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Zuckersteuer nach britischem Vorbild

Seitdem der Sanierungsbedarf des österreichischen Staatshaushaltsbudgets offensichtlich ist, werden zahlreiche Vorschläge auf Einnahmen- und Ausgabenseite diskutiert – auch eine Zuckersteuer. Sie soll nicht nur Geld in die leeren Kassen spülen, sondern auch gesundheitspolitisch wirken und Übergewicht sowie Adipositas eindämmen. Wir werfen einen Blick auf die britische Zuckersteuer. Welche Effekte wurden erzielt?

Adipositas zählt zu den größten globalen Herausforderungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Seit 1990 hat sich die Zahl der fettleibigen Erwachsenen weltweit mehr als verdoppelt, bei Kindern und Jugendlichen vervierfacht [Phelps et al., 2024]. Weil Adipositas auch das Risiko für etliche Folgeerkrankungen erhöht – etwa Diabetes, Herzkrankheiten, Schlaganfall, einige Krebsarten sowie Depressionen –, wird sie zunehmend auch zu einem volkswirtschaftlichen Faktor [Czypionka et al., 2024]. Effektive Maßnahmen für Prävention und Therapie sind daher gesellschafts- wie gesundheitspolitisch von hohem Interesse, spiegeln idealerweise die multifaktorielle Genese wider und adressieren individuelles Verhalten ebenso wie die Verhältnisse, also das soziale Umfeld und die Entscheidungsarchitektur. Einer Empfehlung der WHO aus 2013 folgend haben etliche Länder rund um den Globus eine Zuckersteuer eingeführt, um gegen Übergewicht und Adipositas vorzugehen, etwa Chile, Norwegen, Mexiko, Frankreich, Ungarn und Großbritannien. Meistens handelt es sich dabei um keine allgemeine Zuckersteuer, sondern um eine Steuer auf mit Zucker gesüßte Getränke. Hintergrund ist der beobachtete Zusammenhang zwischen einem übermäßigen Konsum solcher Getränke und dem Auftreten von Adipositas und Folgeerkrankungen. Dafür stufte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die Evidenz bei Erwachsenen als „wahrscheinlich“ ein, bei Kindern als „möglicherweise“. Unabhängig vom Alter entwickeln High Consumer von zuckergesüßten Getränken „wahrscheinlich“ Diabetes Typ 2. Ein Erklärungsansatz für den Zusammenhang mit zuckergesüßten Getränken liegt in der verzögerten Sättigung bei Flüssigkeiten. Für Zucker per se gibt es übrigens keine überzeugende Beweislage, dass er dick oder zuckerkrank macht oder eine Krebserkrankung begünstigt [DGE, 2011].

Verbrauchssteuer

Abseits der unmittelbar finanziellen Motivation für das Staatsbudget besteht das gesundheitspolitische Ziel einer Zuckersteuer darin, das Auftreten von Übergewicht und Adipositas zu reduzieren. Nun gibt es verschiedene Modelle der Zuckersteuer auf Getränke: Die höchsten Effekte wurden beobachtet, wenn einerseits die Preiserhöhung an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben wird und andererseits die Steuer je nach Zuckergehalt gestaffelt ist. Dadurch reformulieren die Hersteller ihre Getränke und der Zuckergehalt sinkt [Emmert-Fees et al., 2023; Shakiba et al., 2022]. Auch in Großbritannien gibt es eine gestaffelte Zuckersteuer. Sie wurde 2016 von der Regierung angekündigt und trat im April 2018 in Kraft. Diese Soft Drinks Industry Levy (SDIL) ist eine Verbrauchssteuer, die bei Getränkeherstellern, -importeuren und -abfüllern eingehoben wird. Die Steuer richtet sich nach dem Zuckergehalt der Getränke; es gibt zwei Tarifstufen:

  • 5–8 g Zucker pro 100 ml: 18 Pence pro Liter (umgerechnet ca. 0,22 €)
  • > 8 g Zucker pro 100 ml: 24 Pence pro Liter (umgerechnet ca. 0,29 €)

Als Zuckerzusatz zählen folgende Zuckerarten (aber nicht ausschließlich): Saccharose, Glukose, Fruktose, Laktose, Galaktose. Zugesetzter Honig ist daher ebenso einzurechnen wie der normale Haushaltszucker. Süßungsmittel wie Stevia, Aspartam und Sucralose sind nicht eingeschlossen. Fruchtsaft, Gemüsesaft und Milch sind ebenfalls exkludiert. Damit die Steuerpflicht greift, muss der Alkoholgehalt der Getränke unter 1,2 Volumenprozent liegen; zudem müssen sie trinkfertig in Flaschen, Dosen oder auf andere Weise verpackt sein, bzw. zur Verdünnung mit Wasser oder Eiswürfeln sowie ggf. zur Mischung mit Kohlendioxid geeignet sein [GOV.UK, 2018].

Kalorienreduktion minimal

Im August dieses Jahres erschien eine Evaluierungsstudie zur britischen Zuckersteuer [Rogers et al., 2024], die medial breit aufgegriffen wurde. Auf den ersten Blick erschienen die Zahlen beeindruckend: Die Autoren berechneten, dass Kinder pro Tag um 23,5 % weniger Zucker aus Limonaden aufnahmen, Erwachsene gar um 40,4 %. Bei relativen Angaben in Prozent ist es für eine sachdienliche Einordnung hilfreich, sich die absoluten Zahlen anzusehen. Konkret zeigt sich hier: Kinder nahmen durch die Steuer täglich um 3 g weniger Zucker aus zuckergesüßten Getränken zu sich, Erwachsene 5,2 g. Das entspricht einer Kalorieneinsparung von 12 bzw. 20,8 kcal/Tag. Es wird deutlich, dass sich die Effekte mit etwa 1 % der empfohlenen Tagesenergieaufnahme in Grenzen halten.

Zum Vergleich: Auch in Mexiko werden durch die Softdrink-Steuer nur ca. 6 Kalorien täglich weniger aufgenommen, was einem kleinen Bissen Apfel oder etwa 0,3 % der empfohlenen täglichen Energiezufuhr eines Erwachsenen entspricht [Colchero et al., 2016].

Mehr zuckerarm und -frei

Während sich also die Zuckeraufnahme über Erfrischungsgetränke in absoluten Zahlen nur gering veränderte, waren zwischen 2015 und 2020 Verschiebungen im Konsummuster zu beobachten. So weist der 2022 vom britischen Office for Health Improvement and Disparities publizierte finale Bericht über die Zuckerreduktion der Industrie in Softdrinks, Fruchtsäften und milchbasierten Getränken eine Steigerung des Gesamtkonsums an Limonaden in dieser Zeit um 21,3 % aus. Es zeigt sich, dass vor allem zuckerarme und -freie Getränke verstärkt konsumiert werden. Demnach ist der Anteil an verkauften Softdrinks mit einem Zuckergehalt von < 5 g/100ml von 66 auf 89 % gestiegen, das mittlere Segment mit 5–8 g/100 ml ist von 8 % auf 1 % geschrumpft, und Getränke mit > 8 g/100 ml machen statt 27 % nur noch 9 % aus. Insgesamt ist der in Softdrinks eingesetzte Zucker von 135 000 t (2015) auf 89 000 t (2020) zurückgegangen (-34,3 %). Die Hersteller haben demnach ihr Sortiment deutlich reformuliert. Laut einer Recherche des Getränkesortiments im Online-Shop von Tesco, der größten britischen Supermarktkette, fallen mittlerweile 93,5 % der Getränke in die steuerbefreite zuckerarme Stufe, 4,3 % liegen im mittleren Bereich, und nur 2,2 % haben einen Zuckergehalt von mehr als 8 g/100 ml [SIPCAN, 2024]. Knapp 88 % dieses Gesamtsortiments war (auch) mit Süßstoffen gesüßt. Inwieweit der Süßungsgrad der Getränke verändert wurde, lässt sich nicht sagen. SIPCAN sieht den hohen Einsatz von Süßstoffen kritisch, weil das Süßempfinden nicht adaptiert wird und die Evidenz für langfristige Vorteile ihres Einsatzes hinsichtlich der Reduktion von Körpergewicht oder -fett nicht gegeben ist [WHO, 2023].

Wissenswert

Die britische Zuckersteuer erzielte bei Kindern wie Erwachsenen eine Kalorienreduktion von nur 1 % der empfohlenen Tagesenergieaufnahme.

Die Analyse zur britischen Zuckersteuer von SIPCAN ist hier zu lesen.

Hierzulande

Auch in Österreich werden – wie europaweit – seit vielen Jahren kontinuierlich Erfrischungsgetränke reformuliert. Mittlerweile wird rund ein Drittel weniger Zucker zugesetzt als in den Nuller-Jahren. Gegenüber dem österreichischen Gesundheitsministerium hat sich die gesamte Branche der alkoholfreien Erfrischungsgetränkeindustrie verpflichtet, den zugesetzten Zucker in ihrem Portfolio zwischen 2015 und 2025 um weitere 15 % zu reduzieren [FIAA, 2019]. Zudem werden Analysen von SIPCAN zufolge nur etwa 12,8 % der am Markt befindlichen Getränke mit Süßstoffen gesüßt [SIPCAN, 2024].

Ähnlich wie in UK tragen Softdrinks laut Österreichischem Ernährungsbericht etwa 3–5 % zur Tagesenergiezufuhr bei. Das sind ca. 120–250 ml/Tag für Frauen bzw. Männer – im Durchschnitt. Nur einzelne Gruppen weisen ein übermäßiges Konsummuster auf – vor allem junge Männer zwischen 19 und 25 Jahren. Da von einer Steuer – wie in den anderen Ländern – geringe Effekte auf die durchschnittliche Kalorienaufnahme zu erwarten sind, wäre es sinnvoll, Anstrengungen für zielgruppenspezifische Programme zu unternehmen.

Endpunkt: Gewicht

Die meisten Studien konstatieren schließlich, dass sich die tatsächlichen Auswirkungen einer Zuckersteuer auf das Körpergewicht und die Gesundheit aufgrund des Langzeiteffekts (noch) nicht dezidiert nachweisen lassen [Alvarado et al., 2023; Alagyawanna et al., 2015]. Auch in Großbritannien hat sich die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas seit Einführung der Steuer nicht verändert. In vielen Ländern, in denen es solche Steuern gibt, wird das gesundheitspolitische Ziel verfehlt – die Übergewichtsund Adipositasraten steigen dort nach wie vor [OECD, 2023].

Faktor Portionsgröße

Kaum diskutiert wird der Umstand, dass mit dem Inkrafttreten der britischen Zuckersteuer auch die Gebindegrößen reduziert wurden und somit der Zuckergehalt pro Verkaufseinheit – und damit der Kaloriengehalt – gesunken ist [Luick et al., 2024]. Kleinere Gebinde pro Konsumanlass scheinen einen wesentlichen Anteil an der insgesamt geringeren Zuckeraufnahme durch Getränke in UK gehabt zu haben. Die Anpassung der Portionsgrößen ist laut WHO, der OECD und dem McKinsey Global Institute (MGI) die Maßnahme mit dem weitaus höchsten Impact, wenn es darum geht, die Kalorienzufuhr zu beeinflussen und Übergewicht sowie Adipositas zu begegnen. Gleichzeitig gilt sie als äußerst kosteneffizient. Zunehmend mehrt sich die Datenlage, dass sie als der am besten wirkende Nudge gilt [Cadario et al., 2020].

Fazit

Das MGI kommt zu dem Schluss, dass Steuern auf Produkte mit hohem Zuckergehalt zu den am wenigsten wirkungsvollen Maßnahmen zählen. SIPCAN wertet eine Zuckersteuer als langfristige Gefahr für das Gesundheitssystem und das staatliche Budget, da sie das Konsumverhalten nicht grundsätzlich ändert und zum Ziel, Übergewicht und Adipositas zu verringern, nicht beiträgt. In Summe konstatierten etliche Studien, dass positive Auswirkungen nicht nachzuweisen sind. Das MGI nennt dagegen als effektive und effiziente Maßnahmen die Reformulierung von Produkten sowie die Umstrukturierung von städtischen und schulischen Umgebungen, um körperliche Aktivität zu erleichtern. Neben der Portionsgröße scheint auch die elterliche Bildung, die Einführung bedarfsangepasster Mahlzeiten in Schulen bzw. am Arbeitsplatz und Änderungen der Schullehrpläne zur Förderung körperlicher Bewegung scheinen einen höheren Impact zu haben.

Literaturverzeichnis

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Colchero AN et al.: Beverage purchases from stores in Mexico under the excise tax on sugar sweetened beverages: observational study. BMJ. 352:h6704 (2016).

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