19.12.2022 von Redaktion (aktualisiert)

Visionen für den Fleischkonsum

Fleisch als Klima-Killer und Gesundheitsrisiko: Übermäßiger Fleischverzehr gerät zunehmend in Verruf. Dabei gibt es vielversprechende Rezepte für eine nachhaltige Ernährungszukunft – vorausgesetzt, alle Akteure der Gesellschaft ziehen mit

Unser Hunger auf Fleisch scheint unverändert: Die globale Fleischproduktion hat sich in den vergangenen 50 Jahren verdreifacht. Gleichzeitig werden die damit verbundenen gesundheitlichen und ökologischen Folgen zunehmend sichtbar. Die industrielle Massentierhaltung verschlingt immer mehr Ressourcen, artenreiche Regenwälder und Savannen müssen weichen, um Platz für gentechnisch veränderte Futtermittel zu schaffen. Studien belegen, dass die weltweite Artenvielfalt rasant abnimmt; bereits 83 % aller wilden Säugetiere sind verschwunden. Als Hauptgrund gilt meist die Ausweitung der Landwirtschaftsflächen für die Fleisch- und Futtermittelproduktion. Schon heute sind die fünf größten Fleisch- und Molkereikonzerne für mehr Treibhausgasemissionen verantwortlich als die großen Ölkonzerne. Dabei besteht ein großes globales Ungleichgewicht: Wie in vielen anderen Bereichen macht der Konsum der Industrieländer den Löwenanteil aus. Hier liegt der Fleischkonsum pro Kopf beim 2,5-Fachen der Entwicklungsländer. Ökologische Probleme kennen aber keine Grenzen, wie vor allem die Klimaerhitzung zeigt: Unser westlicher Lebensstil trägt zwar viel mehr dazu bei, am stärksten betroffen sind aber jene Menschen, die in ärmeren Regionen von der Subsistenzwirtschaft leben. Für sie sind die Folgen des Klimawandels wie extreme Dürren oder Überschwemmungen existenzbedrohend.

Wandel in der Fleischproduktion

Nicht nur ökologische und soziale, sondern auch gesundheitliche Probleme gehen zunehmend auf das Konto des Fleischkonsums: Fettleibigkeit, steigendes Herzinfarktrisiko und Diabetes werden vermehrt damit in Verbindung gebracht. Auch in Österreich wird weit mehr Fleisch gegessen als empfohlen. Waren es in den 1960er-Jahren noch rund 45 kg pro Jahr, haben wir im Jahr 2021 mit fast 60 kg Fleisch dreimal so viel gegessen, wie die Österreichische Gesellschaft für Ernährung als Obergrenze für einen gesunden Fleischkonsum ausweist. Weltweit betrachtet werden wir nur von Ländern wie den USA und Australien überboten. Außerdem wissen wir: Zwei Drittel (67 %) der ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen fallen auf tierische Produkte zurück, wovon Fleisch den größten Anteil mit 43% aufweist. Würden wir uns an die Ernährungsempfehlungen halten, liegt das Einsparungspotential bei 28 %. Weitere positive Effekte durch den Umstieg auf biologische, regionale und saisonale Produkte sind hier noch gar nicht einberechnet.

Da es bei den Methoden der Fleischproduktion enormen Spielraum gibt, kann Fleisch eine stark variierende Umweltbilanz an den Tag legen. Das wird klar, wenn man einen Blick in die Vergangenheit wirft. Vor der großen Industrialisierungswelle in der Landwirtschaft der Nachkriegszeit waren Nutztiere ein notwendiger Bestandteil der Kreislaufwirtschaft. Rinder sind durch die Bakterien im Pansen in der Lage, die im Gras der Almwiesen und Weiden gespeicherten Proteine für den Menschen verfügbar zu machen und damit Räume zu erschließen, die dem Menschen sonst nicht zur Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen würden. Das hat durchaus positive Effekte für die Umwelt. Die so entstandene Kulturlandschaft – etwa im Alpenraum – weist eine hohe Artenvielfalt auf.

Dieser Effekt verschwindet zunehmend. Heutzutage stehen konventionelle Rinder selten auf der Weide, sie werden mit Kraftfutter gefüttert. Besonders ertragreiche Nutzplanzen, wie Getreide und Soja werden auf großen Flächen angebaut, die uns auch direkt zur Nahrungsmittelproduktion dienen könnten. Außerdem handelt es sich im Regelfall um Monokulturen, bei denen hohe Mengen an Pestiziden und mineralischen Düngemitteln eingesetzt werden. Artenvielfalt sucht man vergeblich, die Äcker gleichen einer biologischen Wüste. Verschlimmernd kommt hinzu: Ein Rind muss zehnmal so viele Kalorien zu sich nehmen, wie es in Fleisch und Milch speichert. Den Rest benötigt es, um den eigenen Stoffwechsel aufrechtzuerhalten. Dadurch ist das Rind nicht nur zum Verursacher großer ökologischer Probleme geworden, sondern auch zum direkten Nahrungsmittelkonkurrenten des Menschen. Denn Getreide und Soja könnten, anders als Gras, auch ohne diesen verlustreichen Umweg direkt auf unseren Tellern landen.

Ähnliches ist in der Schweinehaltung zu beobachten. Jahrhundertelang wurden Schweine in den Wald getrieben, um dort nach Eicheln, Pilzen und Würmern zu suchen. Gleichzeitig eigneten sie sich als praktische Verwerter von Essensabfällen, die im Haushalt anfielen. Inzwischen basiert die Schweinemast nicht nur auf Getreide und Mais, sondern auch auf importiertem, oft gentechnisch verändertem Soja aus Südamerika.

Mit Slogans wie „Feed No Food“ oder „Teller statt Trog“ machen immer mehr Aktivisten darauf aufmerksam, dass dadurch die globale Ernährungssicherheit gefährdet wird. Damit relativiert sich auch der oft vorgebrachte Vorwurf gegen Tofu & Co., dass diese sojabasierten Nahrungsmittel genauso für die Rodung wertvoller Regenwälder verantwortlich seien. Tatsache ist, dass nur ein minimaler Teil des globalen Sojaanbaus direkt für den menschlichen Verzehr erfolgt. Nicht der Anbau von Soja per se ist problematisch, sondern die steigende Nachfrage durch den global wachsenden Heißhunger auf billiges Fleisch. Überdies werden für die meisten Sojaprodukte, die in Österreich erhältlich sind, ohnehin heimische Pflanzen verarbeitet.

Weniger, dafür besseres Fleisch

Der WWF empfiehlt, nicht nur weniger Fleisch, sondern auch besseres Fleisch zu konsumieren. Was bedeutet das konkret? Produktionsweisen, bei denen weniger Kraftfutter eingesetzt wird und der Futtermittelanbau ohne umweltschädliche Pestizide und energieintensive Kunstdünger auskommt. Produktionsweisen, bei denen die Tiere ihren natürlichen Verhaltensweisen nachgehen können, ihnen mehr Platz zur Verfügung steht und der Antibiotika-Einsatz gering gehalten wird. Die biologische Landwirtschaft kann viele dieser Versprechen einlösen. Dies ist allerdings mit Mehrkosten verbunden: Während sich der Preisunterschied von konventionell zu biologisch bei Gemüse oder Obst in den vergangenen Jahren stetig verringert hat, ist Bio-Fleisch immer noch weitaus teurer. Doch dieses Bild ist trügerisch. Rechnet man die Kosten der Umweltschäden ein, für die die Gesellschaft aufkommen muss, verringert sich der Preisunterschied drastisch.

Immer mehr Menschen entschließen sich dafür, ganz auf Fleisch oder tierische Produkte zu verzichten. Etwa 11 % der Österreicher bezeichnen sich als vegetarisch oder vegan. Die Gründe sind vielfältig: Die meisten geben an, aus ethischen oder moralischen Bedenken auf eine pflanzliche Ernährung umzusteigen. Auch Gesundheitsaspekte nehmen einen wichtigen Platz ein. Der Geschmack ist in den meisten Fällen nicht ausschlaggebend. Bei einer Umfrage gab nur ein Drittel der Vegetarier an, den Geschmack von Fleisch nicht zu mögen.

Der Trend zu pflanzlicher Ernährung beeinflusst das Angebot. Restaurants bieten zunehmend Speisen an, die ohne tierische Produkte auskommen. Auch Supermärkte wittern hier Potenzial; der Umsatz mit veganem Leberkäse, Grillwürstchen auf Pilz-Basis und Seitan-Schnitzel steigt. Dennoch weicht hier die öffentliche Wahrnehmung teils stark von den Fakten ab: Laut AMA steht das Verhältnis von Fleisch zu Fleischersatz noch immer bei 99:1. Doch wie sieht es mit den ökologischen Auswirkungen von vegan und vegetarisch aus? Laut Berechnungen der Universität Oxford könnten 70 % der ernährungsbedingten Treibhausgase eingespart werden, würde die gesamte Menschheit auf eine rein pflanzenbasierte Ernährung umstellen. Das Vegetarier-Szenario spart immerhin 63 % ein.

Wie wichtig die Veränderung unseres Fleischkonsums im größeren Bild eines nachhaltigeren Ernährungssystems ist, zeigt auch eine Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau: Demnach könnten die neun Milliarden Menschen, die 2050 auf unserem Planeten leben werden, vollständig biologisch ernährt werden, wenn wir beim Fleisch um ein Drittel zurückschrauben und Lebensmittelverschwendung um 50 % eindämmen.

Rezepte für eine bessere Zukunft

Der Fleischatlas, ein Sammelheft von Heinrich-Böll-Stiftung, BUND und Le Monde Diplomatique, thematisiert bereits in der vierten Ausgabe die globalen Zusammenhänge der Massentierhaltung. Doch in diesem Jahr stellt die Publikation deren Auswüchse nicht nur an den Pranger, sondern sucht auch nach Lösungen.

Das Potenzial für Veränderung ist groß. Weil der Wertewandel in der Bevölkerung bislang nur langsam greift, stecken Umweltschutzorganisationen und weitere zivilgesellschaftliche Akteure viel Energie in Aufklärungskampagnen. Der Fleischkonsum in den westlichen Ländern stagniert zwar oder ist leicht rückläufig, dies reicht jedoch bei weitem nicht aus, um schnell genug zu einem ökologisch und sozial verträglichen Maß zurückzufinden. Bislang sind viele Initiativen daran gescheitert, dass die politische Forderung nach weniger Fleisch beim ersten Hinhören zu sehr nach Zwang klingt. Der sogenannte Meatless Monday ist eine weltweite Bewegung mit der Absicht die Menschen auf positive Weise zu ermutigen weniger Fleisch zu essen oder zumindest einen fleischlosen Tag pro Woche einzubauen. Viele Unternehmen, Krankanstalten oder Restaurants werben mit diesem Slogan für vegetarischen oder veganen Gerichte.

Die notwendige Trendwende kann nur gelingen, wenn das Thema mit positiven Gefühlen besetzt und konkret aufgezeigt wird, dass eine stärker pflanzenbasierte Ernährung durchaus genussvoll sein kann und eine Bereicherung darstellt.

Auch wenn letztendlich individuelle Lebensstile und Konsumentscheidungen zählen, werden diese durch die richtigen Anreize und Lösungen von Wirtschaft und Politik ermöglicht. Konkret sind die einzelnen Akteure gefragt, wenn es um Verantwortung geht und die Weichen für eine nachhaltige Ernährung zu stellen sind. Zum Beispiel können Restaurants und Kantinen vegetarische, vegane oder biologische Varianten sichtbarer platzieren und attraktiver anpreisen. Zusätzliche Informationen über die Vorzüge dieser Speisen erleichtern die Entscheidung und tragen zur Bewusstseinsbildung bei. Fleisch kann in kleineren Portionen angeboten werden und sollte eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung tragen. Diese sanften Formen der Lenkung des Verhaltens durch positive Anreize, auch „Nudging“ genannt, werden in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen müssen.

Es braucht außerdem passende Rahmenbedingungen, die auf politischer Ebene geschaffen werden können, beispielsweise hinsichtlich des Abbaus umweltschädlicher Subventionen im Landwirtschaftssektor oder Kostenwahrheit. Derzeit werden rund 40 % des gesamten EU-Budgets für die Landwirtschaft ausgegeben, aber in vielen Fällen werden damit umweltschädliche Praktiken finanziert, anstatt gezielt auf eine nachhaltige Produktion hinzuarbeiten. Auch hier braucht es einen Kurswechsel hin zu mehr Nachhaltigkeit, Fairness und Klimaschutz. Wünschenswert ist, alle Instrumente der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) konsequent auf eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft auszurichten. Konkrete Reformvorschläge hat auch der WWF eingebracht.

Während die Politik und Konzerne oft schwerfällig sind, zeigen Grass-Root-Initiativen und Start-ups bereits vor, welche Ansätze in der Praxis funktionieren. Vegetarische Caterer schaffen es, Gemüse hip zu machen. Online-Bauernmärkte vernetzen kleinstrukturierte Bio-Landwirte mit umweltbewussten Stadtbewohnern. Kreative Hobbyköche verwerten Tiere von Kopf bis Fuß und betreiben in einer Fernsehshow noch dazu unterhaltsame Bewusstseinsbildung. Klar ist: In diesem Fall verderben zu viele Köche nicht den Brei, vielmehr gibt es vielfältige Rezepte für mehr Nachhaltigkeit in unseren Ernährungsweisen. Für eine echte Trendwende müssen diese aber von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aufgegriffen und auf allen Ebenen verstärkt werden. Letztlich braucht es dafür auch den Mut und den Willen, für eine gerechtere und bessere Welt einzustehen.

Mehr zum Thema Fleisch gibt es in der ernährung heute 3_2021 Vom Tier zum Fleisch“.

Der Artikel ist eine aktualisierte Fassung des bereits in der ernährung heute 3_2018 „Nachhaltiger Wandel“ erschienenen Artikels "Visionen für den Fleischkonsum" von Helene Glatter-Götz.

Literatur

Europäisches Parlament: Verlust der Biodiversität: Ursachen und folgenschwere Auswirkungen. Opens external link in new windowwww.europarl.europa.eu (Zugriff am 30.11.2022).

Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Le Monde Diplomatique: Fleischatlas. 5. Auflage, Berlin (2019).

Heinrich-Böll-Stiftung, GLOBAL 2000, Vier Pfoten: Fleischatlas. 1. Auflage, Österreichische Ausgabe, Berlin / Wien (2021).

GRAIN & IATP. Emissions Impossible: How Big Meat and Dairy are Heating up the Planet (2018).

National Geographic: Die Artenvielfalt der Erde schwindet. www.nationalgeographic.de (Zugriff am 24.11.2022).

Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL): Neue Studie belegt: Bio kann einen wichtigen Beitrag zur Welternährung leisten. www.fibl.org (Zugriff am 24.11.2022).

Schlatzer M, Lindenthal T: Die Auswirkungen einer Reduktion des Fleischkonsums auf Tierhaltung, Tierwohl und Klima in Österreich – unter Berücksichtigung eines 100% Bio-Szenarios. Wien (2022).

Statistik Austria: Pro-Kopf-Konsum von Fleisch in Österreich nach Art im Jahr 2021. www.statista.com (Zugriff am 23.11.2022).

The Monday Compaigns: Meatless Monday. www.mondaycompaigns.org (Zugriff am 30.11.2022).

WWF: Achtung heiß und fettig – Klima & Ernährung in Österreich www.wwf.at [Zugriff am 19.12.2022).

WWF: Towards a Common Agricultural Policy that works for people and nature – CAP post 200 reform orientation and future policy instruments. www.wwf.at (Zugriff am 19.12.2022).

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