06.11.2020

f.eh live im Talk: Ernährungsbildung muss auf positive Rückkopplung setzen

Nora Szech und Daniel Kofahl plädieren bei f.eh-Webinar für sinnliche Erfahrungen und positive Rückkopplungen bei der Ernährungsbildung. Sie sehen Schulen und Eltern gleichermaßen gefordert.

Abhängig von Werbeeinflüssen, der Kaufsituation oder sozialem Druck kommt es beim Kauf und Genuss von Lebensmitteln zu positiven oder negativen Rückkopplungseffekten. So führen Verbote oftmals zu Trotzreaktionen, betont Dr. Daniel Kofahl vom Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur. Prof. Dr. Nora Szech vom Karlsruher Institut für Technologie unterstreicht, dass bereits die Marktsituation beim Einkauf unerwünschte Handlungen bei Menschen auslöst. Gemeinsam mit Dr. Marlies Gruber, Geschäftsführerin vom forum. ernährung heute, erörterten sie beim siebten f.eh live im Talk „Rückkopplungseffekte in der Welt der Ernährung“. Die Veranstaltung kann ab Montag auf der Seite www.forum-ernaehrung.at/live-im-talk nachgesehen werden.

Der Begriff des Rückkopplungseffekts kommt ursprünglich aus der Technik und beschreibt, dass ein Teil des Ursprungsimpulses wieder zum Ausgangsort zurückgeführt wird. Die Soziologie beschreibt damit in erster Linie Handlungen, die gegenteilige Aktionen beim Gegenüber oder nicht intendierte Effekte auslösen.

Anreize statt Verbote bei der Ernährung

Ein solcher Rückkopplungseffekt kann etwa bei Verboten auftreten. Diese führen oftmals nicht zu erwünschtem Verhalten, sondern zu Trotzreaktionen und steigendem Interesse am Verbotenem. „Verbote hegen ein Problem vorerst nur ein, im Hintergrund brodelt es jedoch weiter. Anschließend werden sie auf massive Art und Weise gekippt“, so Kofahl. Das zeigt sich bei Verboten von Eltern: „Zuerst wird bei Kindern Unzufriedenheit aufgebaut. Durch die fortschreitende Emanzipation stecken sie sich Entscheidungsspielräume neu ab. Das wirkt sich in einer Revolte aus, die der ursprünglichen Intention entgegensteht.“ Dann werden die von den Eltern verbotenen Snacks oder Getränke erst recht im Übermaß konsumiert.

Der Rückkopplungseffekt ist auch umso stärker, je mehr jemand die „Holzhammermethode“ anwendet oder mit Moral argumentiert. Doch Menschen lassen sich nicht mit Bildern von Massentierhaltung und Tierquälerei konfrontieren, auch dann nicht, wenn sie Geld dafür geboten bekommen. Bei jenen, die sich Bilder und Videos ansehen, kommt es zudem nur kurz zu einer Verhaltensänderung. Die moralisch aufgeladene Klima- und Gesundheitsdebatte bringt sogar negative Rückkopplungseffekte und eine Reaktanz mit sich.  Erst durch die Diskussion um eine Fleischreduktion wird der Stellenwert von Fleisch erneut bewusst, wodurch es wieder aufgewertet wird. Bei einer Studie der Universität Göttingen antworteten rund 15 Prozent der Befragten auf die Frage, wie weit sie ihren Fleischkonsum reduzieren könnten, dass sie mehr essen würden, wenn es finanziell möglich wäre. „Daher liegt der Erfolg von vegan und vegetarisch auch nicht in Bildern aus Tierfabriken, sondern an tollen Projekten und positivem Storytelling. Das hat die Speisen attraktiver gemacht und den Menschen das Gefühl des Verzichts genommen“, ist Kofahl überzeugt.

Ablasshandel durch Labels und Marktsituation

Die beiden Experten führen eine Reihe von Beispielen zu Rückkopplungseffekten an und räumen dabei auch mit Mythen auf:

Die Forderung nach mehr Labels und Transparenz bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln etwa ist nicht bei allen Konsumenten erwünscht. Das trifft insbesondere dann zu, wenn es sich um moralisch aufgeladene Informationen handelt. „Es gibt viele Labels und ich bin nicht sicher, ob wir uns damit einen Gefallen tun“, so Szech. Denn trotz einer großen Anzahl von extra Kennzeichnungen zu Nährwerten, Tierwohl, Fairtrade oder Bio zeigt sich, dass nur wenige für die Kaufentscheidung relevant sind: „Studien belegen, dass Konsumenten meist nur aufgrund eines Siegels entscheiden und das Produkt dann quasi als Freiwild betrachten. Sie denken, dann brauche ich auf andere ethisch relevante Kriterien nicht mehr achten. Das ist wie eine Art Ablasshandel“, so Szech.

Menschen wollen tendenziell ihr Verhalten beibehalten und sich nicht mit den Produktionsbedingungen und Konsequenzen der Konsumgüter beschäftigen. Bei anderen wiederum führen Labels zu einer Auseinandersetzung und in der Folge auch einer Verhaltensänderung. Die Quote dafür liegt bei 10:1. Zehn Personen geben in Umfragen an, sich zum Beispiel für mehr Tierwohl entscheiden zu wollen, aber nur eine tut dies dann auch in der Marktsituation. „Viele Mechanismen begünstigen das: Bei einer Kaufsituation bin ich nicht alleine verantwortlich, da mir etwas angeboten wird. Zudem sehe ich andere Personen interagieren. Es ist im Markt daher schwerer, bei seinen zu Werten zu bleiben“, so Szech.

Ernährungsbildung: Sinnliche Erfahrung statt Druck

Kritik üben die Experten auch an Broschüren und Ratgebern, die nur perfekte Situationen abbilden, zum Beispiel frohe Kinder, die Brokkoli essen. Bei den Eltern entsteht so der Eindruck, nur die eigenen Kinder würden kaum Gemüse und vorwiegend Süßes essen. Am Familientisch führt die Intention, gesundes Essen etablieren zu wollen, zu einer Drucksituation, die unangenehme Stimmung beim Essen erzeugt. Es sollte also ein gesundes Verhältnis zu Produkten vermittelt werden, stellt Nora Szech klar: „Hier sind auch die Schulen gefordert, nicht nur die Eltern. Es sollte viel mehr gemeinsam gekocht werden. Denn passiert es in einem Haushalt nicht, dann habe ich als Kind und für das weitere Leben quasi Pech gehabt.“

Es ist für Kinder jedoch wichtig, zuhause und in der Schule Reflexion sowie Ernährungs- und Esskompetenz vom Kauf, über die Zubereitung bis zum Verzehr zu erlernen. Das betrifft aber auch Wissen im Umgang mit Märkten und der Informationsgesellschaft. „Ernährungsbildung sollte stattfinden. Beim Essen und Trinken gibt es viel zu entdecken. Dabei sollte auch die sinnliche Komponente des Essens stärker betont werden. Bildung muss mehr auf positive Rückkopplung und Genuss setzen“, so Kofahl.

Kommende Veranstaltungen

f.eh live im Talk_8
Thema: Herausforderung: Vegane Kinderernährung
Termin: 19. November 2020, 16 Uhr
Gesprächspartner:

  • Mag. Katharina Petter, Vegane Gesellschaft Österreich
  • Prim. Univ.-Prof. Dr. Karl Zwiauer, Landesklinikum St. Pölten

Moderation: Dr. Marlies Gruber

f.eh live im Talk_9

Thema: Immunstark durch die kalte Jahreszeit
Termin: 03. Dezember 2020, 16 Uhr
Gesprächspartner:

  • Univ.-Prof. Dr. Cem Ekmekcioglu, Medizinische Universität Wien
  • Assoc.-Prof. PD Dr. Stefan Seidel, Medizinische Universität Wien
  • Univ.-Prof. Dr. Jürgen Scharhag, Universität Wien

Moderation: Elisabeth Sperr, MSc.

NEWSLETTER
©iStock

Aktuelles zu Ernährung und Lebensstil: Bleiben Sie mit unserem Newsletter immer informiert!

ANSPRECHPARTNER

Sie haben ein konkretes Anliegen, möchten Unterstützung bei der Recherche zu einem bestimmten Thema, suchen das persönliche Gespräch?
Bitte wenden Sie sich an:

Opens window for sending emailpresse@forum-ernaehrung.at 
t +43.1.712 33 44 
bzw. +43 664 394 56 36 

 

 

Aktuelle Buchvorstellungen

NEU Aufgedeckt. Gerüchteküche und Ernährungsmythen

Autor(en): Bisovsky S, Unterberger
Verlag: Österreichischer Agrarverlag
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-7040-2350-6.

LESEN ALLE BUCHTIPPS ANSEHEN

Für Kinder mit Zöliakie kochen!

Autor(en): Bisovsky S, Unterberger
Verlag: Österreichischer Agrarverlag
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-7040-2350-6.

LESEN ALLE BUCHTIPPS ANSEHEN

Wenn das Spiegelbild ein Eigenleben führt

Autor(en): Bisovsky S, Unterberger
Verlag: Österreichischer Agrarverlag
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-7040-2350-6.

LESEN ALLE BUCHTIPPS ANSEHEN

NEU Ins Leben starten

Autor(en): Bisovsky S, Unterberger
Verlag: Österreichischer Agrarverlag
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-7040-2350-6.

LESEN ALLE BUCHTIPPS ANSEHEN

Das Viva-Mayr Kochbuch

Autor(en): Bisovsky S, Unterberger
Verlag: Österreichischer Agrarverlag
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-7040-2350-6.

LESEN ALLE BUCHTIPPS ANSEHEN

Die Molekülchen Küche-Experimente für Nachwuchs-Köche

Autor(en): Bisovsky S, Unterberger
Verlag: Österreichischer Agrarverlag
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-7040-2350-6.

LESEN ALLE BUCHTIPPS ANSEHEN