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f.eh zu Werbeverbot bei Lebensmitteln: wissenschaftliche Evidenz mangelhaft
„Die Menschen müssen zu einer eigenverantwortlichen Lebensweise befähigt werden, anstatt ihnen durch Verbote eigene Entscheidung vorzuenthalten. Es ist höchst an der Zeit, dass die Regierung endlich eine adäquate Ernährungs-, Bewegungs- und Medienbildung verabschiedet. Nur so befähigen wir unsere Kinder und Jugendlichen, eine eigenverantwortliche und gesunde Lebensweise zu erlernen. Diese trägt zu einer langfristigen Lösung bei Übergewicht, Adipositas und in der Folge Diabetes bei“, so die Geschäftsführerin des forum. ernährung heute (f.eh), Marlies Gruber. Werbeverbote für einzelne Lebensmittel, wie sie aktuell als Folge möglicher österreichischer Nährwertprofile diskutiert werden, beseitigen Übergewicht und Adipositas bei Kindern nicht.
„Gezielte Bildung wäre der richtige Weg, um Herausforderungen wie falsche Ernährung, Foodwaste und Umweltauswirkungen gleichermaßen zu lösen. Gerade falsche Ernährung und in Folge Übergewicht und Adipositas bei Kindern könnten mit mehr Ernährungskompetenz besser und nachhaltiger bekämpft werden“, betont Gruber. „Das schließt auch den Umgang mit Medien und Werbung ein, denn beides ist mittlerweile ein integraler Bestandteil unserer Lebenswirklichkeit. Es ist daher unerlässlich, Kinder über eine gesunde Ernährung und die Mechanismen von Werbung aufzuklären. Mit Werbeverboten werden wir Kinder nicht zu einer ausgewogeneren Ernährungsweise motivieren können.“ Gruber unterstreicht, dass sich Kinder durch non-lineare, globale Angebote ihr Unterhaltungsprogramm im Netz mittlerweile selbst gestalten. Umso wichtiger ist es daher, dass Kinder auch die Spielregeln der Medien und Wirtschaft verstehen lernen. Unbestritten ist, dass Kinder – wie auch Erwachsene – vor irreführender oder täuschender Werbung weiter geschützt werden müssen.
Kanada und UK zeigen: Werbeverbot ist wirkungslos
Wissen, Werte und Einstellungen der Kinder und Jugendlichen sind unterschiedlich und wirken sich auf Ernährung und Lebensstil aus. Das belegen auch Studien: Bei geringem Ernährungswissen, ausgeprägter Genussorientierung und gleichzeitigem Wunsch nach Peer-Konformität sowie bereits vorliegender Adipositas wählen Kinder eher das beworbene Produkt. Werbeverbote allerdings helfen nicht, die Zahl an Übergewichtigen und Adipösen zu reduzieren, wie Erfahrungen aus Kanada und UK untermauern: Dort ist TV-Werbung, die sich an Kinder richtet, seit Jahren verboten bzw. drastisch eingeschränkt. Dennoch ist der Anteil an übergewichtigen und adipösen Kindern stabil hoch. Auch in anderen Ländern hängt die tägliche Werbezeit nicht schlüssig mit dem Auftreten von Übergewicht und Adipositas zusammen. Das liegt auch daran, dass die Exposition mit Werbung bei Screenmedien verhältnismäßig am geringsten ist. Mit Lebensmittelmarketing kommen Kinder am häufigsten auf Produktverpackungen in Kontakt.
Sedentärer Lebensstil ist Hauptursache für Übergewicht
Übergewicht kann aufgrund vielerlei Ursachen entstehen. Neben einer generellen Fehlernährung spielen u.a. Stress, zu wenig Schlaf und Bewegung, emotionales Essen sowie die Prägung des Stoffwechsels eine wesentliche Rolle. Gruber betont dazu, dass der Zusammenhang von Werbung in TV und neuen Medien sowie der Energieaufnahme nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Die Studienlage ist nicht ausreichend und inkonsistent. Zwar sind längere Screen-Zeiten, also die Zeit vor einem Bildschirm, mit einem höheren Risiko für die Entwicklung von Übergewicht oder Adipositas gut belegt. Doch hat dieser Konnex wahrscheinlich andere Ursachen: „Einerseits wird beim Fernsehen, Videospielen oder Surfen häufiger gesnackt und durch die mediale Ablenkung das Sättigungsgefühl nicht wahrgenommen. Daher kommt es zu einer übermäßigen Kalorienaufnahme. Andererseits fördert die Zeit vor dem Bildschirm einen sedentären, also einen vorrangig sitzenden Lebensstil. Die mangelnde Bewegung resultiert in einem geringeren Energieverbrauch. Mit anderen Worten: Die Kinder sitzen zulange vor dem Bildschirm und bewegen sich zu wenig – die Energiebilanz gerät also in Schieflage“, stellt Gruber klar.
Der spezifische Beitrag von Lebensmittelwerbung als Ursache für Adipositas im Kindesalter ist hingegen nicht restlos geklärt. „Hier braucht es mehr wissenschaftliche Evidenz, um effiziente Handlungsfelder definieren zu können. Statt nationaler Nährwertprofile als Grundlage für spezifische Werbeverbote sind zuerst fundierte wissenschaftliche Daten zu Kausalität und Wirkung sowie mehr Erkenntnisse und Mittel im Bereich der Ernährungsverhaltensforschung gefragt. Darauf aufbauend kann man zielgerichtete und wirkungsvolle Maßnahmen für Kinder planen. Alles andere geht ins Leere“, so Gruber.
Lebensmittelwerbung um Kindersendungen und Nährwertprofile
Die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) sieht seit 2010 vor, dass Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Salz- oder Fettgehalt im Umfeld von Sendungen für Kinder zu reduzieren ist. Das Ziel ist, die Einwirkung „unangebrachter audiovisueller kommerzieller Kommunikation“ auf Kinder wirkungsvoll zu verringern. Das ist nun auf Soziale Kanäle auszudehnen. In Österreich besteht dazu seit 2010 ein Verhaltenskodex mit Werbebeschränkungen, der vom Österreichischen Werberat überwacht wird. Im beschlossenen Gesetzestext zur Übernahme der aktuellen EU-AVMD-RL finden Nährwertprofile keine Erwähnung. Die Verhaltenskodizes haben sich an allgemeinen Ernährungsleitlinien zu orientieren. Die Diskussion über österreichische Nährwertprofile als Grundlage für strikte Werbeverbote und Werbebeschränkungen läuft in der – das Gesundheitsministerium beratenden – Nationalen Ernährungskommission. Für das vierte Quartal 2022 sind im Rahmen der „EU-Farm to Fork-Strategie“ Nährwertprofile auf EU-Ebene geplant.