Chinin – bitterer Genuss
Chinin wird aus der Rinde des Chinarindenbaumes (lat. Cinchona) extrahiert und ist ein weißes Pulver mit bitterem Geschmack, das chemisch zu den Alkaloiden gehört. Obwohl der Name einen Ursprung in China vermuten lässt, stammt der Baum aus den Hochwäldern der Anden. Mittlerweile wird er unter anderem auf Java oder in Teilen Afrikas kultiviert. Für die Gewinnung von Chinin wird die Rinde zunächst vermahlen und anschließend mit gebranntem Kalk sowie stufenweise mit Lösungsmitteln vermengt. Über Filtrationsprozesse wird das Alkaloid gewonnen, das letztlich als Pulver auskristallisiert. Aus einer Tonne Rinde werden mit den heutigen Verfahren rund 30–40 kg Chinin hergestellt.
Tonikum gegen Malaria
Bereits die indigenen Völker Südamerikas verwendeten Chinarinde gegen malariabedingtes Fieber und Zittern. Die dort missionierenden Jesuiten dokumentierten die beobachtete Wirkung und brachten größere Mengen der Rinde nach Europa. Gemahlene Chinarinde wurde früher deshalb auch als „Jesuitenpulver“ bezeichnet. In der Kolonialzeit wurde Chinin, häufig aufgelöst in Wasser, großflächig als Prophylaxe für Truppen in Malariagebieten eingesetzt. Die Soldaten mussten das Tonic Water (engl. tonic, stärkend) regelmäßig trinken, um eine schützende Wirkung zu erzielen. Um den bitteren Geschmack zu überdecken, wurden dem Getränk Gin und Zitronensaft beigemischt. Einer der beliebtesten Longdrinks – der Gin Tonic – war geboren. Bis etwa 1940 war Chinin der einzige wirksame Arzneistoff gegen Malaria und auch heute noch werden Chinin und die synthetischen Verwandten Hydroxychloroquin und Chloroquin als Medikamente eingesetzt. Chinin wirkt fiebersenkend, krampflösend und schmerzstillend, daher wird es auch als Muskelrelaxans beispielsweise gegen nächtliche Wadenkrämpfe genutzt.
Jüngst sorgte eine potenzielle Wirkung gegen SARS-CoV-2 für Aufsehen. Große et al. zeigten, dass Chinin im Vergleich zu Hydroxychloroquin und Chloroquin in unterschiedlichen humanen Zellkulturen SARS-CoV-2 hemmt. Die benötigten Konzentrationen variierten jedoch je nach Zellart stark (3,2 mg/L bis ≥16,2 mg/L). Die Forscher schlussfolgern, dass Chinin im Gegensatz zu seinen synthetischen und toxischeren Verwandten eventuell eine potenzielle Therapieoption bei COVID-19 darstellen könnte.
Aperol, Bitter Lemon & Co
Abseits der Pharmaindustrie findet Chinin durch sein bitteres Aroma in der Getränkeherstellung Verwendung. Neben Tonic Water wird es fruchtsafthaltigen Erfrischungsgetränken wie Bitter Lemon oder Bitter Orange und anderen antialkoholischen Bitterlimonaden zugesetzt. Außerdem erhalten sämtliche Bitterspirituosen, unter anderem Aperol, Campari, Martini oder Absinth, durch den Aromastoff ihre charakteristische Geschmacksnote. Auch in Magenbitter ist typischerweise Chinin enthalten. Detail am Rande: Chinin fluoresziert in saurer Lösung unter UV-Licht, weswegen chininhaltige Getränke bei Bestrahlung meist hellblau leuchten.
Aufnahme kontraindiziert
In größeren Mengen konsumiert kann Chinin gesundheitlich problematisch sein. Risiken sieht das Bundeszentrum für Risikobewertung (BfR) insbesondere für Schwangere, da Chinin wehenfördernde Eigenschaften besitzt. Konsumiert die werdende Mutter über 1 L Tonic Water pro Tag, kann dies bei ungeborenen Kindern zudem zu einem Gewöhnungseffekt führen. In Anlehnung an die Regelung im Arzneimittelbereich sollen Schwangere daher vorsorglich auf chininhaltige Getränke verzichten. Das gilt auch für Personengruppen, für die in puncto Medikamente eine Kontraindikation für die Einnahme von Chinin besteht. Dies ist relevant bei Tinnitus, Vorschädigung des Sehnervs, Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel (der genetisch bedingte Mangel des Enzyms führt zu wiederkehrenden hämolytischen Anämien), angeborener Muskelschwäche (Myasthenia gravis) oder Überempfindlichkeit gegenüber Chinin bzw. Cinchona-Alkaloiden. Patienten, die Herzrhythmusstörungen haben oder Medikamente einnehmen, die Wechselwirkungen mit Chinin zeigen, sollten derartige Getränke nur nach Rücksprache mit ihrem Arzt zu sich nehmen.
Siehe Zutatenliste
Für alle chininhaltigen sowie mit Chinin aromatisierten Getränke gilt eine Kennzeichnungspflicht. Werden Chinin oder dessen Salze eingesetzt, muss das in der Zutatenliste mit der Angabe „Aroma Chinin“ deklariert werden. In den Richtlinien des Österreichischen Lebensmittelbuches ist der Grenzwert für Bitterlimonaden mit einem Chiningehalt von 85 mg/L festgelegt, wobei alkoholfreie Getränke mit der Bezeichnung „Tonic“ zumindest 15 mg/L enthalten müssen. Nach Untersuchungen des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hat Tonic Water im Durchschnitt einen Chiningehalt von rund 70 mg/L, während in Bitter Lemon nur rund 30 mg/L enthalten sind. Beide Getränke sind in ihrer heutigen Form als Malariaprophylaxe ungeeignet. Damit eine Person mit 70 kg auf die oral wirksame Dosis von 2 g pro Tag kommt, müsste sie rund 29 L Tonic Water bzw. 67 L Bitter Lemon trinken. Diese Menge ist unter normalen Umständen nicht zu schaffen – nicht ohne und erst recht nicht mit Gin.
Fazit
Chinin war lange Zeit das einzige wirksame Mittel gegen Malaria. Aufgrund seiner schmerz- und krampflindernden Eigenschaften wird es auch heute noch in der Medizin eingesetzt. Als Bitterstoff verleiht es vielen Getränken den charakteristischen Geschmack. Da ein übermäßiger Konsum zu ernsthaften Nebenwirkungen führen kann, wird besonders Schwangeren gänzlich davon abgeraten.
Dieser Artikel ist in der ernährung heute 3_2021 „Vom Tier zum Fleisch“ erschienen.
Literaturverzeichnis
Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Chinin in Getränken. www.lgl.bayern.de (Zugriff: 03.08.2021).
Breitmaier E: Alkaloide – Betäubungsmittel, Halluzinogene und andere Wirkstoffe, Leitstrukturen aus der Natur. 2. Auflage, B.G. Teubner Verlag (2002).
Bundesministerium für Risikobewertung (BfR): Chininhaltige Getränke können gesundheitlich problematisch sein. Aktualisierte Gesundheitliche Bewertung Nr. 020 vom 9. Mai 2008. www.bfr.de (Zugriff: 03.08.2021).
Große M et al.: Quinine Inhibits Infection of Human Cell Lines with SARS-CoV-2. Viruses 13: 1–17 (2021).
Österreichisches Lebensmittelbuch: 1.2.2.3 Bitterlimonade. www.lebensmittelbuch.at (Zugriff: 03.08.2021).
Rudo A et al.: Chinin – ein legendäres Alkaloid. Chemie in unserer Zeit 52 (4): 238–248 (2018).
Streller S, Roth K: Eine Rinde erobert die Welt. Chemie in unserer Zeit 46 (4): 228–247 (2012).

