22.01.2019

Kinder, Medien, Werbung und Verbote

Medienkonsum beeinflusst das Ess- und Bewegungsverhalten von Kindern und Erwachsenen. Medien formen auch die Einteilung in „gesund“ und „ungesund“. Lebensmittelplatzierungen und –werbungen fördern den Appetit. Doch was bringen Marketingeinschränkungen für „ungesunde“ Lebensmittel? Was können Eltern tun, um eine gesundheitsförderliche Lebenswelt für Kinder zu schaffen? Das forum. ernährung heute lud zum Dialog, um diese Fragen zu klären.

Evolutionäre Prägungen, die Bindung zwischen Eltern und Kindern sowie sozio-kulturelle Einflüsse sind für automatische, unbewusste Prozesse in unserem Sozialverhalten mitverantwortlich. „Viele unterschwellige Botschaften und Bilder in den Medien lösen nicht zu unterschätzende Priming-Effekte aus. So entstehen durch die Kultur Stereotypen, Vorurteile oder auch Schlankheitsideale. Und solche Effekte treffen auch auf die Einteilungen in ‚gesund’ und ‚ungesund‘, die Entwicklung von Vorlieben und Essmustern zu“, sagt Marlies Gruber, Geschäftsführerin des f.eh. „Es ist wichtig, dass sich Gestalter aus vielen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Multiplikatoren und Medienschaffende der Verantwortung bewusst sind. Wie diese zu übernehmen und zu tragen ist, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Deshalb sehen wir als f.eh unsere Aufgabe auch darin, gesellschaftliche Verständigungsprozesse zu fördern und setzen uns für einen offenen und kritischen Austausch ein.“ Der f.eh-Dialog am 15.1.2019 gab Gelegenheit, sich ein Bild über die aktuelle Studienlage zur Wirkung von Medien und Werbung zu machen.

Was sind „gesunde“ und „ungesunde“ Lebensmittel?

„Der wichtigste Aspekt bei der Beurteilung, ob es sich um ein gesundes oder ungesundes Nahrungsmittel handelt, ist angesichts der herrschenden Überernährung, die Kaloriendichte“, erklärt Adrian Meule vom Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg. Als kaloriendichte Lebensmittel gelten demnach solche, die über 150 kcal pro 100 g liefern. Im Rahmen einer vielfältigen Ernährung können natürlich auch diese in Maßen konsumiert werden. Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass zahlreiche Faktoren – teils unbewusst – die Menge beeinflussen, die gegessen wird. Dazu zählen neben der Portionsgröße, dem Ambiente, der Essgeschwindigkeit auch Botschaften in den Medien. 

Rolle der Medien bei der Wahrnehmung von „ungesund“

Medieninhalten kommt eine große Rolle dabei zu, wie Lebensmittel kategorisiert werden. Berichte dazu sind oft widersprüchlich oder verwirrend. Ein Beispiel, das Meule näher erläutert, sind Süßstoffe. Entgegen der häufig beobachtbaren medialen Darstellung, dass Süßstoffe den Appetit anregen und sie letztlich Übergewicht fördern würden, zeigt eine kürzlich publizierte Meta-Analyse aus 2019 das Gegenteil: Beim Einsatz kalorienfreier Süßstoffe findet keine Überkompensation statt, die tägliche Energiezufuhr wird dadurch in Summe gesenkt und mündet in einer signifikanten Gewichtsabnahme.

Demgegenüber steht oft die Fehleinschätzung des Zuckergehaltes von Lebensmitteln und Getränken durch die Eltern. Mit gravierenden Folgen, wie Meule erklärt: „Studien zeigen, dass das Gewicht des Kindes umso höher ist, je mehr die Eltern den Zuckergehalt falsch einschätzen.“ Zwei Drittel der Eltern überschätzen beispielsweise den Zuckergehalt von Schokolade und unterschätzen jenen von Pizza. Daher sind Maßnahmen, die Mythen und Irrtümer aufklären, auf Nährwertangaben hinweisen sowie das ernährungsbezogene Wissen und die Kompetenz von Eltern fördern, ein wesentlicher Puzzlestein im Gesamtbild der Präventionsmaßnahmen.

Lebensmittelplatzierungen im Film

Ein typischer „Produktplatzierungsfilm“ kommt aus den USA, ist ein nicht animierter Film und eher eine Komödie. Lebensmitteldarstellungen in diesen Filmen schaffen ein positives Rezeptionsklima und das wirkt sich merklich auf den Appetit aus. Vor allem Kinder snacken mehr nach solchen Filmen. Dessen sollten sich Eltern auch bewusst sein, um gezielt gegenzusteuern. Etwa, indem sie Kinder nach dem TV-Konsum bewusst ablenken. Brigitte Naderer vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften der Universität Wien stellte fest, dass in den letzten 25 Jahren Produktplatzierungen nicht zugenommen haben. Etwa 40 Prozent der Platzierungen machen Fast Food, Süßigkeiten, salzige Snacks, Softdrinks und Alkohol aus. Doch nicht nur die Häufigkeit der Darstellung ist ein Thema, sondern auch wie bestimmte Lebensmittel gezeigt werden. So werden Obst und Gemüse in Filmen deutlich negativer dargestellt. „Damit verstärken Medienrepräsentationen Präferenzen, die ohnehin schon problematisch sind, wie beispielsweise jene vom ‚ekligen’ Brokkoli“, erklärt Naderer. Filmproduzenten sind daher anzuregen, das Meinungsklima durch Platzierung einer ausgewogenen Ernährung mit mehr Obst und Gemüse sowie positiver Konnotationen gesundheitsförderlicher zu gestalten.

Werberegulierungen sind wenig effektiv

Mit restriktiven Vorgaben oder (Werbe-)Verboten auf „ungesunde“ Produkte zu reagieren, ist wenig effektiv, merkt Arnd Florack, Leiter des Bereiches Angewandte Sozialpsychologie und Konsumentenverhaltensforschung am Institut für Angewandte Psychologie der Universität Wien, an. „Nur weil Werbung den Konsum erhöht, heißt das nicht, dass Werbeverbote wirken“. Untersuchungen zeigen, dass Werbeverbote auf einem Kanal lediglich dazu führen, dass Werbung über andere Kanäle transportiert wird. Speziell Soziale Medien lassen sich kaum kontrollieren. Kinder gestalten sich durch non-lineare, globale Angebote wie Streamingdienste oder YouTube ihr Programm mittlerweile selbst, Eltern haben nur mehr wenig Einfluss und Kontrollmöglichkeiten. Deshalb sollte vielmehr, wie schon bisher, verstärkt auf Selbstverpflichtungen der Medien- und Lebensmittelanbieter gesetzt werden. Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren mit dem EU-Pledge und dem „Verhaltenskodex der österreichischen Rundfunkveranstalter hinsichtlich unangebrachter audiovisueller kommerzieller Kommunikation in Zusammenhang mit Kindersendungen und Lebensmittel“ einiges getan. Wichtig ist jedoch, dass es auch Regeln für jene gibt, die sich nicht an die selbst eingegangenen Verpflichtungen halten.

„Bewegung in All Policies“

Medienkonsum ersetzt bewegungsintensive Freizeitaktivitäten. Doch ebenso wie das Essverhalten, ist auch das Bewegungsverhalten mehrdimensional zu erklären. Ziel und Herausforderung ist, die Alltagsaktivität zu erhöhen. Eine bewegungsaktive Mobilität zu fördern, bedeutet etwa Fußgänger- und Radinfrastrukturen attraktiver zu machen sowie ausreichend Flächen für Spiel-, Sport- und Bewegungsinfrastruktur zu schaffen. „Das Bewegungsverhalten von Kindern hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verringert, nicht zuletzt aufgrund des steigenden Medienkonsums. Einer der erfolgversprechendsten Einflussbereiche, die wir haben, ist die Schule. Denn nur dort erreichen wir ausnahmslos alle Schichten“, ist Christian Halbwachs, Leiter der Abteilung Breitensport in der Bundes-Sport GmbH überzeugt.

Was ist Familiensache?

Eltern sind starke Vorbilder. Wie Kinder mit Medien umgehen und welche Essmuster sie entwickeln, hängt zu einem großen Teil davon ab, was die Eltern vorleben. Eltern sind daher vermehrt zu unterstützen bei der Entwicklung von Kompetenzen, die es ihnen ermöglichen, innerfamiliär einen Rahmen für ein gesundes Ess- und Bewegungsverhalten zu schaffen. 10 Tipps für die Praxis finden Sie hier.



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