Glutensensitivität: Mehr als nur Zöliakie – Ursachen, Symptome und Diagnose
Als Glutensensitivität (GS) wird die Reaktion auf Gluten bei jenen Fällen bezeichnet, in denen Zöliakie und Weizenallergie ausgeschlossen werden können. Wie viele Menschen in Österreich davon betroffen sind, ist aufgrund fehlender Daten jedoch unklar [Andresen et al., 2018].
Die zugrundeliegenden Mechanismen sind bisher nicht komplett geklärt, Untersuchungen legen aber nahe, dass nicht nur Gluten, sondern auch Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) eine Schlüsselrolle spielen könnten. Als andere mögliche Mitursache werden die sogenannten FODMAPs (Fermentable Oligo-, Di-, Monosaccharides and Polyols) gesehen. Das sind bestimmte Kohlenhydrate und Zuckeralkohole, die in vielen Lebensmitteln vorkommen und im Dünndarm schlecht aufgenommen werden. Sie fermentieren und bilden Gase im Verdauungstrakt, was zu den typischen Beschwerden führen kann. Das trifft vor allem bei Menschen mit Reizdarmsyndrom zu [Andresen et al., 2018].
Wissenswert
Gluten ist ein Klebereiweiß, das u.a. in Weizen, Roggen, Gerste oder Dinkel vorkommt. Es bildet in wässriger Lösung eine zäh-elastische Masse, welche die Hauptstruktur des Teiges bei der Brotherstellung bildet und bewirkt, dass das Teigvolumen zunimmt [Dr. Schär Institut, 2024c]
Typische Symptome einer Glutensensitivität
Die komplexen Symptome einer Glutensensitivität treten oft Stunden nach dem Verzehr von glutenhaltigen Nahrungsmitteln auf. In manchen Fällen kann das auch Tage dauern. Die Reaktionen auf Gluten äußern sich durch [Andresen et al., 2018]:
- Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Verstopfung
- Völlegefühl
- Übelkeit, Erbrechen
- Kopfschmerzen
- Muskelbeschwerden
- Kribbeln, Prickeln oder Taubheitsgefühle meist an Händen, Fingern oder Füßen (Parästhesien)
- Chronische Müdigkeit
Zöliakie und Glutensensitivität ähneln sich in ihrer Symptomatik, jedoch werden bei der Glutensensitivität die Dünndarmzotten nicht beschädigt. Bei der Glutensensitivität handelt es sich stattdessen um eine Befindlichkeitsstörung mit Symptomen, die nach kurzer Zeit unter glutenfreier Ernährung wieder verschwinden und nach aktuellem Wissensstand keine Folgeschäden hinterlassen [Andresen et al., 2018].
Glutensensitivitäts-Diagnose durch Ausschluss – eine Herausforderung
Während Zöliakie und Weizenallergie gut erforscht sind, blieb eine Glutensensitivität bei vielen Betroffenen in der Vergangenheit oft unentdeckt. Denn die sensible Reaktion auf Gluten wurde häufig für Zöliakie gehalten. Mittlerweile ist klar, dass es sich bei Glutensensitivität um eine weitere, eigenständige Form der Glutenunverträglichkeit handelt. Bis heute gibt es allerdings keine spezielle Diagnostik für diese Krankheit. Es ist lediglich durch Ausschlussdiagnosen möglich, Glutensensitivität zu erkennen und in Folge zu behandeln.
Im Rahmen der ersten Konsensuskonferenz zu Glutensensitivität 2011 in London wurde ein mehrstufiges Diagnostikmodell von einem internationalen Forscherteam erarbeitet, mit dem eine Glutensensitivität erkannt werden soll. Seitdem tauschen sich Fachkräfte in unregelmäßigen Abständen über etwaige neue Erkenntnisse, die aktuelle Studienlage und die epidemiologischen Daten aus. Die letzte Sitzung fand 2016 statt [Catassi et al, 2017].
Beim Thema Glutensensitivität ist folglich vieles immer noch unklar. Eines ist jedoch eindeutig: Bevor man von Glutensensitivität sprechen kann, muss zuerst eine Zöliakie medizinisch ausgeschlossen werden. Ehe eine Person als glutensensitiv bezeichnet werden kann, müssen folgende Schlüsselkriterien zutreffen [Andresen et al., 2018]:
- Ausschluss einer Weizenallergie,
- Ausschluss einer Zöliakie und der damit verbundenen Zerstörung der Dünndarmzotten,
- Linderung der Symptome bei glutenfreier Kost.
Glutenfreie Ernährung als Therapie bei Glutensensitivität
Handelt es sich tatsächlich um Glutensensitivität, muss die Ernährung umgestellt werden. Vorrangig geht es darum, auf glutenlastige Lebensmittel zu verzichten: Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Weizen, Grünkern, Emmer und Kamut. Verarbeitet kommen diese Getreidesorten auch in Backwaren (z. B. Brot, Baguettes, Kuchen etc.), Keksen, Müsli, Knabbergebäck, Bier, Paniermehl und Teigwaren vor. Hingegen braucht man sich bei folgenden Produkten und Zutaten keine Sorgen machen:
- Reis, Mais, Buchweizen, Hirse,
- Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Maroni,
- Amaranth, Quinoa,
- Nüsse,
- Fleisch, Geflügel, Eier,
- Milch und Milchprodukte wie Rahm, Joghurt oder Käse,
- Zucker, Honig, Marmelade,
- Tee, Kakaopulver
Ein Verzicht auf glutenhaltige Nahrungsmittel führt bei Betroffenen in der Regel binnen einiger Tage bis zu zwei Wochen zu einem Rückgang und zur Linderung der spezifischen Symptome. – Während bei Zöliakieein Leben lang auf glutenhaltige Lebensmittel verzichtet werden muss, vertagen einige Menschen mit Glutensensitivität geringe Menge an Gluten, ohne dabei Beschwerden zu entwickeln. Nach ein bis zwei Jahren glutenfreier Ernährung ist es oftmals möglich, versuchsweise wieder geringe Mengen an Gluten aufzunehmen [Dr. Schär Institut, 2024b].
Wissenswert
Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich auch das Lebensmittelangebot der Glutenunverträglichkeit angepasst. Zu einer Vielzahl an glutenhaltigen Produkten gibt es ein glutenfreies Pendant im Supermarktregal. Eine durchgestrichene Ähre dient als Erkennungszeichen.
Zusammenhang: Glutensensitivität und Reizdarm
Ein Zusammenhang zwischen Reizdarm und Zöliakie wird bereits seit mehreren Jahren erforscht und gilt als bestätigt. So können Menschen mit einer nicht diagnostizierten Zöliakie entsprechend ähnliche Symptome aufweisen. Bei manchen Reizdarmbetroffenen verbessern sich die Symptome durch eine glutenfreie Ernährung, obwohl bei ihnen keine Zöliakie oder Weizenallergie vorliegt. Es wird somit vermutet, dass auch eine wechselseitige Verbindung zwischen Reizdarm und unbehandelter Glutensensitivität besteht. Die Betroffenen können ebenfalls von einer glutenfreien Ernährung profitieren [Catassi et al., 2016; Dr. Schär Institut, 2024a].
Fazit
Neben Zöliakie und Weizenallergie gibt es noch eine dritte Form der Reaktion auf Gluten: die Glutensensitivität (GS). Sie löst weder allergische noch autoimmune Mechanismen im Körper aus, führt aber zu einer Reihe von unangenehmen Symptomen (z. B. Migräne, Bauchschmerzen, Durchfall). Die Diagnose der Glutensensitivität ist bislang lediglich über den Ausschluss von Zöliakie und Weizenallergie möglich. Um das Krankheitsbild tatsächlich zu verstehen, muss noch viel geforscht werden.
Literaturverzeichnis
Andresen V, Menge D, Laye P: Die „Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität“ (NCGS). (April 2018) https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/201802/078.pdf (Zugriff: 19.11.2024).
Catassi C et al.: Diagnose Glutensensitivität: Zeit für etwas mehr Klarheit. Journal for Health Care Professionals 01 https://www.drschaer.com/sites/default/files/DSIF_01-2016_DE_16-07-12_Internet_0.pdf (2016).
Catassi C et al.: The Overlapping Area of Non-Celiac Gluten Sensitivity (NCGS) and Wheat-Sensitive Irritable Bowel Syndrome (IBS): An Update. Nutrients 9 (11): 1268 (2017).
Dr. Schär Institut: Gluten-/Weizensensitivität oder Reizdarm? https://www.drschaer.com/de/institute/a/begleiterkrankungen-gluten-weizensensitivitaet (Zugriff: 19.11.2024a).
Dr. Schär Institut: Therapie der Gluten-Weizensensitivität. https://www.drschaer.com/de/institute/a/therapie-gluten-weizensensivitaet (Zugriff: 19.11.2024b).
Dr. Schär Institut: Was ist Gluten? https://www.drschaer.com/de/institute/a/definition-gluten (Zugriff: 19.11.2024c).