Versteckte Reaktion - Glutensensitivität
Neben Zöliakie und Weizenallergie gibt es noch eine andere Form der Reaktion auf Gluten: die Glutensensitivität (GS). Wissenschafter bezeichnen sie als Reaktion auf die Aufnahme von Gluten bei Fällen, in denen Zöliakie und Weizenallergie ausgeschlossen werden kann. Wie viele Menschen in Österreich davon betroffen sind, ist aufgrund der fehlenden Daten jedoch unklar.
Sensible Reaktion
Die komplexen Symptome einer Glutensensitivität treten oft Stunden nach dem Verzehr von glutenhältigen Nahrungsmitteln auf. In manchen Fällen kann das auch Tage dauern. Die Reaktionen auf Gluten äußern sich körperlich, psychisch und neurologisch:
- Verdauungsbeschwerden, Blähungen, Durchfall, Verstopfung
- Übelkeit
- Knochen- und Gelenksschmerzen
- eingerissene Mundwinkel
- Migräne, Kopfschmerzen
- Menstruationsstörungen
- Muskelschwäche und -abbau
- Hautekzeme
- Gleichgewichtsstörungen
- Unerklärliche Gewichtsschwankungen
- Depressive Verstimmungen
- Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen
Zöliakie und Glutensensitivität ähneln sich in ihrer Symptomatik, jedoch werden bei der Glutensensitivität die Dünndarmzotten nicht beschädigt. Bei der Glutensensitivität handelt es sich stattdessen um eine Befindlichkeitsstörung mit Symptomen, die nach kurzer Zeit unter glutenfreier Ernährung wieder verschwinden und nach aktuellem Wissensstand keine Folgeschäden hinterlassen.
Diagnostisches Modell
Während Zöliakie und Weizenallergie gut erforscht sind, blieb eine Glutensensitivität bei vielen Betroffenen in der Vergangenheit oft unentdeckt. Denn die sensible Reaktion auf Gluten wurde häufig für Zöliakie gehalten. Mittlerweile ist klar, dass es sich bei Glutensensitivität um eine weitere, eigenständige Form der Glutenunverträglichkeit handelt. Bis heute gibt es allerdings keine spezielle Diagnostik für diese Krankheit. Es ist lediglich durch Ausschlussdiagnosen möglich, Glutensensitivität zu erkennen und in Folge zu behandeln.
Im Rahmen der ersten Konsensuskonferenz zu Glutensensitivität 2011 in London wurde ein mehrstufiges Diagnostikmodell von einem internationalen Forscherteam erarbeitet, mit dem eine Glutensensitivität erkannt werden soll. Seitdem tauschen sich Experten in unregelmäßigen Abständen über etwaige neue Erkenntnisse, die aktuelle Studienlage und die epidemiologischen Daten aus. Die letzte Sitzung fand 2016 statt.
Beim Thema Glutensensitivität ist folglich vieles immer noch unklar. Eines ist jedoch eindeutig: Bevor man von Glutensensitivität sprechen kann, muss zuerst eine Zöliakie vom Facharzt ausgeschlossen werden. Ehe ein Patient als glutensensitiv bezeichnet werden kann, müssen folgende Schlüsselkriterien zutreffen:
- Ausschluss einer Weizenallergie,
- Ausschluss einer Zöliakie und der damit verbundenen Zerstörung der Dünndarmzotten,
- Linderung der Symptome bei glutenfreier Kost.
Linderung durch glutenfreie Ernährung
Handelt es sich tatsächlich um Glutensensitivität, muss die Ernährung umgestellt werden. Vorrangig geht es darum, auf glutenlastige Lebensmittel zu verzichten. Welche Lebensmittel sind erlaubt und welche Produkte müssen vom Speiseplan gestrichen werden? Grundsätzlich sollte auf folgende Getreide verzichtet werden: Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Weizen, Grünkern, Emmer und Kamut. Verarbeitet kommen diese Getreidesorten auch in Backwaren (z. B. Brot, Baguettes, Kuchen etc.), Keksen, Müsli, Knabbergebäck, Bier, Paniermehl und Teigwaren vor. Hingegen braucht man sich bei folgenden Produkten und Zutaten keine Sorgen machen:
- Reis, Mais, Buchweizen, Hirse,
- Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Maroni,
- Amaranth, Quinoa,
- Nüsse,
- Fleisch, Geflügel, Eier,
- Milch und Milchprodukte wie Rahm, Joghurt oder Käse,
- Zucker, Honig, Marmelade,
- Tee, Kakaopulver
Ein Verzicht auf glutenhältige Nahrungsmittel führt bei Betroffenen in kurzer Zeit zu einem Rückgang und zur Linderung der spezifischen Symptome. Die Datenlage zeigt, dass bei der Glutensensitivität – im Gegenteil zur Zöliakie, bei der ein Leben lang auf glutenhältige Lebensmittel verzichtet werden muss – in einigen Fällen eine geringe Menge an Gluten vertragen wird, ohne dabei Beschwerden zu entwickeln. Nach ein bis zwei Jahren glutenfreier Ernährung ist es also oftmals möglich, versuchsweise wieder geringe Mengen an Gluten aufzunehmen.
Glutensensitivität und Reizdarm?
Ein Zusammenhang zwischen Reizdarm und Zöliakie wird bereits seit mehreren Jahren erforscht und gilt als bestätigt. Manche Reizdarmpatienten merken durch eine glutenfreie Ernährung aber auch eine Besserung der Symptome, obwohl bei ihnen keine Zöliakie oder Weizenallergie vorliegt. Es wird somit vermutet, dass auch eine Verbindung zwischen Reizdarm und Glutensensitivität besteht. Die Betroffenen können ebenfalls von einer glutenfreien Ernährung profitieren.
Fazit
Glutenunverträglichkeit zählt zu den häufigsten lebensmittelbedingten Krankheitsformen. Neben Zöliakie und Weizenallergie gibt es noch eine dritte Form der Reaktion auf Gluten: die Glutensensitivität (GS). Sie löst weder allergische noch autoimmune Mechanismen im Körper aus, führt aber zu einer Reihe von unangenehmen Symptomen (z. B. Migräne, Bauchschmerzen, Durchfall). Die Diagnose der Glutensensitivität ist bislang lediglich über den Ausschluss von Zöliakie und Weizenallergie möglich. Um das Krankheitsbild tatsächlich zu verstehen, muss noch viel geforscht werden.
Literatur
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