19.02.2020

f.eh-Mediendialog zum Tierwohl: „Beschäftigen uns mit Produktion aber nicht mit Konsumenten“

Mediendialog soll sachliche und faktenbasierte Diskussion zu Essen und Lebensmittelproduktion ermöglichen und Fakten sammeln – Zum Thema „Tierwohl zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ fordern Diskutanten emotionalere Kommunikation mit Konsumenten.

Laut Umfragen ist für 80 Prozent der Menschen in Österreich artgerechte Tierhaltung wichtig. An der Supermarktkasse wiederum steht ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis deutlich im Vordergrund. Um diese Diskrepanz mit anerkannten Experten und Journalisten zu diskutieren sowie mögliche Lösungen zu erörtern, lud das forum. ernährung heute (f.eh) zum Mediendialog zum Thema „Tierwohl zwischen Wunsch und Wirklichkeit“. Zwei Diskussionen standen vier Vorträge voran, die die aktuelle Situation, die unterschiedlichen Gütesiegel, das Tierschutzkennzeichen sowie den Tierwohlbonus als praktisches Beispiel zur Erreichung von mehr Tierwohl zum Inhalt hatten. Die Diskutanten und auch die rund 50 Gäste des Mediendialogs kamen anschließend überein, dass es eine differenzierte Diskussion sowie eine ehrlichere und emotionalere Kommunikation mit den Konsumenten braucht.

Das f.eh steht als Kompetenzzentrum zu Fragen über Ernährung, Bewegung und Lebensstile für eine Versachlichung der emotionalen Debatte zum Thema Essen. Um Fakten zu sammeln und eine wissenschaftsbasierte Kommunikation zu ermöglichen, hat das f.eh die Reihe „Mediendialog“ ins Leben gerufen. „Wir wollen die Diskussion über die Produktion von Lebensmitteln und die Wertschöpfungskette intensivieren und ein Forum für einen Austausch anbieten“, betonte Marlies Gruber, Geschäftsführerin des f.eh. „Ökologische und ethische Fragen bekommen beim Essen mehr Raum und das Tierwohl steht als Wunschkriterium bei den Menschen weit oben. Aber zwischen diesem Wunsch und der Realität an der Supermarktkasse zeigt sich eine große Kluft, die die Frage offenlässt, wer für mehr Tierwohl bezahlen soll. Mögliche Antworten sollen beim ersten Mediendialog diskutiert werden.“

Vorträge: Tierwohl braucht Gesamtpaket und Differenzierung

Ulrich Herzog vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz unterstrich, dass Österreich nicht die höchsten Standards hätte, sehr wohl aber das umfassendste Tierschutzgesetz mit enorm hohen Anforderungen: „Tierwohl sollte aber als Gesamtpaket geregelt werden, in dem nicht zu viele Einzelregelungen sind. Hier sollte man sich gezielt verschiedene Optionen ansehen, daraus Projekte entwickeln und diese rechtlich umsetzen. Das sollte aber mit viel Fingerspitzengefühl passieren.“

Andreas Hermann von der AMA-Marketing gab einen Einblick in Labels und Gütesiegel in Europa. Neben Beispielen aus Deutschland ging er auch auf das AMA-Gütesiegel ein. „Beim AMA-Gütesiegel gibt es generelle Anforderungen wie Licht und Platz sowie zusätzlich freiwillig Module wie regionale Herkunft oder besondere Fütterung. Das Ziel ist klar: die Erhöhung des Tierwohls durch mehr Platz und natürliche Verhaltensweisen“, so Hermann.

„Das Tierschutzkennzeichen betrifft Haltungs- und Stallungssysteme sowie Heimtierunterkünfte und -zubehör“, so Martina Dörflinger, Fachstelle für tiergerechte Tierhaltung und Tierschutz. „Es bestätigt Bauern die Einhaltung der Vorgaben des Tierschutzgesetzes und gibt ihnen Rechtssicherheit bei Kontrollen. Damit wissen sie, dass die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden, sich Tiere nicht verletzen können und deren Anpassungsfähigkeit nicht überfordert wird.“

„Die Landwirtschaft steht vor der Herausforderung, auf weniger werdenden Flächen mehr Lebensmittel mit weniger Emissionen zu produzieren – und das mit mehr Tierwohl als bisher“, betonte Josef Braunshofer von Berglandmilch. Dabei gehe es neben der Haltung auch um artgerechte Fütterung, Vermeiden von Futtermitteln aus Übersee und Herdengröße. „In Österreich hat jede Kuh einen Namen. Das heißt, wir sind viel stärker für das Einzeltier sensibilisiert. Und der Konsument weiß das zu schätzen“, unterstrich Braunshofer.

Erste Diskussion: Müssen Konsumenten emotional gewinnen

„In Österreich ist dem Konsumenten der Bezug zur Produktion von Lebensmitteln verloren gegangen“, meinte NR-Abgeordnete Carina Reiter von den Österreichischen Jungbauern, in der ersten Diskussion. „Landwirte argumentieren faktenbasiert und sachlich, obwohl Tierhaltung für sie hoch emotional ist, schließlich befassen wir uns ja mit unseren Tieren. Diese Emotion müssen wir vermitteln und die Menschen sensibilisieren.“ Martina Dörflinger von der Fachstelle für tiergerechte Tierhaltung und Tierschutz unterstützte dies und verwies auf die Bemühungen des Vereins „Tierschutz macht Schule“: „Damit bringen wir den Kindern sachlich und informativ Landwirtschaft, richtiges Essen und Tierwohl nahe.“ Das sei ein wichtiger Schritt zur Information der Konsumenten von morgen.

Johannes Mayr von der KeyQUEST Marktforschung erwiderte, „dass in der Diskussion auf die Emotionen der Konsumenten vergessen und versucht wird, alles rational zu erklären. Wenn der Konsument mehr bezahlen soll, muss ein Wunsch erzeugt werden. Informationen über Tierhaltungssysteme und ähnliches überfordern ihn.“ Als Beispiel nannte er Eier mit verständlichen Bildern über Käfig- und Freilandhaltung. „Wenn auf der Fleischpackung steht „Mehr Tierwohl“, kann damit niemand etwas anfangen“, so Mayr. Josef Braunshofer von Berglandmilch ergänzte, dass „man nicht vergessen darf, dass Kaufentscheidungen spontan sind und das Preisschild währenddessen präsent ist“. Österreich habe zudem kleine Strukturen, die zwar einen Fokus auf Einzeltiere ermöglichen und Tierwohl fördern, gleichzeitig aber auch Investitionen in ein höheres Produktionsniveau erschweren, da diese für viele Betriebe nicht leistbar sind, so Braunshofer.

Zweite Diskussion: Tierschutz ist stetig laufender Prozess

Andreas Hermann, AMA-Marketing, kritisierte in der zweiten Diskussion die idyllischen Werbebilder und die Verallgemeinerung der Landwirtschaft bei negativen Einzelfällen: „Beides stimmt nicht. Die Tierhaltung in Österreich basiert auf Tierwohl. Es gibt natürlich bei einzelnen Punkten Verbesserungsbedarf, aber wenn Betriebe bei der Tierhaltung umstellen sollen, muss das jemand bezahlen. Wir haben mit dem AMA-Gütesiegel eine gute Basis in Österreich, die wir weiterentwickeln sollten.“ Ulrich Herzog vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betonte, dass das Tierschutzgesetz ein Dauerthema ist und dass es sich hier um einen laufenden und steten Verbesserungsprozess handelt: „Die Politik muss auch auf die Rahmenbedingungen schauen und feststellen, was möglich ist. Sonst kann es passieren, dass wir mit der Produktion nicht mehr nachkommen können und heimische Produzenten verdrängt werden.“

Johann Schlederer von der Österreichischen Schweinebörse kritisierte, dass die heiße Kartoffel – nämlich die Frage, wer für mehr Tierwohl bezahlen soll – seit 30 Jahren herumgereicht werde. „Der Markt bezahlt das nicht, der Verbraucher bezahlt das nicht. Jeder greift lieber zur Aktion. Beim Lebensmitteleinzelhandel wissen sie das, weshalb sie nur kleine Sortimente hochwertiger Produkte führen. Die Conclusio lautet: NGOs und die Regierung fordern Tierwohl und die öffentliche Hand soll es bezahlen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.“ Martina Pluda von Vier Pfoten appellierte an die Anwesenden, „dass wir die Kartoffel nicht länger weitergeben – wir müssen alle zusammenarbeiten“. Sie stellte zudem klar, dass „streng bei einem Gesetz nicht immer optimal heißt. Denn Gesetze sind eine Kompromisslösung zwischen artgerecht und wirtschaftlich tragbar. Sie geben also nur Mindestanforderungen vor.“ Sie forderte daher ein radikales Umdenken statt stetem Weiterverbesserns der aktuellen Gesetze.

Impressionen zur Veranstaltungen finden Sie in der Galerie.

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