Unsere Kinder bewegen sich immer weniger und werden immer dicker. Das Gleichgewicht von Energieaufnahme und -verbrauch ist zunehmend gestört. Um hier entgegenzusteuern, muss an beiden „Schrauben" gedreht werden. Wobei sich bei Kindern der Fokus auf Bewegung besonders anbietet.
Der Slogan „Don't diet, be active", der im Rahmen einer Schulinitiative in Deutschland kreiert wurde, bekommt besondere Gültigkeit, wenn man sich die veröffentlichten Zahlen des Robert-Koch-Instituts ansieht. Die Ergebnisse sind erschreckend: 15 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig. Betroffen macht vor allem auch, dass 22 % der 11- bis 17-Jährigen Merkmale einer Essstörung aufweisen! Und weil man davon ausgehen kann, dass die Situation bei Österreichs Kindern ähnlich ist, muss gut überlegt sein, wie man der Problematik Übergewicht im Kindesalter Paroli bieten will. Gerade bei Mädchen sollten Ernährungsempfehlungen nicht zu rigide erfolgen - zu schnell schlägt das Pendel in die andere Richtung aus ...
Dazu kommt, dass sich das Bewegungsverhalten unserer Kinder in den letzten Jahren weit dramatischer verändert hat als das Ernährungsverhalten. Während die Energieaufnahme nahezu unverändert geblieben ist, hat sich das Freizeitverhalten massiv gewandelt. Im Zeitalter der modernen Medien ist die Konkurrenz groß: Fernseher, Gameboy, Spielkonsole und Computer halten Kinder und Jugendliche von bewegten Aktivitäten ab. Nicht umsonst erklärte der deutsche Kinderarzt Prof. Dr. Erik Harms, Vorsitzender der Plattform Ernährung und Bewegung e. V., im Rahmen einer Podiumsdiskussion im November 2007 in Köln: „Wir wissen mittlerweile, dass die Bewegung bei der Entwicklung des kindlichen Übergewichts eine wesentlich größere Rolle als die Ernährung spielt."
Inaktivität hat messbare Folgen ...
... die sich nicht auf das Körpergewicht beschränken. Die Crux: Kinder, die sich schon in jungen Jahren zu wenig bewegen, entwickeln ihre motorischen Fähigkeiten nur unzureichend. Als direkte Folge davon werden sportliche Aktivitäten als unbefriedigend und unattraktiv erlebt. Insgesamt ergibt das keine gute Voraussetzung für einen aktiven Lebensstil.
Die Auswertungen des deutschen Kinder- und Jugendsurveys zeigen, dass diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind. An einem Teil der Stichprobe wurde in den Jahren 2003-2006 untersucht, wie sich die motorische Leistungsfähigkeit darstellt. Die bundesweit repräsentative Erhebung erfolgte an 4529 Kindern und Jugendlichen zwischen vier und 17 Jahren anhand von elf Testitems zu Ausdauer, Kraft, Koordination und Beweglichkeit und einem Aktivitäts-fragebogen. Erste Ergebnisse des Motorik-Moduls zeigen, dass über ein Drittel der Kinder und Jugendlichen nicht in der Lage sind, zwei oder mehr Schritte auf einem Balken rückwärts zu balancieren. Bei der Rumpfbeuge erreichen 43 %, also fast die Hälfte der Kinder, nicht das Fußsohlenniveau. Die Ergebnisse im Standweitsprung deuten einen Rückgang der Kraftfähigkeit um 14 % seit 1976 an. Obwohl wir in Österreich kein repräsentatives Datenmaterial haben: Der Verdacht liegt nahe, dass sich die Situation bei uns nicht wesentlich anders darstellt. Das bestätigen auch Aussagen von Sportpädagogen, die ähnliche Entwicklungen bei unseren Kindern beobachten.
Positive „Nebenwirkungen"
Doch Bewegung bewährt sich nicht „nur" im Kampf gegen Übergewicht, Haltungsschäden und metabolische Probleme, sondern bringt weit mehr: soziale Interaktionen und Integration, Entwicklung von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, Stressmanagement und erhöhte geistige Aufnahmefähigkeit. Eigenschaften und Fähigkeiten, die es sich lohnt, schon von Kindesbeinen an zu fördern.
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, den Schülern zusätzliche Bewegungsanreize anzubieten. Deshalb wurde das Projekt „Schule bewegt.bewegte Schule" ins Leben gerufen. Unser Grundgedanke? Wir möchten vermitteln, dass Bewegung Freude macht und Teil eines ausgeglichenen Lebensstils ist. Dabei geht es nicht um schneller, höher, weiter. Im Gegenteil: Alle Kinder, ob geübt oder unerfahren, ob talentiert oder weniger begabt, sollen Freude an der Bewegung erfahren.
Das Projekt im Porträt
"Schule bewegt. bewegte Schule" lief in den Schuljahren 2006/2007 und 2007/2008. In allen neun Bundesländern wurde eine Partnerschule ausgewählt, in der das gesamte Schuljahr über im Rahmen der Nachmittagsbetreuung polysportive Turneinheiten (einmal pro Woche 75 Minuten) finanziert wurden (additiv zum Sportangebot der Schulen im Rahmen des Unterrichts).
Der „Trick" heißt „polysportiv": Nicht die Einzelleistung steht im Vordergrund, sondern spannende sportliche Akzente, die vor allem eines tun: Spaß machen. Und das besonders auch jenen Kindern, die keine „Sportasse" sind. Der Begriff „polysportiv" soll verdeutlichen, dass es nicht darum geht, spezifische Sport-Techniken zu erlernen. Im Vordergrund stehen „bunte" Bewegungsaufgaben, die Basisfertigkeiten wie Koordination, Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit schulen. Polysportive Programme sind vor allem an den individuellen Bedürfnissen der Kinder und deren Kreativität orientiert. Gelegentlich wird die Bezeichnung „polysportiv" für die Mehrfachorientierung eines Trainingskonzeptes bzw. für die Einbindung mehrerer traditioneller Sportarten in ein Programm gebraucht. Dieser Zugang ist im Projekt „Schule bewegt. bewegte Schule" nicht gemeint.
Bewegen statt am Sessel kleben
Die Turneinheiten teilen sich in vier Abschnitte: Aufwärmen, koordinative Übungen, dann der Hauptteil - das eigentliche „Sporterlebnis" - und schlussendlich der ruhigere Ausklang. Zehn bis 15 Minuten wärmt sich die Gruppe anhand von Bewegungsspielen wie „Krebsfangen" miteinander auf (alle Kinder laufen auf allen vieren vorwärts, nur der/die FängerIn läuft rückwärts - sobald jemand gefangen ist, muss er auch rückwärts laufen). Ebenfalls zehn bis 15 Minuten der Einheit widmen die Übungsleitern koordinativen Übungen wie Geschicklichkeitsübungen und Balancieren. Der Hauptteil dauert 30 bis 40 Minuten und soll den Schülern ein Sporterlebnis bieten: Abenteuerparcours und Gerätegärten werden aufgebaut und bieten den Kindern die Möglichkeit zu „Sprüngen aus den Wolken" (Sprung von der Sprossenwand auf den Weichboden), zu „Hochseilakten" am Balken oder zur Profilierung als „Hängetormann", wo im Kniehang von der Reckstange Bälle abgewehrt werden müssen. Die letzten zehn bis 15 Minuten dienen beispielsweise mit Ballspielen im Sitzkreis dem Ausklang der Stunde und der Beruhigung.
Starke Projektpartner
Mit der Umsetzung war die Österreichische Bundes-Sportorganisation (BSO) durch ASKÖ, ASVÖ und SPORTUNION betraut. Die Kooperation garantierte aber nicht nur die entsprechende fachliche Expertise, sondern ermöglichte auch Nachhaltigkeit: Die Bewegungseinheiten führten Übungsleiter aus lokalen Mitgliedsvereinen der Dachverbände durch, was den Schülern auch langfristig eine direkte Anlaufstelle aufzeigte und eröffnete.
„Rahmenprogramm"
Den teilnehmenden Schulen stellten wir unterstützende Materialien zur Verfügung. [ess-be] - unser Bewegungsspiel mit Quizfragen rund ums Essen - erklärt auf lockere Art den Zusammenhang von Energieaufnahme und -verbrauch.
plan [be] für alle 10- bis 14-Jährigen
Im Rahmen des Gewinnspiels plan [be] suchten wir die originellsten Bewegungsideen von Österreichs Schülern. Die Entwicklung eines persönlichen Aktiv-Plans sollte die Augen öffnen für alltägliche Bewegungschancen; bei der Umsetzung und beim Dokumentieren war Kreativität gefragt. Bewegung passierte nebenbei, brachte Spaß und den ersten drei Siegerteams eine Action-Camp-Woche in Obertrum im Sommer 2008.
Durch begleitende Öffentlichkeitsarbeit das Bewusstsein schärfen
Im Laufe des Schuljahres wurden einige Schulen im Rahmen einer Kick-off-Veranstaltung für das Gewinnspiel plan [be] von einem „Schule bewegt"-Team besucht. Dabei wurde eine Bewegungseinheit mit regionaler Medienbegleitung (TV, Hörfunk und Presse) absolviert, um die Initiative auch der breiten Öffentlichkeit vorzustellen.
Denn eines ist klar: Die Bemühungen dürfen nicht beim Schultor enden. Ohne Unterstützung in der Familie oder im weiteren Umfeld kommt der schulbasierte Ansatz ins Wanken. Nur ein gesamtgesellschaftliches Umdenken schafft bessere Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen bewegten Alltag.
Fazit
„Schule bewegt. bewegte Schule" ist ein Modellprojekt, das vor allem Freude an der Bewegung fördern, langfristig zu einem bewegten Leben motivieren und das Miteinander von Bewegung und Ernährung vermitteln will. Denn Sport, Spaß und Lebensfreude sind die besten Mittel gegen Übergewicht.