11.04.2007 von Redaktion

Vitaminpräparate: mehr Risiko als Nutzen

Um sich eine ausgewogene Ernährung zu sichern, greifen 10-20 % regelmäßig zu Vitaminpräparaten. Doch die Einnahme von Brausetabletten, Kapseln, Shakes und Co. bestätigt sich einmal mehr als Gratwanderung.

Zahlreiche Studien belegen, dass die Vitamine A, C, E und der Mineralstoff Selen Radikale im Körper abfangen und „entschärfen". Sie wirken also antioxidativ und daher der Entstehung von bestimmten Krebsarten und Herz-Kreislauferkrankungen entgegen. Den Grundstein für das Interesse an antioxidativen Vitaminen legten Ergebnisse von Beobachtungsstudien: Personen mit hohem Obst- und Gemüsekonsum hatten ein deutlich niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Studien, in denen hingegen einzelne Vitamine als hoch dosiertes Supplement zugeführt werden, erzielen keine zusätzlichen positiven Ergebnisse. Ganz im Gegenteil: Bei manchen Präparaten kommt es sogar zu einem gesteigerten Erkrankungsrisiko.

Die Dosis macht das Gift

Erst kürzlich stellten WissenschafterInnen der Universität Kopenhagen in einer Übersichtsstudie fest, dass antioxidative Nahrungsergänzungsmittel in hoher Dosierung die Gesundheit gefährden können. Die Wissenschafter analysierten knapp fünfzig klinische Studien zu den Leistungen von Vitamin A, E, C, ß-Carotin und Selen. Die Überprüfung ergab, dass Vitaminpräparate die Sterblichkeit erhöhen können: Vitamin E  um durchschnittlich 4 %, ß-Carotin um 6 % und Vitamin A um 16 %. Für Selen und Vitamin C sei das Risiko weder erhöht noch verringert.

Von Experten wurde das Ergebnis dieser Meta-Studie heftig diskutiert. Hauptkritikpunkte waren die Studienauswahl und die angewandten Vergleichskriterien.  So unterscheideten sich die Kollektive der einzelnen Studien  durchaus in Gesundheitszustand und Alter. Auch die Dosierungen und Kombinationen der Antioxidantien sowie die Studiendauer variierten innerhalb eines breiten Spektrums.

Trotzdem: Überraschend sind die Ergebnisse nicht, erregten doch schon mehrere Studien der vergangenen zwei Dekaden Aufsehen. In der 1994 veröffentlichten ATBC-Studie aus Finnland wurde ein 18 % höheres Risiko für Lungenkrebs beobachtet, wenn ß-Carotin supplementiert wurde. Zwei Jahre später bestätigte die amerikanische CARET-Studie diese Beobachtung: Wenn Raucher ß-Carotin-Supplemente einnahmen, stieg das Risiko für Lungenkrebs deutlich an. Ebenso wenig wurden positive Resultate mit Vitamin E-Supplementierungen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen erwirkt. Dies zeigten die italienische GISSI-Studie und die HOPE-Studie mit Daten aus 19 Ländern. Und auch ein Zuviel an Vitamin C kann gesundheitsschädlich wirken, wenn es sich um künstliches isoliertes Vitamin C handelt.  Chronische Supplementierung von über 500 mg (das Fünffache der empfohlenen Tagesdosis) steht im Zusammenhang mit einer Wandverdickung der Hauptschlagadern. Erklärt wird dies damit, dass künstliches Vitamin C mit Eisen in Wechselwirkung tritt, die selbst bei normaler Eisenzufuhr zu chronischen Eisenüberdosierungen führen kann.

Positive Ergänzung

Zu einem teilweise positiven Resultat kam hingegen die französische „SU.VI.MAX Studie" („The Supplementation en Vitamines et Mineraux Antioxydants"). Hier wurde bei 13 000 TeilnehmerInnen getestet, wie effizient die Supplementierung mit Vitamin C (120 mg), E (30 mg), ß-Carotin (6 mg) und Selen (100 mg) gegen das Entstehen von Krebs und Herzerkrankungen ist. Nach siebeneinhalb Jahren zeigte die Supplementierungs-Gruppe im Vergleich zu Plazebo-Gruppe eine signifikant geringere Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit - allerdings nur bei Männern. Dass dieser Effekt nicht bei Frauen auftrat, erklärten die WissenschafterInnen mit den meist niedrigeren Blutkonzentrationen einiger Antioxidantien bei Männern vor Studienbeginn.

Mit Vorsicht zu genießen

Regelmäßig erscheinende Ernährungsberichte belegen, dass Nährstoffmängel in unseren Breiten selten sind. Manche Menschen erreichen bei gewissen Nährstoffen die Zufuhrsempfehlungen nicht, was jedoch keinem Mangelzustand entspricht. Denn die Empfehlungen enthalten große "Sicherheitspolster". Nahrungsergänzungsmittel sind für junge und gesunde Menschen daher nicht notwendig.
In hohen Konzentrationen supplementiert, können Vitamine sogar zellschädigende Effekte auslösen und somit Krebs- und Herz-Kreislauferkrankungen fördern. Die positiven Wirkungen der Vitamine sind jedoch gewährleistet, wenn sie in nahrungsgebundener Form und in physiologischen Konzentrationen aufgenommen werden.

Achtung: Monopräparate

Präparate, die nur einen Wirkstoff enthalten, sind aus zwei Gründen wenig ratsam: Zum Einen betreffen Nährstoffunterversorgungen aufgrund einseitiger Ernährung meist mehr als einen Nährstoff. Zum Anderen beeinflusssen  einzelne hochdosierte Nährstoffe die Verfügbarkeit anderer Wirkstoffe. Eisen und Zink sind beispielsweise Gegenspieler, die einander bei hoher Aufnahme blockieren. Das Risiko für ein derartiges Ungleichgewicht ist bei ausgewogen dosierten Multivitaminpräparaten bedeutend geringer.

Begrenzt sinnvoll

Zweckmäßig kann der Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln allerdings bei Schwangeren und Stillenden sowie bei Älteren sein. Eine den physiologischen Gegebenheiten entsprechend ausreichende Nährstoffversorgung ist für sie über die Nahrung allein nur schwer möglich.
Schwangere und Stillende haben einen erhöhten Folsäure-Bedarf von 600 µg. Sie sollten kräftig zugreifen bei Tomaten, Kohl, Spinat, Gurken, Salat sowie Weintrauben, Orangen, Milchprodukten und Eiern oder Weizenkeimen und Sojabohnen. Zusätzlich wird Schwangeren die Supplementation von 400 µg Folsäure empfohlen, um Neuralrohrdefekten beim Ungeborenen vorzubeugen. Diese erhöhte Folsäurezufuhr sollte spätestens vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft erfolgen und während des ersten Drittels der Schwangerschaft beibehalten werden.
Bei Menschen mit atrophischer Gastritis kann die Verwertung von Vitamin B12 vermindert sein, da hierfür ein bestimmtes "Transportvehikel", der "Intrinsische Faktor", als Folge der Schleimhautentzündung fehlt. 30% der über 65-Jährigen entwickeln eine derartige Magenschleimhautentzündung. Auch Vitamin D kann im Alter ein kritischer Nährstoff sein, da die Eigenproduktion im Körper reduziert ist. Eine Supplementation der beiden Vitamine kann daher im höheren Lebensalter empfehlenswert sein.

Fazit

Vitamin- und Mineralstoffpräparate können eine abwechslungsreiche, gesunde Ernährung niemals ersetzen, lediglich in bestimmten Lebensphasen ergänzen. Eine Kost mit ungefähr fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag punktet mit gesundheitsfördernden Nebenwirkungen. Und das ganz ohne Risiko. Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sollte jedenfalls nur in Absprache mit dem Arzt erfolgen.

Literatur

Bjelakovic G et al.: Mortality in randomized trials of antioxidant supplements for primary and secondary prevention: systematic review and meta-analysis. Journal of the American Medical Association 297 (8): 842-57 (2007).

Hercberg S et al.: The SU.VI.MAX Study: a randomized, placebo-controlled trial of the health effects of antioxidant vitamins and minerals. Archives of internal medicine 164 (21): 2335-42 (2004).

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