Ausblick
Gut zu essen und sich dabei auch vernünftig zu ernähren ist eine Kulturtechnik.
Doch wie und wo lässt sie sich heutzutage lehren und lernen? In der Schule? Zuhause? Mehr aus Büchern oder in der Praxis? Viele sind sich einig, es braucht den Dreiklang: mit Händen, Herz und Hirn! Also in der Küche und am Esstisch, mit Begeisterung für die Sache und ein wenig Theorie. Für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Diskutieren Sie mit uns, wie wir Ernährungsinformationen verdauen, wie digitale Medien das Essverhalten beeinflussen können und welchen Stellenwert positive Erlebnisse haben. Best-Practice-Beispiele inklusive.
Pressemeldung
„Die Thematik Essen scheint heute vielen zu komplex und zu verwirrend“, stellt Peter Reinecke, Präsident des forum. ernährung heute (f.eh) in seinem Begrüßungsstatement fest. Sieben von zehn Menschen wissen nicht mehr, welche Informationen rund um Ernährung und Lebensmittel richtig oder falsch sind, das zeigte der f.eh-Mythen-Check 2015. Wissensvermittlung als Problemlösung greift hier zu kurz. Vielmehr geht es in Zukunft darum, durch Ernährungsbildung Kompetenzen zu fördern, die Menschen ermöglichen, verantwortungsvolle Ess-Entscheidungen zu treffen. Bildung bedeutet in diesem Kontext die Befähigung zu einer eigenständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung in sozialer und kultureller Eingebundenheit und Verankerung.
f.eh präsentiert „Bausteine für ein besseres Essverhalten“
„Wir sehen bei Kindern, dass sie den Bezug zu Lebensmitteln verloren haben. Sie wissen nicht mehr, wie und wo diese entstehen und können auch nicht einschätzen, welche Wirkungen sie auf uns und die Umwelt haben. Da braucht es mehr Bewusstseinsbildung und auch viel mehr Praxis sowie lustvolles, lebenslanges Lernen“, sagt Marlies Gruber, Geschäftsführerin des f.eh. Aus diesem Grund veröffentlichte das f.eh im Rahmen des Symposiums „6 Postulate zum Thema Essen, Lebensstil, Verantwortung und Bildung“.
Ernährungsbildung fix im Schulsystem verankern
Eine zentrale Forderung des f.eh ist es, Essen im Sinne einer Kulturtechnik verpflichtend interdisziplinär an Schulen zu integrieren. Silke Bartsch, Professorin für Ernährungs- und Haushaltswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, unterstützt diese. „Eine zeitgemäße Ernährungsbildung will junge Menschen befähigen, die eigene Ernährung politisch mündig, sozial verantwortlich und demokratisch teilhabend unter den herrschenden komplexen gesellschaftlichen Bedingungen zu gestalten. Wenn wir eine Grundbildung Ernährung für alle wollen, müssen wir sie institutionalisieren!“ Der Schule als erster formaler Bildungseinrichtung kommt eine besondere Rolle zu, denn unabhängig vom sozio-ökonomischen Status werden hier alle Kinder erreicht.
Mit Hirn, Herz und Händen
Die „Schule des Essens“ ist ein Vorzeigeprojekt, das vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau Österreich (FiBL) entwickelt wurde und durchgeführt wird. Die Projektleiterin Theres Rathmanner vom FiBL: „Unser Ziel ist es, Kinder und Jugendliche für gute – bewusst nicht „gesunde“ – Ernährung zu begeistern. Wir möchten, dass Schüler zu informierten, kompetenten, selbstbestimmten und gesunden Essern mit Sinn für Genuss und Nachhaltigkeit werden. Zentraler Lernort dabei ist die Küche.“ Das geschieht ohne erhobenen Zeigefinger, mit wenigen Gesundheitsargumenten, dafür mit viel Praxis, Selbst-Erfahren, Freude am Ausprobieren und Erleben von Geschmack. Lernen „mit Hirn, Herz und Händen“, wie es Rathmanner bezeichnet. Ziel ist es, die „Schule des Essens“ dauerhaft im Schulsystem zu verankern. Ob und wann dies gelingt, ist, wie bei vielen Projekten, auch eine Frage der Finanzierung.
Schlüsselelemente: Kochen, lachen und staunen
Die Vorstellung ausgewählter Praxisprojekte aus Österreich, Deutschland und den Niederlanden zeigte durchgehend, dass hands-on-Aktivitäten, ein praktischer, alltagsnaher Zugang und emotionale Erlebnisse mit Lebensmitteln klare Erfolgsfaktoren sind. Das heißt, Kinder lernen am besten, wenn sie Lebensmittel im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen, selbst kochen und gemeinsam essen.
„Ernährungswissen beginnt bereits bei der Produktion“, macht die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Bäuerinnen, Andrea Schwarzmann, aufmerksam. In diesem Sinne sind jährlich etwa 300 Seminarbäuerinnen im Rahmen von rund 1800 Bildungseinsätzen an Österreichs Schulen unterwegs und vermitteln Kindern so praxisnahe Erfahrungen mit Grundnahrungsmitteln. Auch Bundesbäuerin Schwarzmann fordert, die Vermittlung von Ernährungs- und Lebenskompetenz in allen Schulbereichen fix zu verankern.
Kritisch umgehen mit Neuen Medien
Will man, dass Jugendliche zu kritischen Konsumenten mit Entscheidungskompetenz heranwachsen, kommt man um das Thema Digitalisierung, Social Media und Apps nicht herum. Zum einen können, etwa mittels facebook- oder Instagramm-Beobachtung, Trends und Motive frühzeitig erkannt werden, wie Ronia Schiftan von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) anschaulich darstellte. Zum anderen beeinflussen Apps das Verhalten direkt. In welcher Weise, dazu gibt es derzeit allerdings keine Studien, erläutert Kirsten Schlegel-Matthies, Professorin für Haushaltswissenschaft an der Universität Paderborn.
Sie sieht Apps zwar als guten Anknüpfungspunkt an die Lebenswelt junger Menschen, beurteilt sie aber durchaus kritisch: „Mit der Nutzung von Ernährungs-Apps und der damit oft verbundenen Selbstvermessung wird auch das Verhältnis zum eigenen Körper ein Stück weit entfremdet. Genussaspekte fehlen praktisch völlig. Doch die angebotenen Lösungen klingen einfach und man kann die Verantwortung abgeben. Aber wer hat die Kontrolle über die App? Aufgrund welcher Basisdaten wurde sie programmiert? Wer sagt, was richtig ist? Es ist nicht gesichert, dass die Datengrundlagen einer App wissenschaftlich abgesichert sind.“ Ernährungsbildung dient schließlich, wie Schiftan und Schlegel-Matthies unisono betonen, dem selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Umgang mit dem eigenen Körper und der Entwicklung einer ebenso selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Ernährungsweise. Der Umgang mit neuen Medien ist dabei nur ein kleiner Aspekt, der aber genauso bearbeitet werden muss.
Wissenschaftlich fundiert, praktisch orientiert
Die wissenschaftliche Absicherung betont auch Jürgen König vom Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien und Leiter des Wissenschaftlichen Beirates des f.eh. „Um die Relevanz oder Korrektheit von Ernährungsinformationen, die in Medien gerne überspitzt oder gar widersprüchlich dargestellt werden, zu beurteilen, braucht es Wissen und Bildung. Ohne breite Ernährungsbildung kann keine Eigenverantwortung übernommen werden.“ König sieht dabei alle Stakeholder in der Pflicht, Studienergebnisse mit Bedacht, sowie allgemeinverständlich zu kommunizieren. Nur so können Konsumenten das Handwerkszeug erlangen, um Ernährungsinformationen eigenständig zu bewerten, in Bezug zu ihrer individuellen Lebenssituation zu setzen und eigenverantwortliche Ess-Entscheidungen zu treffen.
Eigenverantwortung und Reflexion
Noch eine Botschaft liegt König am Herzen: „Schlussendlich ist es wichtig, dass man auch ein bisschen über sich selbst nachdenkt. Ich glaube, die meisten Menschen wissen, was sie falsch machen. Es ist natürlich leichter, die Verantwortung an irgendjemand anderen abzugeben. Wenn man aber sein eigenes Gesundheitsverhalten reflektiert, dann merkt man relativ schnell, dass sehr viele Punkte vorhanden sind, die in der eigenen Verantwortung liegen und wo man die Verantwortung nicht wirklich an jemand anderen abgeben kann, darf oder sollte.“
Anhang:
Bausteine für ein besseres Essverhalten - 6 f.eh-Postulate zum Thema Essen, Lebensstil, Verantwortung und Bildung
Weiterführenden Unterlagen
Fotos der Veranstaltung
Zur Audio-Pressemappe: www.o-ton.at (für registrierte Journalisten)
Referenten
Silke Bartsch
Professorin für Ernährungs- und Haushaltswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Nach dem Lehramtsstudium unterrichtete sie zunächst an Berliner Schulen und leitete den Fachbereich Arbeitslehre an einer Gesamtschule. Sie promovierte zum Thema Jugendesskultur an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich Essverhaltensforschung von Jugendlichen und fachdidaktischen Fragestellungen zur Ernährungs- und Verbraucherbildung.
Ronia Schiftan
Teammitglied der SGE (Schweizerische Gesellschaft für Ernährung) mit Fachverantwortung in den Bereichen Psychologie und Betriebliches Gesundheitsmanagement. Studium der angewandten Psychologie. Aktuell absolviert Frau Schiftan ein berufsbegleitendes Masterstudium.
Kirsten Schlegel-Matthies
Professorin für Haushaltswissenschaften an der Universität Paderborn. Studium der Geschichte, Germanistik, Politikwissenschaften und Pädagogik an der Universität Münster, anschließend Promotion ebendort. Seit 2008 ist Prof. Schlegel-Matthies Vorsitzende der Fachdidaktischen Gesellschaft Haushalt in Bildung und Forschung und Sprecherin der D-A-CH Arbeitsgruppe zur Hochschuldidaktik zur verbraucher-orientierten Lehrerbildung. Sie ist unter anderem Herausgeberin der Zeitschrift Haushalt in Bildung und Forschung.
Susanne Ring-Dimitriou
Assoziierte Professorin für den Bereich Sport- und Bewegungswissenschaftenan der Universität Salzburg. Nach dem Studium der Sportwissenschaften an der Universität Salzburg promovierte Prof. Ring-Dimitriou an der Universität Köln. Es folgten Forschungsaufenthalte in Deutschland und Griechenland. Seit 2014 leitet sie das Projekt „SALTO-SALzburg Together against Obesity“.
Theres Rathmanner
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Dr. Rathmanner studierte Ernährungswissenschaften an der Universität Wien und promovierte an der Medizinische Universität Wien im Fachbereich Public Health. Sie ist als Ernährungs- und Gesundheits-wissenschafterin tätig und leitet seit 2014 das Projekt „Schule des Essens“.
Annemien Haveman-Nies
Koordinatorin des Academic Collaborative Centre AGORA an der Universität Wageningen. Sie studierte Humanernährung an der Universität Wageningen und absolvierte ihren PhD ebendort. Den Forschungsschwerpunkt bilden Projekte im Bereich Public Health, unter anderem bei übergewichtigen Kindern, und die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis.
Claudia Ertl-Huemer
Geschäftsfeldleiterin von Education & Care bei GMS GOURMET. Studium der Ernährungswissenschaften an der Universität Wien. Mag. Ertl-Huemer ist seit 1997 u. a. im Marketing und Produktmanagement und als Leiterin des Vertriebsteams von GOURMET tätig. Als Geschäftsfeldleiterin arbeitet sie an der dienstleistungsorientierten Ausrichtung des Portfolios.
Andrea Lambeck
Geschäftsführerin der Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (peb). Die promovierte Diplom-Ökotrophologin war als Pressesprecherin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam tätig. Darüber hinaus war sie zwölf Jahre als ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende des BerufsVerband Oecotrophologie (VDOE) aktiv, bevor sie 2012 in den VDOE-Beirat wechselte.
Programm
ab 09:00 Uhr | Registrierung |
09.30-09.45 Uhr | BegrüßungPeter Reinecke, Marlies Gruber, f.eh Kurt Nekula, Bundesministerium für Bildung |
09.45-10.30 Uhr | Ernährungsbildung findet am Esstisch statt.Silke Bartsch, Pädagogische Hochschule Karlsruhe |
10.30-11.00 Uhr | Was die Psyche aus Ernährungsinformationen macht!Ronia Schiftan, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE |
11.00-11.20 Uhr | Kaffeepause |
11.20-11.50 Uhr | Die digitale Welt: Apps und Co auf dem PrüfstandKirsten Schlegel-Matthies, Universtität Paderborn |
11.50-12.30 Uhr | Podiumsdiskussion: So viel und so wirr!Gäste: Ursula Buchner (Thematisches Netzwerk Ernährung), Elena Kinz (open science), Birgit Wild (Pädagogische Hochschule Tirol), Andrea Schwarzmann (Arbeitsgemeinschaft Österreichische Bäuerinnen) |
12.30-13.30 Uhr | Mittagessen |
13.30-16.00 Uhr | best practice: Lernen aus der Praxis |
SALTO: Ernährung und Bewegung an BildungseinrichtungenSusanne Ring-Dimitriou, Paris Lodron Universität Salzburg, Hallein | |
Schule des EssensTheres Rathmanner, FiBL, Wien | |
Smaaklessen-Taste lessons: best practice in The NetherlandsAmmenien Haveman-Nies, University of Wageningen, Netherlands | |
14.45-15.05 Uhr | Kaffeepause |
Deine Birne rettet die Welt! Klima-Kochwerkstatt für jugendliche SchülerInnenClaudia Ertl-Huemer, GMS Gourmet GmbH, Wien | |
KiCo und Lecker tafelnAndrea Lambeck, plattform ernährung und bewegung - peb, Berlin | |
16.00-16.30 Uhr | Podiumsdiskussion: Zwischen Theorie und PraxisGäste: Alexander Biach (Hauptverband der Sozialversicherungsträger), Kurt Nekula (Bundesministerium für Bildung), Andrea Gerstenberger (Kirchliche PH Wien/Krems), Karin Schindler (Bundesministerium für Gesundheit), Taliman E. Sluga (Kulturmanager und Buchautor) |
ab 16.30 Uhr | Schlussworte, danach get together |
Unterlagen
Zukunftsfähige Ernährungsbildung in einer globalisierten Esswelt
Silke Bartsch, Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Abstract
Präsentation
Was die Psyche aus Ernährungsinformationen macht!
Ronia Schiftan, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE
Abstract
Präsentation
Die digitale Welt: Apps und Co auf dem Prüfstand
Kirsten Schlegel-Matthies, Universtität Paderborn
Abstract
Präsentation
best practice: Lernen aus der Praxis
SALTO: Ernährung und Bewegung an Bildungseinrichtungen
Susanne Ring-Dimitriou, Paris Lodron Universität Salzburg, Hallein
Abstract
Präsentation
Schule des Essens
Theres Rathmanner, FiBL, Wien
Abstract
Präsentation
Smaaklessen-Taste lessons: best practice in The Netherlands
Ammenien Haveman-Nies, University of Wageningen, Netherlands
Abstract
Präsentation
Deine Birne rettet die Welt! Klima-Kochwerkstatt für jugendliche Schüler
Claudia Ertl-Huemer, GMS Gourmet GmbH, Wien
Abstract
KiCo und Lecker tafeln!
Andrea Lambeck, plattform ernährung und bewegung - peb, Berlin
Abstract
Präsentation