Von Wald und Wiese: Pilz-Basics
Pilze kennt der Mensch schon sehr lange, seit gut 30 000 Jahren. Das ist die Zeit des mittleren Jungpaläolithikums, als der Neandertaler vom Homo sapiens abgelöst wurde. Bis vor kurzem dachte man noch, dass Pilze damit länger als Alkohol konsumiert werden. Doch vor ein paar Jahren stellte sich heraus: Unsere Vorfahren aßen bereits vor 10 Mio. Jahren die von Obstbäumen gefallenen Früchte, und die waren häufig bereits vergoren. Zurück zu den Pilzen: Sie zählten bei den Sammlern neben Beeren zu den Fixstartern und wurden durch Trocknen haltbar gemacht. Auch bei den Römern galten Trüffel, Steinpilz und Kaiserling als besondere Delikatesse. Auf ihren hohen Wert deutet ein Epigramm des Dichters Marcus Valerius Martialis aus dem 1. Jahrhundert hin: „Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten.“ Während man sich in unseren Breiten noch auf Wildpilze konzentrierte, entwickelten sich in Ostasien bereits die ersten Pilzkulturen. Das Judasohr wird in China seit etwa 1500 Jahren kultiviert. Je nach Überlieferung baut man den Shiitake dort ebenfalls bereits seit 1000 bis 2000 Jahren an. Dafür werden die Sporen auf abgestorbenem Holz ausgesetzt und gedeihen darauf bei hoher Feuchtigkeit prächtig.
In Europa ließ die Begeisterung für Pilze über die Jahrhunderte nach. Im Mittelalter wurden sie nur von armen Leuten auf Wiesen und in Wäldern gesammelt. Im Barock fand ein Sinneswandel statt und die Pilze avancierten wieder zu wahren Leckerbissen. Die erste Pilzzucht startete um 1650 mit Champignons am Hof von Ludwig XIV. Aufzeichnungen zufolge war er ebenso wie Napoleon ein Fan von Trüffeln, die aber erst im Laufe des 19. Jahrhunderts richtig in Mode kamen, wodurch der Preis dieser Edelknolle zu steigen begann.
In Österreich erschien die erste mykologische Publikation 1601 am Hof von Kaiser Rudolf II. Der Autor Carl Clusius hatte in diesem Werk bereits 102 Pilzarten beschrieben und in essbare und schädliche kategorisiert. Eine wesentliche Rolle als Nahrungsquelle kam den Pilzen während des Ersten und Zweiten Weltkrieges zu. 1919 wurde in Wien die Mykologische Gesellschaft gegründet. Ab den 1950er-Jahren entwickelte sich ein reger Schwammerlhandel. Einheimische und urlaubende Sammler tauschten ihre Funde gegen Bargeld. In den vergangenen Jahrzehnten ist das Schwammerlsammeln in Österreich jedoch wegen der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986 und aufgrund des Preisverfalls durch die Ostöffnung deutlich zurückgegangen. Nun scheint sich ein Revival anzukündigen. Und das gibt Anlass, sich genauer mit Pilzen zu befassen.
Was ist ein Pilz eigentlich?
Pilze sind weder Pflanzen noch Tiere, sondern eine eigene Lebensform. Aufgrund ihrer Zellstruktur und Eigenschaften stehen sie den Tieren näher als den Pflanzen. Da Pilze – im Gegensatz zu Pflanzen – nicht zur Photosynthese fähig sind, brauchen sie kein Licht. Sie leben von organischen Nährstoffen aus der Umgebung, ein feuchter Waldboden beispielsweise bietet organische Nahrung in Hülle und Fülle. Ebenso wie Tiere lagern Pilze Glykogen ein, während Pflanzen Stärke speichern. Zellulose, der Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden, ist in Pilzen nicht zu finden. Die Zellwände vieler Pilze enthalten Chitin, das sonst nur bei Gliederfüßern und Weichtieren vorkommt.
Gedanklich sind Pilze allerdings eher als Pflanzen verankert. Wahrscheinlich, weil Pilze wie Pflanzen am Boden sesshaft sind, und weil die Ernte des Fruchtkörpers nicht zum Tod der Pflanze führt – so wie der Apfelbaum nicht stirbt, wenn man Äpfel pflückt. Daher werden Pilze auch in veganen Rezepten verwendet.
Es geht drunter und drüber
Die meisten Speisepilze sind Ständerpilze und bestehen aus einem unterirdischen Pilzgeflecht (Myzel) sowie einem oberirdischen Fruchtkörper. Das Myzel ist ein verzweigtes Geflecht aus Fäden (Hyphen), das sich in der Erde, auf Holz, Laub, sowohl auf lebendem als auch totem, organischem Gewebe ausbreiten kann. Die Ernährung der Pilze erfolgt über die Hyphen: Die Pilze scheiden Enzyme aus, die – analog zu Verdauungsenzymen – umgebende Nahrungsquellen aufschließen. Die gelösten Nährstoffe nimmt der Pilz über die Hyphen auf. Das Myzel von Pilzen kann riesengroß werden. Der derzeit bekannteste größte Pilz ist ein Hallimasch in Oregon, dessen Myzel sich über eine Fläche von 880 ha ausbreitet.
Was wir sammeln und essen, der Fruchtkörper, macht nur einen kleinen und kurzlebigen Teil des Pilzorganismus aus. Pilze mit Fruchtkörper werden auch Großpilze genannt. In Europa gibt es mehr als 5000 Großpilze, davon sind 150 giftig. Die biologische Bedeutung dieser Fruchtkörper liegt in der Verbreitung des Pilzes. Pilze vermehren sich vorwiegend asexuell über Sporen, die in den Röhren oder Lamellen des Fruchtkörpers gebildet und vom Wind oder von Pilze fressenden Tieren verbreitet werden.
Zu den Ständerpilzen zählen die klassischen Hutpilze (Röhrenpilze und Lamellenpilze; siehe unten), aber auch Leistenpilze wie Eierschwammerl oder Herbsttrompete. Die Bezeichnung Ständerpilz hat dabei nichts mit der Pilzform zu tun, sondern damit, dass die Sporen auf Sporenständern, den Basidien, heranreifen. Bei Schlauchpilzen reifen die Sporen – wie der Name vermuten lässt – in Schläuchen. Trüffeln, die keinen oberirdischen Fruchtkörper ausbilden, sowie Morcheln zählen zu dieser Kategorie. Aber auch viele Hefen und Schimmelpilze zählen zu den Schlauchpilzen. Sie sind also für Brot, Wein, Bier oder Käse relevant.
Merkmale von Speisepilzen
Die Bestimmung einer Pilzart erfolgt durch den Fruchtkörper. Der klassische Speisepilz besteht mit wenigen Ausnahmen aus Hut und Stiel. An der Unterseite des Hutes sind feine Häute lamellenartig (Lamellenpilze) oder röhrenförmig (Röhrenpilze) angeordnet. Zu den Lamellenpilzen zählen etwa Austernseitling, Parasol oder Wiesenchampignon, zu den Röhrenpilzen gehören Birkenpilz, Butterpilz, Maronenröhrling oder Steinpilz.
Unterschiede zwischen Röhrenpilzen und Lamellenpilzen (Credit: iStock).
Die Hutform des Pilzes ist charakteristisch für eine Sorte, kann sich jedoch mit zunehmendem Alter des Fruchtkörpers ändern. Junge Maronenröhrlinge haben beispielsweise halbkugelige Hüte, die bei älteren Exemplaren flach und polsterförmig werden. Der Hut kann aber auch gewölbt (Steinpilz), spitz gebuckelt, schwach gebuckelt (ausgewachsener Parasol), glocken-, kugel-, ei- oder walzenförmig sein. Er kann niedergedrückt, genabelt oder muschelförmig (Austernseitling) sein. Die Oberfläche des Hutes kann glatt oder schuppig, aufgerissen, gezont oder mit Flocken besetzt sein. Der Hutrand ist gewellt, gelappt, gefurcht oder eingerissen.
Wesentlich ist der Ring, die Manschette: Sie kann herabhängen oder aufsteigend geformt sein, einfach oder doppelt sein, gerieft oder glatt. Ob sich der Ring am Stiel bewegen lässt, kann ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ähnlich aussehender Pilze sein.
Letztlich hat der Stiel unterschiedliche Formen. Er ist je nach Pilz nach unten hin bauchig, zylindrisch, keulenförmig, spitz oder knollig. Die genannten Merkmale helfen bei der Pilzbestimmung.
Bei Leistenpilzen wie Eierschwammerl oder Herbsttrompete ist der Fruchtkörper hingegen trompetenförmig, es gibt keine Einteilung in Hut und Stiel. Der Pilz „Krause Glucke“ sieht wie ein Schwamm aus. Letzteres passt zur botanischen Bezeichnung der Pilze, denn das lateinische Wort fungus stammt vom griechischen Wort sphóngos – Schwämme – ab. Die Bezeichnung rührt daher, dass Pilze wie Schwämme voll Wasser sind.
Wissenswert
Die Online-Datenbank der Österreichischen Mykologischen Gesellschaft informiert darüber, wo heimische Pilze verbreitet sind.
Nicht immer der Nase nach!
Letztlich kann der Geruch ein Indikator sein, doch auch hier ist äußerste Vorsicht angebracht. Manche ungenießbaren Pilze haben zwar einen unangenehmen Geruch, etwa nach Karbol, Harn oder Fisch. Aber auch der Speisepilz Heringstäubling riecht fischig. Viele Speisepilze haben einen angenehmen Duft, nach Wald oder Anis (etwa der Anisegerling), Bittermandel oder Knoblauch. Aber auch der giftige Grüne Knollenblätterpilz riecht angenehm süßlich.
Der Artikel wurde erstveröffentlicht in der ernährung heute 1_2017.
Literatur
Grünert H, Grünert R: Die farbigen Naturführer. Pilze. Mosaik Verlag. O.J.
Kamolz K: Pilze finden. Verlag Perlen-Reihe, Wien (2013).
Lowahg K: Ein Beitrag zur Geschichte der Mykologie in Österreich. Verlag Berger und Söhne, Horn (Download unter www.biologiezentrum.at).
Lelley JI, Sari M, Hambitzer R: Kulturspeisepilze. Ernährungsumschau 6: M352–362 (2015).
Österreichische Mykologische Gesellschaft, 2015: Datenbank der Pilze Österreichs. Bearbeitet von Dämon, W., Hausknecht, A., Krisai-Greilhuber, I. – www.austria.mykodata.net (Zugriff: 22.2.2017).
Teubner (Hrsg.): Food – die ganze Welt der Lebensmittel. Teubner Verlag, (2011).
Tannahill R: Food in History. Three Rivers Press, New York (1988).