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Über Mythen, Widersprüche und Skandalisierung beim Essen
„Mit Diätwundern oder Heilungsversprechen lassen sich Schlagzeilen machen. Es braucht deshalb eine Allianz der Vernunft all jener, die Empfehlungen rund ums Essen machen – also der Politik, von Gesundheitsexperten, der Wissenschaft und der Medien“, fordert Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser anlässlich der Eröffnung des f.eh-Symposiums.
„Beim Essen schwingen immer zwei tiefsitzende Urängste mit: Die Angst vorm Verhungern und die Angst vor dem Vergiftet-Werden. Während Ersteres in unseren Breiten kein bestimmendes Thema ist, dominiert die Angst, etwas Falsches oder Ungesundes zu essen hierzulande die öffentliche Diskussion“, erklärt Peter Reinecke, Präsident des f.eh. Gleichzeitig gab es noch nie ein derart vielfältiges Angebot an sicheren und hochwertigen Lebensmitteln. Gründe für dieses Paradoxon liegen nicht zuletzt am heute extrem gesteigerten Gesundheitsbewusstsein, dem Drang nach gesunder Ernährung und gleichzeitig abnehmendem Alltagswissen über Nahrungsmittel und deren Herstellung.
„Die Distanz zur Lebensmittelproduktion nimmt zu. Um 1900 waren 45 % der Österreicher Bauern und unmittelbar mit der Urproduktion von Nahrung beschäftigt. Heute sind es gerade Mal 4 %. In Folge mangelt es den meisten an Ernährungskompetenz“, erklärt Jürgen König vom Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Trifft Unwissen auf widersprüchliche Empfehlungen was „gesund“ oder „ungesund“ sein soll, bietet sich ein guter Nährboden für Skandalisierungen und Panikmache.
Zwischen Missstand und Skandal
Wenn Medien Missstände anprangern, ist für emotionalen Zündstoff gesorgt. Unbestritten müssen Betrugsfälle aufgedeckt und geahndet werden, meist fehlen jedoch in der Berichterstattung realistische Risikoeinschätzungen. „Alle erinnern sich an den BSE-Skandal. Damals wurden 2,8 Millionen Rinder getestet und 125 waren positiv. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rind mit BSE infiziert war, lag also bei 0,0004 %. Das Risiko für Menschen war äußerst gering. In den Medien fand sich diese Tatsache kaum“, gibt Hans Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung an der Universität Mainz zu bedenken. Konsumenten wurden also mit einer Unsicherheit allein gelassen. Wichtig bei Skandalen ist deshalb Transparenz und Klarheit darüber, wer tatsächlich in Gefahr ist und was dagegen zu tun ist.
Ernährungsstudien: kritisch zu betrachten
Mit Vorsicht zu genießen sind in der Ernährungskommunikation häufig behauptete Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung, also Kausalitäten wie „Eier erhöhen den Cholesterinspiegel“. Wissenschaftliche Belege für Behauptungen wie diese fehlen meist: „Ernährungsstudien geben in der Regel bloß einen statistischen Zusammenhang wieder, spiegeln eine Korrelation und keine Kausalität. Studienautoren, wissenschaftliche Institutionen sowie Medien sind deshalb gefordert, Ergebnisse und ihre teils fragwürdigen Interpretationen kritisch zu betrachten, besonders dann, wenn es heißt: A verursacht B“, sagt Uwe Knop, deutscher Ernährungswissenschaftler, der zwischen 2007 und 2015 mehr als 1.000 Studienergebnisse durchforstet hat und Ernährungsirrtümer aufdeckt.
Mythen-Check
Wie Konsumenten mit widersprüchlichen Informationen umgehen, zeigt der aktuelle Mythen-Check des f.eh. Im August 2015 wurden eine quantitative Online-Umfrage mit 508 Personen und eine qualitative Erhebung mit Live-Chats und Online-Foren in zwei Fokusgruppen mit 29 Teilnehmern durchgeführt. „Wir stellten fest, dass es eine Reihe von tiefsitzenden gängigen Mythen gibt, welche die Mehrheit der Befragten unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt glaubt. Gleichzeitig handelt es sich dabei kaum um verhaltensrelevante Informationen“, sagt Marlies Gruber, wissenschaftliche Leiterin des f.eh. Viele der populären Mythen sind zudem tatsächlich Irrglauben: Weder Kohlenhydrate noch das Essen am Abend machen dick. Kaffee entwässert nicht und Zucker macht nicht zuckerkrank.
Essen trifft auf Emotion
Viele Konsumenten sind heute mit der Fülle an Information und deren Widersprüchen überfordert. Klar ist: Aufklärung alleine bewirkt nicht unbedingt die erwünschten Verhaltensänderungen. „Wissen tut man vieles, nur das Handeln fehlt“, so einer der Befragten beim Mythen-Check. Kein Wunder, denn 80% der Ess-Entscheidungen sind emotional gesteuert. Kampagnen arbeiten deshalb immer wieder mit Emotionen. „Furchtappelle sind zwar ohne Zweifel sehr mächtig. Sie sorgen für Aufmerksamkeit, aber wie überzeugend sie tatsächlich sind ist fraglich. Sie können auch unerwünschte Reaktionen und Verhaltensänderungen auslösen wie das Leugnen von Gefahr bis hin zu psychischen Störungen“, gibt Matthias R. Hastall, Kommunikationswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund zu bedenken. Positive Überzeugungsstrategien sowie die Stärkung von Selbstwirksamkeit hält er für erfolgversprechender.
Beim f.eh-Symposium sind sich die Experten einig: Um sachgerecht und zielführend Ernährungsbotschaften zu vermitteln, sind alle Beteiligten aus der Wissenschaft, den Medien, der Gesundheitsbranche und der Politik gefordert, neue Wege zu gehen. Damit Botschaften nicht nur im Kopf der Menschen ankommen, sondern auch ins Herz treffen.
Bilder des Symposiums