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Wie süß ist die Zukunft?
Sucht man nach Medienberichten über Zucker liest man Formulierungen wie „Ernährungsfalle: Versteckter Zucker in Lebensmitteln!", „Zeitbombe Zucker", „Die Zuckerfalle" oder „Zucker - so schädlich wie Alkohol?". Da ist von Sünde, Todesfällen, Droge, Schock, Bombe und Tricks die Rede. „Es scheint, als wäre es nicht möglich, positive Geschichten über Zucker zu finden", fasst Medientrainer Georg Pollhammer seine Recherche zusammen und führt weiter aus: „Dass Zucker ein Thema allgemeinen Interesses ist, zeigt die Tatsache, dass allein 2012 im Sendungsarchiv des ORF 56 Beiträge darüber zu finden sind. Googelt man ‚versteckter Zucker‘ erscheinen in Millisekunden 84.000 Hits am Bildschirm und mit den Schlagwörtern ‚Zucker‘ und ‚krank‘ poppen gar über eine Millionen Treffer auf. Eine der größten Wochenzeitschriften des Landes titelte sogar mit ‚Volksdroge Zucker‘".
Zucker macht nicht süchtig
Dabei ist letzteres nicht nur eine unzulässige Übertreibung sondern fachlich schlichtweg falsch. „Es gibt keine Zuckersucht. Punkt. Und damit könnte ich meinen Vortrag auch schon wieder schließen", fasst Michael Musalek vom Anton Proksch Institut in Wien zusammen. Das Entscheidende an einem Suchtmittel ist, dass es unglaublich gut und unmittelbar wirken muss, dass es uns massiv psychisch verändert, dass es also psychotrop wirkt. So wie zum Beispiel Opiate, Kokain, Tranquilizer oder Alkohol. „Das können Sie mit Zucker nicht erreichen", so Musalek „weil Zucker keine derartige psychotrope Wirkung hat. Sucht ist immer etwas Desaströses, etwas, das einem irgendwann völlig entgleitet. Und da sind wir bei Zucker weit davon entfernt". Natürlich, es gibt auch bei Zucker Menschen mit übermäßigem Konsum. „Aber nicht jeder erhöhte Konsum endet in einer Sucht", betont Musalek. Zucker macht nicht abhängig. Dafür gibt es eine klare Definition gemäß der sogenannten ICD-10 Systematik (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), wonach mindestens drei von sechs Kriterien über mehrere Wochen zutreffen müssen, bevor man von einem Abhängigkeitssyndrom oder einer Sucht spricht (s. Info unten). Und Zucker - auch wenn es häufig so dargestellt wird - ist demnach eindeutig keine Substanz mit Suchtpotenzial. Dazu kommt: Sucht ist oftmals nicht die Primärerkrankung, sondern Folge psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Panikstörungen.
Abhängigkeitssyndrom (ICD-10):
- 1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren (Craving)
- 2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums (Kontrollverlust)
- 3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums (Körperliche Abhängigkeit)
- 4. Nachweis einer Substanztoleranz (Toleranzentwicklung)
- 5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen (Psychische Abhängigkeit I)
- 6. Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (Psychische Abhängigkeit II)
Warum hält sich der Glaube an vermeintlich schädliche Wirkungen dann dennoch so hartnäckig in der öffentlichen Meinung? „Weil es plausibel und verständlich klingt", erklärt Pollhammer. Dadurch merkt man es sich leicht. Und was ich mir merke, erzähle ich weiter. So entstehen Meinungen, die kaum mehr auszuradieren sind. Auch wenn mit Fakten dagegengehalten wird. Doch Meinungen werden nicht über Zahlen und Fakten gebildet, sondern über Plausibilität.
Bei der Diskussion rund um zu hohen Zuckerkonsum wird zudem oft übersehen, dass es laut EFSA und deutschsprachigen Ernährungsgesellschaften keine wissenschaftliche Basis für einen Höchstwert für (zugesetzten) Zucker gibt, sondern nur „maßvoller" Konsum empfohlen wird. Die Durchschnittsösterreicher nehmen dem aktuellen Ernährungsbericht 2012 zufolge nur 9-10 % der Tagesenergie in Form von zugesetztem Zucker auf.
Diskurswechsel rund um Zucker
Dabei stand Zucker im 17. und 18. Jahrhundert in der öffentlichen Wahrnehmung noch ganz am anderen Ende der Skala. „Zucker war Lustmittel, kostbares Gewürz, ein Statussymbol der Oberschicht", erklärt Lothar Kolmer, Gastrosoph an der Universität Salzburg. „Süßspeisen wurden mit Zucker bestreut, um nach außen zu demonstrierten - seht her, ich kann es mir leisten!". Nun befinden wir uns mitten in einem Diskurswechsel. Der Diskurs um Zucker war zu jener Zeit einer rund um Liebe, Lust und Laster. Heute dagegen ist er zu einem Gesundheitsdiskurs geworden. Zu einem Thema, das verunsichert und - bis hin zur Panikmache - sogar Angst macht. Kein Wunder, dass die Suche nach - kalorienfreien - Zuckeralternativen intensiv betrieben wird und nicht zu enden scheint. So haben eine Reihe von Süßstoffen den Weg in die Lebensmittelregale gefunden.
Aspartam ist sicher ...
Doch auch hier scheint die breite Meinung von Halbwissen, Verunsicherung und Angst geprägt. Von dick und krank machend bis hin zu krebsauslösend reichen die Meinungen speziell im Zusammenhang mit Aspartam. Auch hier zeigt sich: Meinungen, nicht Fakten bestimmen den gängigen „Wissenstand". „Es gibt diesen feinen Unterschied zwischen ‚Sound Science' und ‚Sounds Like Science'", bringt es Andreas Kadi von sraConsult auf den Punkt. Die Fakten rund um Aspartam wurden von den wissenschaftlichen Gremien der EU in den letzten 30 Jahren bereits wiederholt auf den Tisch gelegt. Sprich, die jeweils aktuelle Studienlage wurde gesichtet, bewertet und immer wieder kamen die Experten zum selben Schluss: Aspartam ist sicher.
Aktuell führt die European Food Safety Authority (EFSA) erstmals eine öffentliche Konsultation zur vollständigen Risikobewertung von Aspartam durch. Das Fazit der Wissenschafter nach Sichtung der vorliegenden Literatur im aktuellsten Entwurf des EFSA-Dokuments vom Jänner 2013: Aspartam ist sicher. Wieder einmal. Und es ist kaum zu erwarten, dass das Konsultationsverfahren, in dem jeder interessierte Marktteilnehmer bis 14. Februar seine Argumentation und Unterlagen einbringen konnte, zu einer wesentlich anderen Einschätzung führt.
... und Stevia trägt keinen Heiligenschein
Relativ neu in der Riege der Süßstoffe ist Stevia. Der anfängliche Hype rund um die aus der Pflanze Stevia rebaudiana gewonnenen Steviolglycoside scheint allerdings schon wieder abzuflachen. Denn die kalorienfreie Zuckeralternative ist nicht so natürlich, wie sie anfangs beworben und wahrgenommen wurde. Die süßenden Glykoside werden in einem mehrstufigen Verfahren aus den Blättern extrahiert. Das kommt auch in der Konsumentenwahrnehmung langsam an. Zugelassen ist Stevia - eigentlich die Steviolglykoside - in der EU seit Ende 2011 als Zusatzstoff E960.
Das Fazit der Diskussion rund um Süßstoffe: Sie sind und bleiben eine sichere Alternative zu Zucker. Gleichzeitig bleiben allerdings auch die Chemophobie vieler Konsumenten, Panikmacher und die Notwendigkeit für eine gute und transparente Kommunikation. Die Suche nach dem Heiligen Gral der natürlichen, kalorienfreien und exakt wie Zucker schmeckenden Alternativen geht also weiter.
Fruchtzucker: Kritisch beleuchten
Auch bei Fruchtzucker wandelt sich das Bild. Bis vor kurzem noch als „gesunde" Alternative in vielen Diabetiker- und Lightprodukten gerne eingesetzt, scheint er nun auch seine Unschuld zu verlieren. Ein langfristig hoher Fruchtzuckerkonsum nimmt eine zentrale Rolle bei der Entstehung einer nicht alkoholabhängigen Fettleber ein und begünstigt die Bauchfetteinlagerung. Was man sich noch näher ansehen muss, sind Auswirkungen wie mögliche Einflüsse auf die Darmflora, eine erhöhte Harnsäurebildung oder seine Rolle bei Entzündungsvorgängen im Körper.
Zucker und Zusammenhang mit Krankheiten: Die Beweislage
Hängen Kohlenhydrat- bzw. Zuckerkonsum mit der Entstehung chronischer Erkrankungen zusammen oder nicht? Dieser Frage gingen die Experten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in ihrer Leitlinie Kohlenhydrate nach. Darin wird die Datenlage nach anerkannten Evidenzgraden - also nach der wissenschaftlichen Beweislage - zusammengefasst und interpretiert. Das Ergebnis? „Der Kohlenhydratanteil in der Ernährung - und dazu zählen auch Zucker - zeigt keinen Zusammenhang mit der Entstehung von Diabetes mellitus Typ II. Zucker macht nicht zuckerkrank!", widerspricht Heiner Boeing, Epidemiologe am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) einer weiteren verbreiteten Meinung. „Das einzige, was wir anhand der vorhandenen Daten feststellen konnten, ist ein gewisser Zusammenhang zwischen dem erhöhten Konsum zuckergesüßter Getränke mit Adipositas. Und das auch nur bei Erwachsenem mit einer wahrscheinlichen Evidenz. Bei Kindern wird dieser Zusammenhang lediglich als möglich eingestuft". Ein erster Erklärungsversuch für diesen Zusammenhang wird in einer schnellen Energieaufnahme gesehen, wobei das Sättigungsempfinden erst verzögert einsetzt. Dadurch kann die Gesamtkalorienzufuhr erhöht sein. Für Haushaltszucker, Trauben- und Fruchtzucker an sich ist die Beweislage für einen Zusammenhang mit den untersuchten Krankheiten - etwa Adipositas, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebs - entweder unzureichend oder es liegen keine Beweise für eine Assoziation vor.
Wie süß ist die Zukunft?
„Die Zukunft wird sowohl zucker- als auch süßstoffsüß sein", ist sich Jürgen König, Präsident des Wissenschaftlichen Beirates des forum. ernährung heute sicher. „Wir wissen zwar viel aber noch nicht alles. Wir können oft noch keine harten Grenzen formulieren. Am Ende läuft es aber darauf hinaus, dass wir uns den Süßgeschmack nicht versauern oder verbittern lassen sollten. Die Zukunft darf süß sein. Wer feiert, sollte allerdings auch fasten. Sprich: Wir sollten einen maßvollen aber entspannten Umgang mit Süßem lernen. Jedenfalls aber sollen und dürfen wir genießen!"
Die Präsentationen und Fotos der Veranstaltung sind hier online verfügbar.