12.07.2022

Negative Emotionen und Stress fördern ungünstiges Essverhalten

ernährung heute widmet sich emotionalem Essen sowie den Folgen von Corona, dem Einfluss von Social Media sowie gesellschaftlichen Trends auf unser Essverhalten.

Dass der Magen und Emotionen zusammenhängen, besagen nicht nur traditionelle Sprichwörter wie „Liebe geht durch den Magen“. Denn Hunger ist einerseits eine Stressreaktion, die häufig als Ärger, Zorn oder Wut fehlinterpretiert wird, und andererseits wirkt sich unsere aktuelle Stimmung auf unser Essverhalten aus. In der neuen Ausgabe des Magazins ernährung heute beleuchtet das forum. ernährung heute (f.eh) daher ernährungspsychologische Grundlagen sowie „emotionales Essverhalten“, das als „Nahrungsaufnahme ohne Vorhandensein von physischen Hungersignalen“ definiert ist. Die Corona-Pandemie mit den Lockdowns hat dabei insbesondere bei alleinlebenden, jüngeren Menschen zu einer Veränderung des Essverhaltens und zu einer Verstärkung von Essstörungen beigetragen. Weitere Themen in der neuen Ausgabe sind die Entstehung, Prävention und Therapie von Essstörungen sowie der Einfluss von Social Media und Werbung.

Angenehme Emotionen fördern die Nahrungsaufnahme. Der Körper ist dann verstärkt bereit, sich mit neuen Reizen – wie dem Essen – zu beschäftigen. Dagegen sind die körperlichen Reaktionen von intensiven „negativen“ Emotionen im Normalfall mit Essen nicht vereinbar, da sich der menschliche Körper unter Stress entweder auf die Flucht oder den Kampf vorbereitet. Etwas anders verhält es sich bei chronischem Stress: Während die Hormone, die Hunger signalisieren (Ghrelin und Peptid Y) in höherer Konzentration vorliegen, kommt es gegenüber jenen Hormonen, die die Sättigungssignale vermitteln (z. B. Leptin, Insulin) zu einer verringerten Sensitivität. Etwa zwei Drittel der Menschen essen daher zwar nicht zwangsläufig mehr, jedoch häufig energiereicher, da Comfort Food – also hochkalorische Lebensmittel – „negative“ Emotionen bzw. innere Anspannung regulieren.

Menschen, die ihre Emotionen mit Essen regulieren, essen jedoch bei bereits mittelstarken emotionalen Belastungen nicht nur hochkalorischer, sondern auch mehr. Nach einer Stressinduktion bleibt bei ihnen zudem nach dem Essen der Ghrelinspiegel unverändert, wohingegen sich der Hormonspiegel bei natürlichen Essern nach der Nahrungsaufnahme reduziert. Das deutet darauf hin, dass emotionsregulierende Esser mehr Comfort Food benötigen, um den stressinduzierten Ghrelinbedarf zu decken, weswegen sie unter Stressbedingungen mehr essen als intuitive Esser. 

Emotionaler Teufelskreis

Essen als Bewältigungsmechanismus kann also als Ablenkungsstrategie gegen unangenehm erlebte Emotionen gesehen werden. Um in der Folge einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken, schränken Betroffene ihr Essverhalten bewusst ein. Diese Restriktion führt jedoch zu einer vermehrt positiven Bewertung der „verbotenen“ Lebensmittel. Eine laufende Willensunterdrückung erschöpft sich allerdings mit der Zeit und wird schwächer. Emotionen von mittlerer bis starker Intensität enthemmen dann die bereits geschwächte kognitive Kontrolle und somit das gezügelte Essverhalten. In der Folge werden sonst gemiedene Speisen und Lebensmittel wieder verzehrt und nicht selten kommt es zu mittelintensiven bis starken Essanfällen mit einem Cocktail an Glückshormonen, die im Nachhinein zu negativen Gefühlen wie Ärger oder Selbstzweifel führen. Auf diese Weise verstärken sich die beiden Phasen wechselseitig.

Im Extremfall kann sich daraus eine Essstörung entwickeln. Schätzungen zufolge leiden aktuell 1 bis 2 % der Bevölkerung unter Anorexie (Magersucht), 2 bis 4 % unter Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und 5 bis 10 % unter der Binge Eating Disorder (Esssucht). Die Schwierigkeit bei Essstörungen sind jedoch die hohe Dunkelziffer und der fließende Übergang von einem veränderten Essverhalten zur manifesten Erkrankung, betonen Christof Argeny, Claudia Fuchs und Anna Moor von sowhat (Kompetenzzentrum für die ambulante Behandlung von Menschen mit Essstörungen). Im Interview mit ernährung heute nennen sie als häufige erste Anzeichen die Fokussierung auf einzelne Lebensbereiche, Verhaltensveränderungen, einen sozialen Rückzug oder die Vermeidung von gemeinsamem Essen. Dem Umfeld raten sie zu „Interaktion statt Bevormundung“.

Corona: Verschlechterung bei Essstörungen

Die Corona-Pandemie mit den Lockdowns hat dabei durchaus zu einer Verschlechterung geführt. Die emotionale Belastung und der Stress waren erhöht und durch das vermehrte Zu-Hause-Sein fielen bewährte Coping-Strategien wie soziale oder sportliche Aktivitäten weg. Dadurch waren viele verstärkt mit ihrem Problemthema Essen konfrontiert. Die Experten betonen aber auch, dass es hier einer Differenzierung bedarf: Während das gestörte Essverhalten in der Familie vielleicht verstärkt aufgefallen ist und thematisiert wurde, haben sich Alleinlebende eher weiter in ihre Blase zurückgezogen und wichtige Kontrollmechanismen verloren. Gefährdet sind dabei vor allem jüngere Menschen, die von der Persönlichkeitsstruktur einen geringeren Selbstwert aufweisen.

Die Themen im Heft

  • Die Ernährungspsychologie beschäftigt sich damit, wie Menschen das Essen erleben und sich dabei verhalten. Einen Einblick in die Disziplin gibt Christoph Klotter, Professor für Ernährungs- und Gesundheitspsychologie an der Hochschule Fulda.
  • Ungesundes Essverhalten ohne Krankheitswert ist weitverbreitet, wie die österreichische Ernährungspsychologin Cornelia Fiechtl unterstreicht. Sie geht in ihrem Beitrag auf unterschiedliche Emotionen und Folgen für das Essverhalten ein.
  • Essen, Kochen und Ernährung gehören zu den Top-Themen in sozialen Medien. Sie können zu einer besseren Auseinandersetzung mit Ernährungsthemen beitragen, betont die Ernährungswissenschafterin Eva-Maria Endres vom Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur (APEK).
  • Picky Eaters: Wählerisches Essverhalten bei Kindern ist nicht zwangsläufig eine Essstörung. Karin Lobner, Psychotherapeutin und Ernährungswissenschafterin, gibt Tipps für Eltern und zeigt auf, wann der Gang zum Kinderarzt empfehlenswert ist.
  • Welche Rolle die Werbung für Lebensmittel tatsächlich spielt, hat Elisabeth Sperr, wissenschaftliche Mitarbeiterin im f.eh, mit Brigitte Naderer, Kommunikationswissenschafterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), diskutiert.
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