19.09.2022

Auf dem Weg zu neuer Qualität

Symposium des f.eh zu Qualität und Wertschätzung von Lebensmitteln: Experten fordern Ernährungsbildung, mehr Transparenz und sachlichen Dialog, um Konsumenten selbstbewusste Lebensmittelwahl zu ermöglichen.

Die Qualität und Wertschätzung von Lebensmitteln sind komplexe Themen. Das Zusammenfügen der unterschiedlichen Dimensionen zu einem Gesamtbild kommt aber aufgrund der Fragmentierung der Gesellschaft und der daraus resultierenden Simplifizierung nicht zustande. Im Rahmen des 10. f.eh-Symposiums haben Experten daher auf unterschiedlichen Ebenen die Entstehung und die unterschiedlichen Formen von Qualität und Wertschätzung diskutiert. Sie kommen überein, dass es neben Transparenz und dem Aufbau von Vertrauen vor allem eine umfassende Ernährungs- und Verbraucherbildung braucht. Denn in das neue Qualitätsverständnis fließen zunehmend erlebnisbezogene Effekte sowie vor allem ethische Aspekte ein, wie die Debatte rund um Tierwohl verdeutlicht. „Ernährungsbildung ist die Grundlage für eine entdeckerische Annäherung an die Ernährung, die Wertschätzung und die Qualität von Lebensmitteln“, unterstreicht Marlies Gruber, Geschäftsführerin des forum. ernährung heute (f.eh) beim Symposium zum Thema „Über Qualität. Was wir wissen. Wie wir werten. Was wir wählen.“ „Mit Veranstaltungen wie dieser will das f.eh den Dialog über qualitatives Essen versachlichen und einen Diskurs mit unterschiedlichen Perspektiven über eine umfassende Aufklärung und Information der Verbraucher anstoßen. Daraus abgeleitete Maßnahmen sollen zu einem höheren Qualitätsbewusstsein und zu mehr Wertschätzung führen“, so Marlies Gruber.

Was ist Qualität? Und was nicht? Dirk Hohnsträter, Kulturwissenschafter an der Universität Hildesheim, räumt zum Auftakt des f.eh-Symposiums mit fünf Missverständnissen auf. Vorurteile liegen etwa Zeit und Raum betreffend vor.  So nennt er als erste Punkte die Verklärung der Vergangenheit und der Herkunft: „Heute gilt: Früher war alles besser und Handwerk hat etwas getaugt. Die Frage nach den Unterschieden zwischen Ideal und Praxis wird aber nicht beantwortet. Zweitens, ist der Qualitätsnationalismus ein Pauschalurteil aufgrund von geografischer Nähe, aber kein gutes Qualitätsmerkmal. Wichtiger als die Herkunft ist die Transparenz.“ Hinzu kommen die Annahmen, Qualität wäre nicht für jeden leistbar, der Geschmackserziehung und des Perfektionismus. Doch Hohnsträter betont dazu: „Es kommt immer auf die Situation an, in der man konsumiert und wie man konsumiert. Qualität ist ein Verhältnisbegriff. Der Kontext macht eine Entscheidung unterschiedlich.“

Wirkung ist wichtige Qualitätsdimension

Dem stellt Hohnsträter fünf Dimensionen gegenüber, die Qualität tatsächlich ausmachen: Das Material bzw. ein gutes Ausgangsprodukt, dessen Verarbeitung und Machart, die Form und das ästhetische Erscheinungsbild als wichtiger Beitrag zum kulinarischen Erlebnis sowie die Funktion – etwa des Sattwerdens oder Genießens beim Essen – und die Wirkung im umfassenden Sinne des Produkterlebnisses. In Erinnerung bleibt dabei nicht unauffälliges Funktionieren, sondern der Wow-Effekt. Zudem schließt die Produktwirkung auch eine Erweiterung des Qualitätsbegriffs um ethische, ökologische und gesellschaftliche Aspekte ein.

Barbara Kaiser vom deutschen Bundeszentrum für Ernährung wiederum nennt acht Werte, die eine Annäherung an die Qualität von Lebensmitteln erlauben: Gesundheit, Eignung wie Haltbarkeit und Lagerung, Genuss sowie ökonomischer, ökologischer, sozialer, soziokultureller und emotionaler Wert. Sie sind auf einem Qualitätsfächer und ergänzenden Fragekarten beschrieben, die auf Basis wissenschaftlicher Fakten für den Einsatz im Unterricht erstellt wurden. Damit werden Schülerinnen und Schülern schrittweise Qualitätsaspekte nähergebracht sowie Kompetenzen vermittelt, die es ermöglichen, die Folgen ihres Konsumverhaltens abschätzen und reflektieren zu können sowie freie und verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen.

Lukas Schwingshackl von der Uni Freiburg erläutert anhand verschiedener Konzepte, wie die Qualität der Ernährungsgewohnheiten beurteilt werden kann.  Während Nährstoff-orientierte Ansätze eine ganzheitliche Sicht einschränken, gibt es zu Essmustern wie der Mediterranen Diät Studien, die positive gesundheitliche Effekte belegen. Ernährungsmuster stellen bestimmte Konstellationen der Lebensmittelzufuhr in Gruppen von Individuen dar und erlauben neben der Kombination von Lebensmitteln und der Zeitplanung auch eine Fokussierung auf die Qualität von Produkten. Herausfordernde Limitationen räumt Schwingshackl jedoch bei der Einteilung der Lebensmittel nach Verarbeitungsgrad (NOVA-Klassifikation), beim Impact Assessment des Nutri Scores sowie den Vergleichen verschiedener Essmuster untereinander ein.

Familie und Bildung sind zentrale Impulse

Qualität von und Wertschätzung für Lebensmittel und Esskultur im Unterricht zu vermitteln, ist daher aus mehreren Gründen relevant. Eine umfassende Ernährungs- und Verbraucherbildung sowie eine familiäre Wissenstradierung sehen die Expertinnen und Experten beim f.eh-Symposium als wichtigste Maßnahmen, um Wissen, Kompetenzen sowie Haltungen zu vermitteln und die Urteilskraft zu schärfen. Christine Brombach von der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften betont dazu etwa: „Wir sind auf die umgebende Kultur und Sozialsituationen angewiesen, über die Wertschätzung vermittelt wird. Das Kind lernt über familiäre Alltagsroutinen, mit Lebensmitteln entsprechend umzugehen, und sammelt Lernerfahrungen. Zudem werden gewisse Werte vermittelt. Strategisch mehr Wertschätzung für Lebensmittel zu erzeugen, muss aber als komplexe öffentliche Bildungsaufgabe gesehen werden. Wir können nicht erwarten, dass es nur im Haushalt tradiert wird.“ 

Als weitere Möglichkeiten, qualitätskundig zu werden, nennen die Expertinnen und Experten urteilsbildende Instanzen wie Kritiker und Tester sowie zunehmend Communities und Gruppen, in denen eine Lebenskunst kultiviert wird, sich informiert und entdeckerisch mit kulinarischen Themen auseinander zu setzen. Diese Kultur der Qualitätszentrierung verringert das Risiko, angesichts des Überangebots überfordert zu sein. Ohnmachtsgefühle werden aber vor allem dann verringert, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten Handlungsalternativen kennen, anstatt Komplexität gänzlich auszublenden.

Transparenz und Dialog in der neuen Qualitätswirtschaft

Wie komplex Qualität und Wertschätzung sein können und dass es bereits in der schulischen Laufbahn eine Ernährungs- und Verbraucherbildung braucht, zeigen nicht zuletzt die Diskussionen um Fleischkonsum und Tierwohl. Denn Qualität von tierischen Produkten zu erkennen, wird für die Konsumentinnen und Konsumenten zunehmend durch einen Dschungel an Labeln und Siegeln erschwert, kritisiert Christina Mutenthaler von der AMA-Marketing. Sie will künftig die Leute über eine höhere Transparenz dazu animieren, sich mit Qualität auseinanderzusetzen. Eva Rosenberg (Vier Pfoten) spricht sich dazu für eine Herkunfts- und eine Haltungskennzeichnung mit einer Zertifizierung durch eine unabhängige Stelle aus. Roman Vilgut (Kleine Zeitung) wiederum wünscht sich einen ehrlichen Dialog abseits vom „sprechenden Schwein aus der Werbung und dem blutenden Schwein aus der Berichterstattung, da sowohl die Idylle als auch Fälle von Missbrauch Minderheiten und nicht die landwirtschaftliche Realität sind“.

Franz Sinabell (WIFO) warnt in der Tierschutzdiskussion vor enormen Teuerungen, von denen man weiß, dass sie bei Konsumentinnen und Konsumenten Verhaltensänderungen auslösen können. „Preise haben Signalwirkung und Leute passen ihr Verhalten an. Das kann sich negativ auswirken, wenn Landwirtinnen und Landwirten Mittel für Tierwohlinvestitionen fehlen, aber auch positiv, wenn das Verhalten bei der Lebensmittelverschwendung verändert wird“, so Sinabell. Abg. z. NR Christian Drobits betont, dass Politikerinnen und Politiker bei ihrer Entscheidungsfindung auf wissenschaftlichen Fakten und Einschätzungen angewiesen sind: „Politik ohne Forschung ist nichts“, so Drobits. „Sie ist die Grundlage, um die richtigen Entscheidungen in Form von Gesetzen beschließen zu können.“

Die Experten waren

  • Dirk Hohnsträter, Universität Hildesheim
  • Barbara Kaiser, Bundeszentrum für Ernährung (BZfE)
  • Lukas Schwingshackl, Uni Freiburg
  • Christine Brombach, Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW)
  • Franz Sinabell, WIFO
  • Abg. z. NR Christian Drobits, SPÖ
  • Christina Mutenthaler, AMA-Marketing
  • Eva Rosenberg, Vier Pfoten
  • Roman Vilgut, Kleine Zeitung.

Das Programm, Fotogalerie und weitere Referent*innen-Informationen finden Sie direkt beim Event.

 

 

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