Rückblick
Tagungsrückblick
Am 19. Mai 2011 veranstaltete das forum. ernährung heute ein Symposium, das die Stärkung der Ernährungskompetenz junger Männer zum Thema hatte. In Vorträgen und Diskussionen erörterten namhafte Experten die Herausforderungen beim Zugang zur Zielgruppe. Für das forum. ernährung heute diente das Symposium als Grundlage für Pilotprojekte, die das Gesundheitsverhalten männlicher Jugendlicher nachhaltig verbessern sollen.
Männerspezifische Gesundheitsförderung wurde bis dato wenig beleuchtet. Vor allem sozial benachteiligte junge Männer weisen Defizite vom Ernährungsstatus über das Ernährungswissen bis hin zur Alltagsgestaltung auf. Essen ist für sie kaum ein Thema, „gesundes" Essen schon gar nicht. So sind beispielsweise 17 % der männlichen Lehrlinge übergewichtig, weitere 13 % adipös. Ein Drittel männlicher Lehrlinge isst selten oder nie frisches Obst, mehr als die Hälfte isst keine Vollkornprodukte. Fleisch hingegen ist die beliebteste Speisenkomponente. Offenbar lieben Männer deftiges Essen - und sind immun gegen klassische Strategien der Ernährungsaufklärung.
Rund 100 Teilnehmer folgten den Ausführungen von MMag. Manfred Zentner, Univ.-Prof. Dr. Bernhard Schwarz, Thomas Altgeld, Mag. Hanni Rützler, Franz Weissenböck und Mag. Hermine Mandl sowie weiteren Jugend- bzw. Ernährungsexperten.
Den Auftakt machte MMag. Manfred Zentner vom Institut für Jugendkulturfoschung in Wien, der in seinem Vortrag in die Welt der Jugendlichen einführte. Er zeigte auf, dass zuerst der kulturelle Hintergrund der Zielgruppe beleuchtet werden muss, um dann die gewünschten Informationen „richtig" verpacken zu können. Da sich ein großer Teil der Jugendlichen zumindest einer Szene zugehörig fühlt, sieht er in der Verwendung der Symbole und Codes der jeweiligen Jugendszene und durch den Einsatz der Szene-Heroes eine Möglichkeit, die Botschaft einer gesunden, genussvollen Ernährung an männliche Jugendliche zu vermitteln.
Junge Männer von einer gesunden Lebensführung und ausgewogenen Ernährung zu überzeugen, macht auch ökonomisch Sinn. Präventionsmaßnahmen im Bereich Fehl- und Überernährung werden von der OECD als äußerst kosteneffektiv angesehen und können zehntausende vorzeitige Todesfälle verhüten. Für Univ.-Prof. Dr. Bernhard Schwarz (Universität Wien) sind Gesundheitsförderungsmaßnahmen generell dann erfolgreich, wenn sie gezielt und systematisch geplant durchgeführt werden.
„Nehmen Sie dicke Socken mit"
Programmhinweise dieser Art klingen nicht verlockend - zugegebenermaßen nicht einmal für Frauen. An ihnen liegt es jedoch oft, dass klassische Strategien bei Männern häufig nicht funktionieren: Es wird die falsche Nachricht über den falschen Weg vom falschen Boten übermittelt. Der Psychologe Thomas Altgeld (Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin, Hannover) führte die Unter- und Fehlversorgungslage in der männlichen Gesundheitsförderung nicht nur auf das fehlende Gesundheitsbewusstsein der Männer zurück, sondern auf die geschlechterinsensible Ausgestaltung der meisten Angebote. Männer nehmen sich und ihre Gesundheit anders wahr als sie ihre Umwelt (Frauen) sieht und haben dabei eine erstaunliche Fähigkeit, sich die Dinge „schönzudenken". Altgeld rät daher zu einem differenzierteren Zugang zum Männerbild als Leitbild für eine zielgruppengerechte, positive Kommunikation. Der Vermittlung von hauswirtschaftlichen Kompetenzen in Bildungs- und Jugendfreizeiteinrichtungen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, wobei die Zielgruppe von Anfang an eingebunden werden muss.
Jugendliche sind wesentliche Trendsetter in unserer Gesellschaft. Jugendmarketing kann daher in der Gesundheitsprävention sinnvoll eingesetzt werden, so der Befund von Franz Weissenböck (GOLDFISH Marketing & Communication, Wien). Im Idealfall zielt die Kommunikation im Projekt darauf ab, dass junge Menschen ihr soziales Umfeld mit den relevanten Botschaften beeinflussen. Ein gut gemachtes Kommunikationskonzept ist auf die Zielgruppe und ihre Tonalität ausgerichtet. Jugendliche sind Medienprofis: Sie spüren sofort, wenn etwas nicht zusammenpasst. Daher muss vom Produkt über die Kommunikation bis hin zum Mitarbeiter alles in sich stimmig sein.
Die Trendforscherin Mag. Hanni Rützler (futurefoodstudio, Wien) ortet Potenzial in den „Geburtswehen des neuen Kochens". Durch Individualisierung, Emanzipation und neue Arbeitsverhältnisse geht das Image des Kochens als weibliche Pflicht zum Teil verloren und steigert die männliche Lust am Kochen. Weiters bedeutet eine schnelle und unaufwändige Alltagsküche, die weniger Zeitaufwand und Know-how erfordert, eine Enthierarchisierung und Vereinfachung des Kochens. So wird Kochen für Frauen wieder chic und für Männer erstmals attraktiv.
Berichte aus der Praxis
Interessante Informationen über das Kochprojekt MESSERscharf, welches männlichen Lehrlingen in Niederösterreich Kochfertigkeiten und mehr Bewusstsein rund ums Essen vermitteln soll, kamen von Mag. Hermine Mandl (PROgramm, Wien). Die Soziologin und Ethnologin berichtete, dass es den Lehrlingen in jungen Jahren darum geht, sich „auszuleben" und „auszuprobieren". Ein Vorsorgegedanke in punkto Ernährung ist bei den Lehrlingen nicht vorhanden. Dazu kommt, dass junge Männer von klein auf in bestimmte Ernährungsmuster hineinsozialisiert werden. Um männliche Lehrlinge für das Kochen zu begeistern, muss eine Brücke zwischen „Kochen als Muss" und „Kochen als Lust" gebaut werden. Gemeinsam mit dem Vater, der Familie oder mit Freunden - und zwar freiwillig - zu kochen, wird als positives Erlebnis wahrgenommen.
Kebab+ steht für Projekte, welche die Grundelemente Kochen, Essen, Begegnen, Ausspannen und Bewegen beinhalten und die in der Schweiz vom Migros Kulturprozent (Zürich) unterstützt werden. Auf die Partizipation der Jugendlichen und Aspekte der Nachhaltigkeit wird großer Wert gelegt. Die Projektkoordinatorin Sarah Stidwill sieht in geschlechterspezifischen Projekten eine Möglichkeit für Jugendliche, ihr Rollenbild, Rollenverständnis und die Gleichstellung der Geschlechter untereinander diskutieren können. Von diesen Projekten profitieren nicht zuletzt männliche Jugendliche ohne männliche Bezugspersonen im Alltag. Sie erhalten so die Möglichkeit, sich Vorbilder zu suchen und ihr eigenes Selbstverständnis zu fördern.
Über zufriedenstellende Ergebnisse vom Wiener Projekt „rundum gsund" berichtete auch Mag. Martin Schiller (MEN - Gesundheitszentrum, Wien). Ziel des geschlechts- und kultursensiblen Programms für Adipöse ist eine schrittweise Lebensstiländerung, eine langfristige Umstellung der Ernährungsgewohnheiten und eine Mobilisierung zur Alltagsbewegung. Das Programm wird mehrsprachig und geschlechter und kulturell homogen angeboten. Handlungsbedarf für künftige Gruppen gibt es beim Thema „Ernährung und soziales Umfeld". Männer tauschen sich zu wenig mit Gleichgesinnten und ihrem Umfeld aus. Eine Gruppentherapie könnte einen wertvollen Beitrag leisten.
Was sagen junge Männer übers Essen?
Abschließend diskutierten sechs junge Männer über ihre Essgewohnheiten. Matthias Rohrer (jugendkultur.at, Wien) leitete die lockere Diskussionsrunde, die im Anschluss von der Ernährungswissenschafterin Mag. Angela Mörixbauer (eatconsult) analysiert wurde. Die Einstellungen und Vorlieben beim Essen und Trinken gingen durchaus mit der Literatur konform, z. B. wurde Fleisch (Steak) von den meisten als Lieblingsessen genannt. Der Imbiss- oder Kebabstand sind beliebte Orte, um schnell einen Snack einzunehmen. „Gesund" gegessen wird zu Hause, wenn die Mama kocht. Bei Markenartikeln gelten besonders manche Getränke als Statussymbol. Das Ernährungswissen beziehen die Jugendlichen aus der Schule und aus einschlägigen Fernsehsendungen. Kochen lernen würden einige der jungen Männer, damit sie sich versorgen können, falls die Mama oder die Freundin nichts zu essen bereit stellt.
Nächste Schritte
Die Ergebnisse des Symposiums zeigen, dass die Ernährungskompetenz junger Männer ein gesellschaftlich relevantes Thema ist. Das forum. ernährung heute wird deshalb in den nächsten Schritten Impulse für Kommunikationsansätze und Pilotprojekte erarbeiten. Dabei wird es darum gehen, einerseits Defizite aufzuzeigen, sowie das beim Symposium erarbeitete Wissen in konkrete Lösungen für zielgerichtete Maßnahmen einfließen zu lassen. Ziel ist es, die bestehende Lücke in der Gesundheitsförderung bei der jungen Generation von Männern zu schließen.
Programm
Programm als pdf
08.45-09.15 Uhr | Registrierung |
09.15-09.30 Uhr | BegrüßungDr. Peter Reinecke, Präsident des f.eh |
09.30-10.00 Uhr | Jugendkulturforschung: Die Zielgruppe im VisierMMag. Manfred Zentner, jugendkultur.at, Wien |
10.00-10.30 Uhr | Ökonomisch brisant - gesellschaftlich relevantUniv.-Prof. Dr. Bernhard Schwarz, Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien |
10.30-11.00 Uhr | Sprungkraft bilden |
11.00-11.30 Uhr | Querdenken - Inspire Young People! |
12.00-13.15 Uhr | Mittagsbuffet |
13.15-13.45 Uhr | Kochen im Wandel - zwischen Convenience |
13.45-14.15 Uhr | Jung. Männlich. Lehrling. |
14.15-14.45 Uhr | Aus der Praxis für die PraxisSarah Stidwill (Kebab+) Martin Schiller (MEN - Gesundheitszentrum, Wien) |
14.45-15.15 Uhr | Jugend am Wort: Was sagen junge Männer übers Essen?Moderation: Matthias Rohrer, jugendkultur.at, Wien Mag. Angela Mörixbauer, eatconsult |
15.15-15.30 Uhr | Diskussion und Schlussworte |
Unterlagen
Jugendkulturforschung: Die Zielgruppe im Visier
MMag. Manfred Zentner [jugendkultur.at, Wien]
Ökonomisch brisant - gesellschaftlich relevant
Univ.-Prof. Dr. Bernhard Schwarz, Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien
Abstract
Präsentation
Sprungkraft bilden - psychologische Aspekte der Alltagsgestaltung
Dr. Thomas Altgeld, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin, Hannover
Abstract
Querdenken - Inspire Young People! Empathische Marketingkommunikation
Franz Weissenböck, GOLDFISH Marketing & Communication, Wien
Abstract
Kochen im Wandel - zwischen Convenience and Domestic Goddess
Mag. Hanni Rützler, futurefoodstudio, Wien
Abstract
Jung. Männlich. Lehrling. Ergebnisse von Fokusgruppen zur Entwicklung von Kochevents
Mag. Hermine Mandl, Psychotherapeutin, Wien
Abstract
Präsentation
Aus der Praxis für die Praxis
Sarah Stidwill, Kebab+
Abstract
Präsentation
Martin Schiller, MEN - Gesundheitszentrum, Wien
Abstract
Präsentation