bringen häufig rasche Besserung.

Im Falle einer psychischen Belastung kann oft auch eine psychotherapeutische Begleitung sinnvoll sein. Aber auch die Schulung zu Hygienemaßnahmen zur Vermeidung von Infektionen im Urogenitalbereich ist eine wichtige Maßnahme, um wieder zu einem befriedigenden und erfolgreichen Sexualleben zu gelangen.

Fazit

Sexuelle Störungen sind nicht selten eine Folge des Diabetes, werden jedoch oftmals aus Scham verschwiegen. Da es mittlerweile zahlreiche Behandlungsmöglichkeiten gibt, lohnt es sich, die Beschwerden in einem Termin mit dem behandelnden Arzt anzusprechen. Eine professionelle Betreuung kann helfen, von der geeigneten Therapie zu profitieren und das Liebesleben wieder zu stärken.  

Buchtipp

 

Thiel A:
In guten wie in schlechten Werten - Was das Leben mit Diabetes für Familien & Paare bedeutet
Kirchheim Verlag, Mainz (2018).
176 Seiten, brochiert
ISBN: 978-3-87409-673-7
Preis: € 19,90

Literatur

Pressemeldung der Deutschen Diabetes-Hilfe „Am 14. November 2020 ist Weltdiabetestag: Sexuelle Funktionsstörungen bei Diabetes mellitus betreffen viele Männer und Frauen“ vom 04.11.2020.
Merfort F: Sexualstörungen bei Diabetes mellitus. Der Diabetologe, 15(6), 591-610 (2019).
Rutte A et al: Prevalence and correlates of sexual dysfunction in men and women with type 2 diabetes. Journal of sex & marital therapy, 41(6), 680-690 (2015).
Rahmanian E, Salari N, Mohammadi M, Jalali R: Evaluation of sexual dysfunction and female sexual dysfunction indicators in women with type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Diabetology & Metabolic Syndrome, 11(1), 73 (2019).
Flotynska J et al: Sexual dysfunction is a more common problem in young women with type 1 diabetes than in healthy women. Journal of Sex & Marital Therapy, 45(7), 643-651 (2019).
Kouidrat Y: High prevalence of erectile dysfunction in diabetes: a systematic review and meta‐analysis of 145 studies. Diabetic Medicine, 34(9), 1185-1192 (2017).
DiabSite (Das unabhängige Diabetes-Portal): Erektionsstörungen - kein Grund zum Verzweifeln. 222.diabsite.de (Zugriff: 10.11.2020).
Diabinfo (Das Diabetesportal): Diabetes und sexuelle Funktionsstörung. www.diabinfo.de (Zugriff: 09.11.2020).
Informationszentrum für Sexualität und Gesundheit e. V. (ISG): Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) und Sexualität. www.isg-info.de (Zugriff: 10.11.2020).

 

 

 

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