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Macht Werbung Kinder dick?

In einer Welt, in der wir von Werbung umgeben sind, wird ihr Einfluss auf unser Verhalten und unsere Gesundheit intensiv diskutiert. Ein Bericht der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags zeigt nun, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Lebensmittelwerbung und dem Auftreten von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen nachweisbar ist. Weil in Deutschland von gesundheitspolitischer Seite auch Werbeverbote geplant sind, wurde zudem der verfassungsrechtliche Rahmen dafür beleuchtet.

Ergebnisse der zweiten Welle der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS Welle 2, 2014-2017) zeigen, dass rund 26 % der 5- bis 17-Jährigen von Übergewicht und Adipositas betroffen sind. In Österreich sind der letzten Childhood Obesity Surveillance Initiative (COSI 2019/2020) zufolge etwa 25 % der Kinder im Alter von acht Jahren als übergewichtig, adipös oder extrem adipös zu klassifizieren, wenn man die WHO-Kriterien anwendet.

Als ein Instrument zur Prävention werden vielfach Verbote bzw. die Beschränkung von sich an Kinder richtender Werbung für Lebensmittel mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt angesehen. Im Fokus der aktuellen Diskussion steht die Frage, ob diese Effekte tatsächlich durch derartige Maßnahmen erreicht werden können. Während Befürworter zumindest von einer Beeinflussung der Ernährungsgewohnheiten ausgehen und diese durch die Studienlage als nachgewiesen einstufen, kritisieren Gegner die fehlenden wissenschaftlichen Belege eines entsprechenden Zusammenhangs.

Kritische Auseinandersetzung

Vor diesem Hintergrund haben die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages im Oktober 2023 eine kompakte Zusammenstellung vorhandener Übersichts-Literatur vorgenommen. Dazu zählten der Faktencheck der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) zur Kampagne der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V., das „Wissenschaftliche Gutachten zur Aussagekraft ausgewählter Studien zum Zusammenhang zwischen Werbeexposition und der Ernährungsweise von Kindern“ von Schüller und Krämer, das Gutachten „Ökonomische Wirkung des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes – „KLWG“ für die Medien- und Werbewirtschaft“ von Haucap, Loebert und Thorwarth sowie die rechtswissenschaftliche Untersuchung „Werbeverbote für Lebensmittel aufgrund ihres Zucker-, Fett- oder Salzgehalts als Eingriffe in die Kommunikations- und Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ von Burgi.

Wissenswert

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages gliedern sich in acht thematisch spezialisierte Fachbereiche sowie den Fachbereich Europa und erfüllen die Funktion eines Informationszentrums, das die Abgeordneten bei der Ausübung ihres Mandats unterstützt. Die Recherchen, Dokumentationen und Gutachten geben dabei nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages wieder, sondern liegen in der Verantwortung des jeweiligen Fachbereichs. Die Wissenschaftlichen Dienste arbeiten parteipolitisch neutral und sachlich objektiv.

Kein Nachweis möglich

Die Frage, ob Werbung dick macht, ist in ihrer Beantwortung durchaus komplex und so bilden auch die verschiedenen Gutachten teils unterschiedliche Aspekte ab. Einig sind sie sich jedoch, dass aktuell keine belastbaren Untersuchungen zum Einfluss von Werbeverboten auf die Entwicklung von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen existieren. Damit gibt es auch keine wissenschaftlichen Belege für deren Effektivität. Zu den Gründen dafür zählen insbesondere methodische Herausforderungen. Zurückzuführen ist dies einerseits auf das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren, die an der Entstehung von Adipositas beteiligt sind (z. B. Ernährung, Bewegung, genetische Veranlagung, psychologische Faktoren, sozioökonomischer Status). Andererseits gestaltet es sich grundsätzlich schwierig, kausale Wirkzusammenhänge einzelner Faktoren auf die menschliche Gesundheit im Rahmen von Studien zu ermitteln. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass ein geringer Konsum von Lebensmitteln mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt auch im Falle von Werbeverboten oder -einschränkungen nicht mit diesen begründet werden könne, wie Burgi schreibt.

Wissenswert

Wie die Evidenz von Ernährungsstudien generell eingeschätzt werden kann und warum es so wichtig ist, zwischen Zusammenhängen (Korrelationen) und Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Kausalitäten) zu unterscheiden, ist im Artikel von Univ.-Prof. Dr. Jürgen König nachzulesen.

Verfassungsfrage?

Die Wissenschaftlichen Dienste haben darüber hinaus den verfassungsrechtlichen Rahmen eines Verbots für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung näher beleuchtet. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass dadurch mehrere Freiheitsgrundrechte berührt werden. Dazu zählen die Informationsfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher, die Berufsausübungsfreiheit und wohl auch die Meinungsfreiheit der Lebensmittelherstellenden sowie die Berufsausübungsfreiheit sowie Presse- und Rundfunkfreiheit der Mediendienstanbietenden.

Derartige Eingriffe bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Eindeutig ist, dass sie einen legitimen Zweck – den Gesundheitsschutz von Kindern – verfolgen. Allerdings fehlen für einen Nachweis, dass Werbeverbote zum Gesundheitsschutz geeignet sind bzw. Übergewicht und Adipositas bei Kindern verhindern können, bislang einschlägige wissenschaftliche Erkenntnisse. Von einer Erforderlichkeit eines Werbeverbots kann darüber hinaus nicht ausgegangen werden. Hinsichtlich der Angemessenheit sprechen zahlreiche Argumente dafür und dagegen. Klar ist jedoch, dass es neben Werbeverboten oder -einschränkungen eine Reihe von anderen, milderen Maßnahmen gibt. Daher kommen der Frage nach der Wirksamkeit von Werbeverboten und der Bewertung der entsprechenden wissenschaftlichen Studienlage somit weiterhin ein besonderer Stellenwert zu.

Fazit

Die Diskussion um Werbeverbote ist komplex. Studien und Gutachten zeigen dabei unterschiedliche Perspektiven auf, wissenschaftliche Belege für einen ursächlichen Zusammenhang existieren jedoch nicht. Ein differenzierter Blick auf die vielfältigen Einflussfaktoren, die zur Adipositas beitragen, ist unerlässlich für zukünftige Entscheidungen in diesem Bereich.

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) (Hrsg.): Childhood Obesity Surveillance Initiative (COSI) – Bericht Österreich 2020. Wien, März 2023. (Zugriff: 14.01.2025).

Burgi M: Werbeverbote für Lebensmittel aufgrund ihres Zucker-, Fett- oder Salzgehalts als Eingriffe in die Kommunikationsund Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – Rechtswissenschaftliche Untersuchung. München, April 2023 (Zugriff: 27.02.2024).

Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK): Faktencheck zur Kampagne der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. https://www.dank-allianz.de/files/content/dokumente/public/2023-04-11_BVE-Kampagne_Faktencheck-DANK_final.pdf (Zugriff: 27.02.2024).

Deutscher Bundestag: Service für die Abgeordneten. https://www.bundestag.de/wissenschaftlichedienste (Zugriff: 27.02.2024).

Haucap J, Loebert I, Thorwarth S: Ökonomische Wirkung des KinderLebensmittel-Werbegesetzes – „KLWG“ für die Medien- und Werbewirtschaft. Ein Gutachten im Auftrag von Markenverband e.V. Düsseldorf, Juni 2023. https://dus-competition.de/media/pages/download/34686f609d-1687519496/2023_gutachten_oekonomische_wirkung_klwg.pdf (Zugriff: 27.02.2024).

Schienkiewitz A, Damerow S, Schaffrath Rosario A: Prävalenz von Untergewicht, Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Einordnung der Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 nach internationalen Referenzsystemen. Journal of Health Monitoring 3(3) (2018).

Schüller K, Krämer W: Wissenschaftliches Gutachten zur Aussagekraft ausgewählter Studien zum Zusammenhang zwischen Werbeexposition und der Ernährungsweise von Kindern. München und Dortmund, Juni 2023. https://statistik.tu-dortmund.de/storages/statistik/r/Bilder/Personen/Kraemer/2023-06-09-Gutachten_final.pdf (Zugriff: 27.02.2024).

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Dokumentation – Zur Frage eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Lebensmittelwerbeverboten und dem Auftreten von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. WD 9 - 3000 - 065/23. https://www.bundestag.de/resource/blob/972792/b04aa59146e11b4f2661f89939cc7d29/WD-9-065-23-pdf-data.pdf (Zugriff: 27.02.2024).

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Verbot für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung – Verfassungsrechtlicher Rahmen. WD 3 - 3000 - 098/23 https://www.bundestag.de/resource/blob/972334/a2dcfb5b74aaa26605a46ce097ea15fb/WD-3-098-23-pdf.pdf (Zugriff: 27.02.2024).

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